Julian Jacobson "Meine Auftritte halten mich lebendig"

Langenfeld · Heute gastiert der britische Pianist im Flügelsaal des Kulturzentrums. Er ist Professor am Londoner "Royal College of Music"

Sie haben unter Dirigenten wie Sir Simon Rattle und mit Klassik-Stars wie Nigel Kennedy gespielt. Was verschafft dem kleinen Langenfeld die Ehre Ihres Besuchs?

Jacobson Mein ehemaliger Student Michael Lang (siehe Info) hat den Besuch vorgeschlagen. Er hat mir zudem seine "Vier Klavierstücke" zugeeignet, die ich sehr schätze und von denen ich zwei am Freitag aufführen werde. Zudem gibt es eine Verbindung über die europäische Beethoven-Klavier-Gesellschaft, deren Vorsitzender ich bin und wo Michael Mitglied ist. Darüber hinaus freue ich mich immer, wenn ich auftreten kann - das hält mich lebendig!

Am Samstag geben Sie in der Langenfelder Musikschule einen Meisterkurs, der sich an junge Pianisten ab zehn Jahren richtet. Sind Kinder in diesem Alter schon in der Lage, eine Klaviersonate von Beethoven angemessen zu interpretieren?

Jacobson Camille Saint-Saens hat alle 32 Beethoven-Sonaten gespielt, als er zwölf war...! Aber natürlich erwarte ich keine künftigen Saint-Saens'. Ich denke, sobald ein junger Pianist in der Lage ist, einfühlsam und halbwegs sorgfältig zu spielen, kann er oder sie allmählich an die große Klavier-Literatur herangeführt werden. Dann kann sich der Schüler auch schon die Grundlagen der Sonaten-Form und den Ausdruck verschiedener Gefühle aneignen.

Sie haben sämtliche 32 Beethoven-Sonaten schon acht Mal als Gesamt-Zyklus aufgeführt. Woher nehmen Sie die Kraft für so einen Marathon?

Jacobson Es klingt ein bisschen verrückt, aber es war für mich eine persönliche Herausforderung, den Gesamt-Zyklus sieben oder acht Mal aufzuführen. Beim ersten Mal hätte ich noch nicht geglaubt, dass ich es wirklich schaffe...! Ich bereitete mich so gründlich es ging darauf vor, achtete darauf, dass ich in guter körperlicher Verfassung war und dann ging der Tag in einem Rausch von Energie und Konzentration vorüber, so dass ich keine Veranlassung sah, das Ganze abzubrechen. Der schlimmste Moment war am späten Vormittag; danach hatte ich einen zunehmenden Höhenflug, der mich bis ans Ende getrieben hat. Das entspricht also in etwa dem, was ich über die Etappen eines Marathon-Läufers gelesen habe.

Ihre Eltern waren beide Berufsmusiker. Haben sie erwartet, dass Sie ihnen nacheifern?

Jacobson Das taten sie - und ich habe anfangs total dagegen rebelliert! Zwischen elf und 16 Jahren habe ich nicht wirklich "klassisch" Klavier gespielt. An einem Punkt war ich fast soweit, komplett mit dem Spielen aufzuhören. Ich habe meinen Weg über den Jazz zurückgefunden, dann über die zeitgenössische Musik und, nachdem ich reif genug dafür war, auch wieder zurück zur klassischen Musik.

Mit sieben Jahren haben Sie Klavier spielen gelernt. Was raten Sie Eltern, deren Kinder nicht üben wollen?

Jacobson Es hängt davon ab, wie lustlos das Kind ist. Wenn es total lustlos ist, sollten die Eltern ihm vielleicht eine Alternative anbieten, um sich auszudrücken - beispielsweise Ballett oder Fußball oder Malen. Wenn es sich nur um eine zeitweilige Lustlosigkeit handelt, könnte es eine Hilfe sein, den Lehrer zu wechseln, die Übe-Zeit sinnvoller zu strukturieren, sich ein bestimmtes Repertoire anzueignen, Noten und Biografien zu studieren, Musik zu hören usw.

Seit den 1980er Jahren komponieren Sie Filmmusik. Was liegt Ihnen näher - E- oder U-Musik?

Jacobson E-Musik, also die "ernsthafte" klassische Musik! Aber letztlich sind ja die beiden entscheidenden Kategorien "gut" oder "schlecht". Ich lieber immer noch Jazz - natürlich nur guten Jazz! Meine Bach-Adaption ist ausschließlich ernsthaft, im Stil der Busoni-Bearbeitungen, keine jazzige oder poppige Transformation.

Was möchten Sie denn den Teilnehmern des Meisterkurses in Langenfeld vor allem vermitteln?

Jacobson Die Struktur und den Inhalt eines Werkes verstehen, durchdringen und - wo nötig und möglich - technische Hilfestellung geben, um dieses Verständnis spielerisch realisieren zu können.

STEFANIE MERGEHENN STELLTE DIE FRAGEN

(stm)
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