Langefeld Corona-Psychologie Wie gehen wir mit der vielen Zeit um?

Langenfeld · Ein Gespräch mit der Psychologin Ursula Maile aus Langenfeld über Klopapierkäufe und Dankbarkeit.

 Die Psychologin Ursula Maile sagt, wie Menschen die freie Zeit  sinnvoll nutzen können.

Die Psychologin Ursula Maile sagt, wie Menschen die freie Zeit  sinnvoll nutzen können.

Foto: Matzerath, Ralph (rm)/Matzerath, Ralph (rm-)

Zeit haben wir in diesen Wochen mehr als uns lieb ist. Wir sprachen mit der Langenfelder Psychologin Ursula Maile, die sich unter anderem mit dem Thema Zeitmanagement beschäftigt, wie man sie sinnvoll einsetzen kann.

In der Vergangenheit haben wir alle ständig über zu wenig Zeit und zu viel Hetze im Alltag geklagt. Das ist nun plötzlich  vorbei. Wir sind zur Entschleunigung gezwungen. Warum fällt das vielen so schwer?

Maile Erzwungene Untätigkeit hat nichts mit Ferien zu tun. Außer vielleicht für Schüler und Studenten. Der Stillstand zurzeit ist purer Stress für die meisten. Über dem derzeitigen Nichtstun schwebt die Sorge: Was wird? Joblos gleitet man schnell in Existenzängste und Isolation ab. Auch das Selbstwertgefühl vieler Menschen in unserer Gesellschaft ist stark an Leistung gekoppelt. Wenn diese wegfällt, entsteht Unsicherheit.

Aber es gibt auch noch Menschen, die arbeiten.

Maile Und die sind doppelt gefordert. Für diejenigen, die in Supermärkten noch an der Kasse sitzen, ist die Arbeit eine immense psychische und physische Belastung. Großer Andrang und Angst vor Ansteckung beherrschen den Arbeitsalltag. Für viele, die plötzlich im Home-Office arbeiten müssen, bedeutet das meist erheblich mehr Arbeit und eine völlig neue Situation.

Durch die neue Situation sind wir auf einmal auf uns selbst geworfen. Unsere Lieblingsbeschäftigung „Konsumieren“ fällt flach. Was gibt es für Alternativen zum Klopapier-Kaufen?

Maile Wilder Aktionismus hilft uns nicht weiter. Man muss sich der Sache stellen. Das bedeutet, negative Gefühle auszuhalten und andererseits für positive zu sorgen. Ängste lassen sich nicht so einfach beiseite schieben. Wichtig ist, dass man das Gute im Leben noch erkennt und es vielleicht für sich täglich notiert. Ich nenne das Dankbarkeitspflege. Das kann ein kleines Gespräch sein, ein Blumenstrauß auf dem Tisch, über den man sich freut. Shoppen macht bei vielen gute Gefühle. Aber anderen zu helfen, für den Nachbarn Lebensmittel einzukaufen, eine Kleinigkeit vor die Türe zu stellen oder Briefe zu schreiben an Menschen, die alleine sind, sorgt auch für gute Gefühle, bei sich und anderen. Entrümpeln tut ebenfalls gut, angefangen beim Sortieren von Papierstapeln bis hin zum Aufräumen des Kleiderschranks oder Kellers.

Und was hat es mit dem Klopapier auf sich?

Maile Der übermäßige Klopapierkauf ist eine Art Übersprungshandlung. Der Alltag erscheint uns gerade fremd und unkontrollierbar. Und dann postet jemand zu Beginn der Krise auch noch ein leeres Klopapier-Regal auf Facebook. Das weckt unseren Jagdinstinkt. Wir versuchen die Situation in den Griff zu kriegen, indem wir uns zumindest mal mit Toilettenpapier eindecken. Das ist eine Pseudokontrolle und soll uns ein kleines Stück Sicherheit in dieser unsicheren Zeit schenken. Hätte als erstes ein leeres Zucker-Regal die Runde gemacht, wäre der Ansturm vermutlich auf Zucker erfolgt.

 Liegt Ihrer Meinung nach vielleicht sogar eine Chance in dieser Ruhephase?

Maile Unbedingt. Viele Ablenkungen fallen weg. Das ist eine gute Gelegenheit, Dinge bewusster zu tun. Aber wir müssen uns daran gewöhnen. Das Treffen mit Freunden, Theater oder Kino – all das fällt flach. Ich muss jetzt schauen, wie ich es mir zu Hause schön mache und mir Gutes tue. Zum Beispiel, indem ich achtsamer lebe. Mir einen Auszeitplan mache, auch ohne Medien. Ein stilles Frühstück, eine Meditation, ein bisschen Yoga, viel Nachdenken. Zum Beispiel: Was habe ich für Kompetenzen, die ich jetzt mit anderen teilen kann? Was kann ich anderen beibringen und wie? Klassisches Denken bringt uns in dieser Ausnahmesituation nicht weiter. Wir müssen uns öffnen. Ich kann Tauschgeschäfte anbieten: zum Beispiel. Ich kürze deinen Rock und du schreibst meinen Behördenbrief.

Von einem Urlaub wissen wir, dass er irgendwann vorbei ist. Wie wirkt das offene Ende der momentanen „Zwangspause“ sich auf unsere Psyche aus?

Maile Ich weiß, für unsere Kultur ist es ganz schwer, keine Pläne zu machen. Wir haben jetzt schon den Urlaub im Herbst geplant. Das geht zurzeit nicht. Und das ist schwer auszuhalten. Für das Gehirn ist es aber super, von Tag zu Tag zu leben und alles nacheinander zu machen. Noch mehr Pläne machen, hilft jetzt nicht. Wir müssen umdenken.

Haben Sie eventuell ein paar ganz praktische Tipps für Männer, die sich allein  schlecht beschäftigen können und vor allem für Eltern, die ihre Kinder in Schach halten müssen?

Maile Wichtig ist, dass man die Struktur im Alltag behält und nicht den ganzen Tag im Schlafanzug Netflix guckt. Lernen, spielen, Ruhezeit, gemeinsames Essen, klare Ankerpunkte über den Tag setzen, sonst wird die Freizeit zur Plage. Und wir sollten lernen, auch mal wieder Langweile auszuhalten. Ob Mann, Frau oder Kind. Nach einer Zeit fällt uns bestimmt etwas ein, was wir tun können.

Wie wirkt sich die körperliche Zwangsdistanz zu anderen Menschen auf unser Gemüt aus?

Maile Das ist ganz schwierig. Der Mensch ist für die Gemeinschaft geschaffen. Körperliche Nähe sorgt für das Kuschelhormon Oxytocin. Da ist im Moment die Selbstfürsorge ganz wichtig. Dass ich es mir schön mache und alles Schöne bewusst genieße. Zum Beispiel mein Essen. Aber auch, sich aus der Ferne um andere zu kümmern, sorgt für Gefühle von Gemeinschaft. Und das macht glücklich.

Und zum Schluss: Sie sind derzeit auch in der Zwangspause. Wie retten Sie persönlich sich über die nächsten Wochen, vielleicht sogar Monate hinweg?

Maile Ich habe jetzt einen Podcast gestartet. Ich musste mir erst mal die Technik aneignen. Ich erkläre darin psychologische Vorgänge und leite zur Meditation an. Das mache ich mehrmals pro Woche. Und dann habe ich mit Online-Coaching auf einer virtuellen Plattform begonnen. Und ich entwickle eine Rauchfrei-Kur. Ansonsten sitze ich natürlich auch mal länger im Pyjama am Frühstückstisch, und ich habe mehr Zeit zum Meditieren.

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