Vor 75 Jahren - Erinnerungen an das erste Weihnachten nach Kriegsende „Endlich ein Heiligabend ohne Angst“

Langenfeld · Inge Wagner (98) erinnert sich, wie sie von einem Besatzungssoldaten Backpulver für einen Kuchen bekam. Mit ihrem Ehemann, dem halbjährigen Söhnchen und mit der Mutter habe sie dieses friedliche Weihnachtsfest in Landwehr erlebt.

 Inge Wagner (98) zeigt ein Bild von Weihnachten 1945, auf dem sie als junge Mutter ihrem Söhnchen den Christbaum zeigt.

Inge Wagner (98) zeigt ein Bild von Weihnachten 1945, auf dem sie als junge Mutter ihrem Söhnchen den Christbaum zeigt.

Foto: Matzerath, Ralph (rm)/Matzerath, Ralph (rm-)

„Es gab sogar eine Ente oder eine Gans“, sagt Inge Wagner (98) in Erinnerung an ihr erstes Weihnachtsfest im Frieden nach der Kapitulation der Deutschen im Mai 1945. Mit ihrem Ehemann, dem halbjährigen Söhnchen und mit der Mutter habe sie dieses friedliche Weihnachtsfest in Landwehr erlebt. Der Vater war im Krieg gefallen. Der Festtagsbraten ist allerdings nicht das erste, was ihr zu Weihnacht 1945 einfällt. „Es war das erste Mal nach vielen Jahren, dass wir nicht in den Keller mussten, um uns vor Fliegerangriffen zu schützen. Das erste Mal, dass es Heiligabend ruhig blieb“, erzählt sie.

Gehungert habe man damals viel. Für das Festtagsessen habe man „hamstern“ müssen. Bis nach Westfalen sei ihr Mann auf den Trittbrettern der Züge mitgefahren, um Solinger Stahlwaren bei den Landwirten dort gegen etwas Butter und Mehl einzutauschen. „Die waren Mangelware.“ Neben dem ständig quälenden Hunger war das Hauptthema die fehlende Kleidung“, berichtet sie.

Aber manchmal musste man auch einfach nur ein bisschen Glück haben. Das hatte Inge Wagner, als sie vor einem englischen Pub in Ohligs einen schottischen Soldaten wiedererkannte, der ihr und ihrer Familie aus ihrem Evakuierungsdomizil im Harz auf den letzten Drücker in den Westsektor geholfen hatte. „Plötzlich wurde es hell in der Tür des Pubs, und ich erkannte Bill“, erzählt sie. Dem Besatzungssoldaten sei es schließlich zu verdanken gewesen, dass Weihnachten 1945 der erste Sandkuchen nach Jahren auf dem Tisch stand. Mit Backpulver aus Edinburgh. „Backpulver gab es hier nirgends. Auf meine Bitte bestellte es der Schotte bei Verwandten. Und es kam tatsächlich rechtzeitig vor Heiligabend an.“

Geschenke gab es auch nicht. „Vielleicht konnte man eine Mütze oder einen Schal häkeln oder stricken.“ Wenn heute in Corona-Zeiten jemand jammert, ist das für Inge Wagner im  Vergleich zu den einstigen Erlebnissen und Entbehrungen weit übertrieben. „Gejammert hat damals nie jemand. Wir haben versucht, zu improvisieren.“

Heute ist die Langenfelderin mit 98 Jahren erstaunlich fit. Sie hört noch sehr gut und beherrscht den Computer. „Ich habe Glück gehabt im Leben“, sagt sie.

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