Stadtteil-Porträt Immigrath: Ort geschäftiger Schwaadlappe

Langenfeld · Gütertransport in alle Himmelsrichtungen: Immigrath war und ist die Herzkammer von Industrie und Gewerbe in Langenfeld.

 Einer der drei Schwaadlappe am Kreisverkehr hinterm Immigrather Tunnel ist Wendt Gustav Scheffels gewidmet. Der gesprächige Unternehmer verkörpert den Ortsteil wie kaum ein anderer. "Wo heute Aldi ist, war das Straßenbahn-Depot, und der Baumarkt steht auf dem Gelände der früheren Futtermittelfabrik", erzählt er.

Einer der drei Schwaadlappe am Kreisverkehr hinterm Immigrather Tunnel ist Wendt Gustav Scheffels gewidmet. Der gesprächige Unternehmer verkörpert den Ortsteil wie kaum ein anderer. "Wo heute Aldi ist, war das Straßenbahn-Depot, und der Baumarkt steht auf dem Gelände der früheren Futtermittelfabrik", erzählt er.

Foto: rm-

In der Linken eine Zigarette, die rechte Hand an der Rechenmaschine. "Moment mal, haben wir gleich", sagt Wendt Gustav Scheffels sen. und tippt auf der Tastatur herum. "Im Jahr 1847 gab es im heutigen Langenfeld bei 4756 Einwohnern 54 Branntweinverkaufsstellen. Das heißt . . . 88 Einwohner auf einen Wirt. So viel wie unsere Vorfahren würden wir heute nie und nimmer vertragen!" Der wohlgenährte und zugleich überaus geschäftige Fast-Siebziger hinter dem Schreibtisch seines Grundstücksverwaltungsbüros freut sich sichtlich über dieses Pro-Kopf-Ergebnis. Er weiß auch, wem vor allem die Samtgemeinde Richrath-Monheim die hohe Wirtsdichte zu verdanken hatte: "Immigrath! Hier gab es fast alle hundert Meter eine Fuhrmannskneipe. Auf der Solinger Straße und weiter die Hardt hinauf gingen Schleifsteine von der Mosel durch, Kammfelle aus England und Holz aus dem Schwarzwald. Da konnte es schon mal ein Weilchen dauern, bis an den Vorspann-Stationen Pferde frei waren, die die Waren die Steigung hinaufzuziehen halfen . . .", erzählt der Unternehmer, voller Begeisterung für die Wirtschaftsgeschichte(n) seines Heimatorts.

Wenn es so etwas wie das personifizierte Immigrath gibt, dann ist es Wendt Gustav Scheffels. Der Bau-Ingenieur hat — bis auf wenige Lehr- und Wanderjahre — bisher sein ganzes Leben in Langenfelds größtem Stadtteil verbracht, führt eines der traditionsreichsten Unternehmen am Ort und ist Zweiter Vorsitzender des Vereins Aktion Immigrather Bürger. Der verhinderte vor 50 Jahren, dass Immigrath von einer Stelzenstraße durchschnitten wurde (statt dessen kam die Untertunnelung der Eisenbahngleise). Und er stellt Jahr für Jahr die beiden größten Original-Immigrather "Events" auf die Beine: den Jazzbrunch im Frühsommer und die Gänseverlosung im Herbst.

In Immigrath wohnen mehr als 16 000 der insgesamt rund 59 000 Langenfelder. Hier wird aber auch hart gearbeitet und zwar — im Unterschied zu manch anderem Ortsteil — oft noch im Blaumann, mit Fingerfertigkeit, Muskelkraft und/oder an Maschinen. Ob Abfall-Recycling oder Beton, Rohrverpressung, Autozubehör oder Musterschuhe — beiderseits der B 229 findet die Dienstleistungsgesellschaft noch ihr gewerblich-industrielles Fundament.

Und das mit langer Tradition. Begründet wurde diese im 18. Jahrhundert mit der Erschließung des Bergischen Landes vom Hitdorfer Rheinhafen aus. "Für die Waren, die aus dem Norden kamen, sollte das Kölner Stapelrecht umgangen werden. Also suchte und fand man den Weg über Langenfeld nach Solingen", weiß Scheffels. Den Fuhrleuten folgte im 19. Jahrhundert die Industrie — besonders nachdem Immigrath an das Eisenbahnnetz angeschlossen worden war. 1874, fast 30 Jahre nach der Eröffnung des Bahnhofs Langenfeld, wurde der Bahnhof Immigrath in Betrieb genommen. 1982 stillgelegt, beherbergt das Bahnhofsgebäude heute eine Gaststätte, in der sich unter anderem die Aktion Immigrather Bürger regelmäßig trifft.

Thyssen, Kronprinz, Mannesmann — Großunternehmen der metallverarbeitenden Industrie siedelten sich in Immigrath an. Hinzu kamen Produktionsbetriebe wie die Futtermittelfabrik Höveler oder die Weberei Neumann & Büren. "Wo viele Menschen arbeiten, müssen auch Wohnungen und andere Gebäude her", unterstreicht Scheffels. Und so fand auch das Bau-Unternehmen seiner Familie, gegründet 1882 vom Urgroßvater Gustav Scheffels, reichlich Aufträge. "Inzwischen haben wir aber die Bautätigkeit eingestellt und uns auf die Grundstücksverwaltung verlegt", berichtet der noch 69-Jährige.

Den einstigen Firmensitz am Immigrather Platz hat er zu einem "Gesundheitszentrum" umgestaltet: mit Arztpraxen, Podologie und Physiotherapie. Noch deutlicher wird dieser Strukturwandel hin zu Dienstleistungen am Kreisverkehr auf der anderen Seite der Bahnüberführung: Dort, wo die drei rostbraunen "Schwaadlappe" stehen, von denen einer Scheffels sen. gewidmet ist, erhebt sich der toom-Baumarkt. "Das ist das alte Höveler-Gelände", erklärt der gesprächige Unternehmer: "Früher wurden hier bis zu 5000 Tonnen Futtermittel am Tag produziert."

Der große Strukturbruch für den Ortsteil kam um 1980. "Die großen Arbeitgeber wie Mannesmann machten einer nach dem anderen dicht. Ich sehe sie noch durch die Straßen ziehen, Tausende, die für ihre Arbeitsplätze demonstrierten", erinnert sich Scheffels. Die Krise sei aber durch eine "sehr umsichtige" Strukturpolitik der Stadt gelöst worden: "Die industriellen Brachflächen wurden in zahlreiche Gewerbegrundstücke aufgeteilt, statt weniger großer haben wir nun viele kleinere und mittlere Betriebe — 100 sind es bestimmt."

Das einst so rege Immigrather Kneipenleben konnte dieser gelungene Strukturwandel indes nicht retten. "1980 hatten wir hier neben einer Eisdiele und einem Café noch 27 Gaststätten. Davon sind gerade mal zwei übriggeblieben", sagt Scheffels. Die letzte, die dichtmachte, "Haus Böger", ist inzwischen ein Treffpunkt von "Hells Angels"-Rockern. Doch der Unternehmer weint der Hoch-Zeit am Tresen nur wenige Tränen nach. Denn mit den Kneipen verschwand auch die Rotlicht-Szene. "In den 60er und 70er Jahren gehörte die ,Pigalle' in Immigrath neben dem ,Salambo' in Hamburg und dem ,Goldenen Anker' in Duisburg zu den berühmtesten Etablissements der Republik. Da wusste der Taxifahrer in Karlsruhe, wo er hinfahren musste, wenn Sie ihm dieses Ziel nannten", erzählt Scheffels, der an der TU in Nordbaden studiert hat.

Die heutigen Spielhallen am Immigrather Platz sind nur ein Schatten der damaligen Halbwelt-Atmosphäre. "Inzwischen wird es hier abends so ruhig, dass man ab neun Uhr glaubt, in der Einöde zu leben", sagt Scheffels und lässt von seiner Dachterrasse im fünften Stock aus den Blick schweifen. Gelegentlich hört er dafür die Kirchenglocken, die von St. Josef in der Stadtmitte und der Erlöserkirche oder St. Mariä-Himmelfahrt an der Hardt herüberschallen. So weit reicht Immigrath, zumindest offiziell.

(RP)
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