Kreis Heinsberg Zahl jugendlicher Sexualtäter wächst

Kreis Heinsberg · Der Arbeitskreis gegen häusliche Gewalt und sexuellen Missbrauch im Kreis Heinsberg setzte sich bei seinem Treffen im Kreishaus diesmal mit jungen Tätern auseinander. Der Psychologe Thomas Gruber erklärte Gründe und Therapie.

 Hartmut Schuck, Geschäftsführer des Arbeitskreises Häusliche Gewalt, im Gespräch mit dem Referenten Thomas Gruber von der LVR-Klinik Viersen-Süchteln und Landrat Stephan Pusch (v.l.).

Hartmut Schuck, Geschäftsführer des Arbeitskreises Häusliche Gewalt, im Gespräch mit dem Referenten Thomas Gruber von der LVR-Klinik Viersen-Süchteln und Landrat Stephan Pusch (v.l.).

Foto: Jürgen Laaser

Die traumatisierten Opfer hatte der Runde Tisch bisher bei seinen Zusammenkünften aus unterschiedlichen Perspektiven im Blick. Diesmal waren es die jungen Täter, sexuell auffällige Jungen bis 18 Jahre, die teils unfassbar brutale Taten verübt haben, die mehr als 70 Teilnehmer im Kreishaus in den Blick nahmen. Landrat Stephan Pusch erinnerte in seiner Begrüßung an die Zeit mit dem entlassenen Kinderschänder Karl D., der von 2009 bis 2011 rund um die Uhr bewacht wurde: "Wenn es gelingt, Täter in jungen Jahren zu therapieren, könnten Straftaten verhindert und die gerade geschilderten Folgeprobleme vermieden werden."

Hartmut Schuck, Leiter der Sozialen Dienste im Kreisjugendamt, wies auf die Sprechstunden in der LVR-Tagesklinik in Heinsberg hin. Die Brisanz des Themas unterstrich er mit Zahlen aus der Statistik der Straftäter zwischen 14 und 21 Jahren. Wegen Straftaten mit sexuellem Hintergrund wurden 2011 40 Prozent mehr Jugendliche verurteilt, die Zahl entsprechender Straftaten stieg von 118 im Jahr 2010 auf 166.

Die Behandlung nach dem "Viersener Modell" erklärte der Diplom-Psychologe Thomas Gruber vom Gerhard-Bosch-Haus in der LVR-Kinder- und Jugendpsychiatrie in Süchteln. Die offene Zehn-Betten-Station mit bundesweitem Einzugsgebiet, in der Jugendliche sechs bis acht Monate bleiben, ist seit 20 Jahren auf sexuell auffällige Jungen spezialisiert. "Die meisten haben keine Ahnung, warum sie das gemacht haben", berichtete der Psychologe. "Das" kann Exhibitionieren sein, zuweilen mit Tendenz zu weiterer Annäherung, Missbrauch kleinerer Kinder (Geschwister) oder grausame Misshandlung, oft angeregt durch Videos aus dem Internet.

"Es sind nicht die Jugendlichen, die durch besonderes Selbstbewusstsein oder Stärke auffallen", sagte Gruber. Sie stammen aus zusammengesetzten oder zerstörten Familiensystemen, oft fehlt der Vater oder ist desinteressiert. Eltern verharmlosen den Missbrauch, um die Familie zusammenzuhalten. "Für einige Jungs ist das Beste, was ihnen passieren kann, der Gang in die Jugend-Forensik", so der Therapeut.

Für die stationäre Aufnahme gibt es Bedingungen: Es muss eine Anzeige erstattet worden sein, der Jugendliche muss bereit sein, über seine Tat zu sprechen. Meist verneinen die Jungs Rückfallgefahr, haben wenig Zugang zu ihren Gefühlen, die ihre Handlungen begleiten, bagatellisieren die Taten, leugnen Gewalt und sprechen verantwortungslos darüber, dass "es passiert ist". In der Gruppe müssen sie vor Anderen ihre Verfehlung offenlegen: "Das verhindert Geheimnisse und schafft Kontrolle." Es gibt Einzel- sowie Sozio- und Milieutherapie im Alltag und nach der Station eine "Schleusengruppe" für mindestens ein halbes Jahr.

In der Rolle der Behandler sehen sich die Therapeuten nicht, sagt Thomas Gruber: "Die Jungs müssen unterstützt werden, ihr Leiden zu beenden. Sie müssen etwas bewältigen können, auf das sie stolz sind, sich als fähig erleben, in dem Prozess eine Veränderung zu schaffen."

(RP/rl)
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