Fußball Sportgerichte stehen vor gewaltiger Reform

Hennef · Fußball: Ab dem 1. Juli gibt es in der Regel keine Spruchkammersitzungen mehr, sondern entscheiden Einzelrichter - auch auf Kreisebene.

Langwierige Verhandlungen vor der Kreis-Spruchkammer, die sich mit zum Teil abenteuerlichen, höchst widersprüchlichen und zuweilen auch an Realsatire grenzenden Darstellungen der Verfahrensbeteiligten auseinandersetzen und danach Recht sprechen muss: Das gibt es auch im Fußballkreis Heinsberg zuhauf. In gut einer Woche - genau gesagt ab dem 1. Juli - ist damit aber weitgehend Schluss: Dann gilt das komplett neue Sportgerichtsverfahren, das auf dem Verbandstag des Westdeutschen Fußballverbands (WDFV) am 27. August 2016 in Duisburg verabschiedet wurde und in allen drei Landesverbänden des WDFV eingeführt wird - sowohl auf Verbands- als auch auf Kreisebene.

Über diese gewaltige Reform informierte beim 10. Hennefer Pressegespräch, zu dem der Fußballverband Mittelrhein (FVM) seit 2008 stets kurz nach einer Saison in die Sportschule Hennef einlädt, Dr. Björn Schiffbauer, der neue Vorsitzende des Verbandsausschusses für Rechts- und Satzungsfragen.

An Stelle der Spruchkammer rückt nun der Einzelrichter, der auf schriftlichem Weg ein Verfahren regelt und dann auch entscheidet. Der kann dazu aus zahlreichen Erkenntnisquellen schöpfen, schriftliche und mündliche Aussagen von Zeugen und Sachverständigen einholen. Urkunden und eigene Wahrnehmung inklusive Bewegtbildaufzeichnungen sind auch erlaubt - danach entscheidet er. "Dieses Verfahren ist wesentlich zügiger und billiger als das bisherige Spruchkammersystem", erläuterte Schiffbauer. Dem Einzelrichter steht ein Zeitfenster von zwei Wochen für ein Verfahren zur Verfügung. "Der Einzelrichter ist für die Vereine kostenlos", betonte der Ausschussvorsitzende.

Anders sieht es aus, wenn Vereine damit nicht zufrieden sind, sondern eine mündliche Verhandlung nach Art der Spruchkammersitzung wünschen. Bei einer derartigen Verhandlung ist aber auch dann nicht mehr das komplette bisherige Spruchkammerteam dabei, sondern neben dem Vorsitzenden in der Regel nur noch zwei Beisitzer. "Eine mündliche Verhandlung kostet die Vereine auf alle Fälle aber auch Geld, die ist gebührenpflichtig", betonte Dr. Björn Schiffbauer. Das neue System bedeute sicherlich "mehr Verantwortung für den Einzelnen" - alle Mitglieder der bisherigen Spruchkammern können auch als Einzelrichter fungieren. Für die Kreisspruchkammer Heinsberg heißt das konkret, dass nicht nur Vorsitzender Helmut Waldhaus und sein Stellvertreter Jörg Markmann, sondern auch die bisherigen Beisitzer Ulrich Höfels, Christian Grün, Sascha Weuthen, Rainer Decker und Dieter Verjans als Einzel-Sportrichter fungieren können.

"Wir sind zuversichtlich, dass sich das neue System nach einer Phase der Eingewöhnung rasch einspielt. Und sollte es sich doch nicht bewähren, werden wir auf dem nächsten Verbandstag 2019 natürlich darüber sprechen", sagte Dr. Björn Schiffbauer - und brachte diese große Reform der Sport- und Gerichtsbarkeit auf drei Schlagworte: "Vereinfachung des bisherigen Flickenteppichs, Modernisierung und besserer Service, da schneller und billiger."

Das Gespräch eröffnet hatte standesgemäß aber der Präsident. Dabei erinnerte Alfred Vianden noch einmal an den Tag der Amateure an Christi Himmelfahrt, als 20 der 21 Landesverbände des DFB ihre Verbandspokalendspiele in drei Zeitblöcken austrugen - die ARD übertrug in einer Konferenzschaltung nonstop. "Das war eine Werbeplattform für den Amateurfußball, wie sie besser nicht sein konnte."

Weit weniger glücklich zeigte sich Vianden über das Bild, das in der Öffentlichkeit zuweilen von Verbands-Spitzenfunktionären gezeichnet werde. "Da gibt es Probleme in der Wahrnehmung, werden wir auch gerne mal mit FIFA-Funktionären in einen Topf geworfen." Konkret spielte Vianden mit dieser Kritik aber auf eine große Serie im Fußballfachblatt kicker an, das im Frühjahr über etliche Wochen über Missstände speziell in Führungsetagen von Landesverbänden berichtet hatte - bevorzugt aber aus dem Norden und Südwesten der Republik. Die in der Serie wiederholt kritisierten saftigen Ordnungsgelder und Spielgebühren träfen zudem auf den FVM in dieser Form nicht zu, bekräftigte Vianden: "Diese Gelder machen gerade einmal zehn Prozent unserer Einnahmen aus."

Dazu wiederholte der Präsident seine grundsätzliche Kritik an der Finanzpolitik der Kommunen: "Es ärgert mich maximal, wenn Kommunen unter dem Deckmantel des Haushaltssicherungskonzepts den Erhalt und Bau von Sportstätten auf Vereine abwälzen. Das ist originäre Aufgabe der öffentlichen Hand. Der DFB muss da endlich sportpolitisch Farbe bekennen."

Die Fortschreibung des Masterplans erläuterte der neue FVM-Vizepräsident Jürgen Aust, die vermehrten Kommunikationsmaßnahmen in Bezug auf Vereine, Mitarbeiter und Lehrgangsteilnehmer Johanna Sandvoß, im FVM-Präsidium zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing. Sascha Hendrich-Bächer, Leiter der Sportschule, berichtete von den Schwierigkeiten beim Um- und Ausbau der Sportschule mit Behörden.

Ein leidenschaftliches Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung von Funktionären und Problemen hielt FVM-Geschäftsführer Dirk Brennecke - und forderte Vereinsvorstände zudem auf, "selbstbewusst gegenüber den Mitgliedern aufzutreten, wenn es um Beitragserhöhungen geht." Dabei erinnerte er auch an die "Cappuccino-Eltern", die DFB-Präsident Reinhard Grindel beim DFB-Bundestag im November 2016 in Erfurt massiv kritisiert hatte.

Wörtlich hatte Grindel das gesagt - und das verdient es, auch einmal komplett zitiert zu werden: "Das sind die Fälle, in denen der SUV um 16 Uhr auf das Vereinsgelände fährt. Die Tür geht auf. Kind wird abgeladen. Eltern fahren Cappuccino trinken und nach zwei Stunden, wenn sie ihr Kind wieder abholen, erwarten sie, dass der Zehnjährige seiner Karriere als Bundesligaprofi einen deutlichen Schritt näher gekommen ist, dass der Übungsleiter sämtliche häuslichen Erziehungsdefizite ausgeglichen hat, dass alles zur Gesundheitsprävention getan wurde, um die Currywurst-Pommes am Wochenende schadlos zu überstehen - und das Ganze für höchstens drei Euro im Monat. So kann Vereinsarbeit in Deutschland nicht funktionieren!"

(emo)
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