Serie Sie zogen in die Welt hinaus – Rolf Kalb Die deutsche Stimme des Snooker wuchs in Doveren auf
ERKELENZ · Ein Sport, der die Nerven von Spielern und Zuschauern gleichermaßen vor eine Zerreißprobe stellt. Rolf Kalb kommentierte aber auch bei sechs Olympischen Spielen Rudern.
Die von Rolf Kalb im ersten Innendeckel seines neuen Buches „Die faszinierende Welt des SNOOKER“ getroffene Feststellung, dass ein Snookermatch ein Psychothriller sein kann, der selbst Alfred Hitchcock erblassen ließe, sieht er nicht nur als Appetitanreger. Die inzwischen weltweit populärste Art, Billard zu spielen, mit dem weißen Spielball (ja man sagt Ball und nicht Kugeln), 15 roten und sechs weiteren andersfarbigen Spielbällen, erklärt er weiter so: „Ein Sport, der die Nerven von Spielern und Zuschauern gleichermaßen vor eine Zerreißprobe stellt. Egal, wie hoch der Vorsprung ist – ein Match kann immer noch kippen.“
Als Beweis dafür lässt sich der im Hückelhovener Stadtteil Doveren 1959 geborene Sportjournalist, der als die deutsche Snooker-Stimme beim Fernsehsender Eurosport einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt hat, auf fast acht Prologseiten über das WM-Finale 2018 aus. Das zog im Mai im Crucible Theatre in Sheffield, also in der „Kathedrale des Snookersports“, vergleichbar mit Wimbledon im Tennis oder der Aachener Soers im Reitsport, die Blicke der Snooker-Fans auf sich. Bekommt man beim Besuch des beinahe schon heiligen Ortes in der Grafschaft Yorkshire eine Gänsehaut, so entwickelte sich der Höhepunkt jeder Snookersaison, der sich über 17 Tage hinzieht, zu einem selten erlebten Zermürbungskampf, in dem sich mit dem vierfachen Weltmeister John Higgins und dem zweifachen WM-Gewinner Mark Williams zwei Giganten dieses Sports im Finale gegenüberstanden.
In der für Eurosport moderierten Live-Übertragung sieht Rolf Kalb im Überschwang seiner Gefühle gar „Snooker-Dinosaurier und lebende Legenden“ in einem Traumfinale. Um das zu erreichen, haben der Schotte Higgins und der Waliser Williams je schon 53 siegreiche Frames gespielt, ehe sie in das Finale mit „best of 35“, längstens verteilt in vier Sessions an zwei Tagen, an den Billardtisch traten. Es wurde eine Achterbahnfahrt, ein Psychokrimi, den auch Hitchcock nicht spannender hätte inszenieren können. Und Kalb begleitet die Ereignisse, die sich auf dem 12-Fuß-Turniertisch (3556 mm x 1778 mm) mit dem grünen Kammgarn-Tuch abspielen, mit der der jeweiligen Situation angepassten Stimme. Mit 14:7, also vier Frames vom WM-Titel entfernt, war Williams in die dritten Finalsession gegangen. Drohte Higgins die Höchststrafe? Nein, der Schotte zog mit brillantem Spiel den Kopf aus Schlinge, glich zum 15:15 aus. Aber Williams konnte seinerseits den Lauf von Higgins stoppen, zur 17:15-Führung sogar mit einem Century Break (100 Bälle oder mehr bei einem Tischbesuch). Im 33. Frame führte Mark Williams 63:0 und sah sich schon mit der WM-Trophäe in Händen. Rolf Kalb aber blieb noch zurückhaltend . . . und lag richtig: Higgins gewann noch 65:63, verkürzte somit auf 16:17. Nun musste Frame 34 zeigen, kann Higgins zum 17:17 ausgleichen, oder schafft Williams das 18:16 und würde nach 2000 und 2003 nach langer Durststrecke von 15 Jahren zum dritten Mal Weltmeister?
Der 43-Jährige wird Weltmeister, weil er die Ruhe selbst ist und schwierigste Stellungen löst, einmal sogar einen Ball diagonal den langen Weg über den ganzen Tisch sicher locht. Rolf Kalb: „Das sind die Momente, die den Snookersport so faszinierend machen, die keinen kalt lassen, jeder mitfiebert, man vor Anspannung und Aufregung feuchte Hände bekommt.“
Wir drehen die Zeit um 45 Jahre zurück: Das feuchte Händegefühl, das erlebte Rolf Kalb auch im Jahr 1973, da hatte er erstmals Kontakt mit dem Sportjournalismus. Zunächst als Begleiter seines fünf Jahre älteren Bruders Rainer (war schon freier Mitarbeiter bei der Rheinischen Post) bei einem sonntäglichen Besuch in der Redaktion Erkelenz: „Ich durfte den Kuchen tragen, mit dem meine Mutter die Arbeit in der Sportredaktion versüßte.“ Was ihn dann „geritten“ hat, schildert Rolf Kalb in Kapitel 3 „Wie für mich alles anfing“ seines Buches: „Tollkühn sprach ich den Sportredakteur (Anmerkung: übrigens der Schreiber dieser Zeilen) an, das würde ich auch gerne machen, finde ich spannend. Und Hans Groob schickte mich am folgenden Sonntag zu einem D-Jugend-Hallenfußballturnier nach Hilfarth, wohin ich mit dem Fahrrad fuhr.“ Es entstanden 40 Zeilen, produziert auf einer alten Reiseschreibmaschine. Den „Schulaufsatz“ schrieb/krempelte Hans Groob dann komplett um („Nee, Jung, so jeht et nit“), holte das Wichtigste nach vorne. Rolf Kalb: „Ich dachte schon, da habe ich meine Karriere gleich in den Sand gesetzt. Tags drauf war ich stolz auf meinen ersten Artikel. Ebenso darauf, dass ich erneut einen Termin bekam. Nun war ich dabei, entwickelte mich dank eines großartigen Lehrmeisters.“
Der legte Wert auf Allrounder: Fußball, Ringen, Boxen, Reiten – und auch Billard. Aber nicht das englische Snooker, denn auf dem Kontinent kannte man damals nur Karambolage: freie Partie, Ein- und Dreiband oder Cadre. Das aber half Rolf Kalb, als er 1982 Kontakt zum Deutschen Billard-Bund (heute Billard-Union) bekam, wo ein Pressesprecher gesucht wurde: „Der perfekte Job für einen Studenten der Mathematik und Informatik in Bonn.“ Bald reifte in ihm die Erkenntnis, die Uni hinter sich zu lassen und ganz die Seiten zu wechseln, war er doch mehr und mehr in den Sportjournalismus hineingewachsen als Zuarbeiter für Billard – auch für ARD und ZDF. Als 1989 dann die deutsche Redaktion von Eurosport aufgebaut wurde, „da wurde ich bald zum professionellen Fernseh-Fuzzi“, sagt der Doverener Jung.
Als zweiter Sohn von Gernot (Fahrsteiger bei der Zeche Sophia-Jacoba) und Hausfrau Hildegard Kalb erlebte er eine Kindheit, „die hier im Dorf wunderbar war. Wir brauchten keinen Abenteuerspielplatz, hatten den Wald direkt hinter der Tür. Bei manchen Dingen, die wir da angestellt haben, da verdrehe ich heute selber die Augen.“ Er besuchte den Kindergarten und die Grundschule in Doveren, wechselte dann auf das Cusanus-Gymnasium der damaligen Kreisstadt Erkelenz, wo er 1978 das Abitur baute. Es folgten Bundeswehr und Studium.
Verbindung in die alte Heimat hatte Rolf Kalb bis Mitte Juni 2017, dem Todestag seiner Mutter (der Vater war 49-jährig gestorben, da war Rolf gerade 16), regelmäßig. Sie war sehr stolz auf ihre Söhne (Rainer ist einer der bekanntesten deutschen Fußballjournalisten, lebt an der Loire in Frankreich), begleitete deren Lebensweg bis zuletzt sehr interessiert, hatte ein kleines Archiv angelegt. Auch jetzt verfolgen beide das lokale Geschehen rund um Doveren und den Kreis Heinsberg natürlich via Internet und über die sozialen Medien. Da verbindet sehr die Bergbau-Tradition: „Ich bin stolz darauf, Sohn eines Bergmannes zu sein, was ich auch immer wieder öffentlich mache. Dabei gilt mein Wunsch für Stadt und Region, diese Wurzeln nie zu vergessen.“
Dass der Lebensschwerpunkt jetzt Gütersloh ist, das hat mit der Liebe zu tun, 1985 hat er im Westfälischen seine Monika geheiratet. Lustige Episode dazu: „Als Kind hat man mir immer gesagt, ich würde mich wie ein Westfale anhören, was wohl am Hochdeutsch der Eltern mit leicht westfälischem Einschlag gelegen haben muss. Das hat mich als echter Doverener Jung immer gefuchst.“ Als er dann nach Ostwestfalen-Lippe gezogen war, meinte man dort, „man höre mir den Rheinländer drei Kilometer gegen den Wind an“. Kalbs Fazit: „Ich muss wohl der Bindestrich von Nordrhein-Westfalen sein.“
Durchs Mikrofon von Eurosport hat Rolf Kalb den Mix aus dem Westfälischen und Rheinischen zu einer Eigenmarke entwickelt, deren Wiedererkennungswert hoch ist. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb: „Dass Millionen die Snooker-WM verfolgen, das ist Verdienst des deutschen Kommentators Rolf Kalb.“ – „Eurosport-Kommentator Rolf Kalb ist Stimme und Gesicht des deutschen Snookers, seine Unterschrift ist begehrt wie die eines Stars der Szene“, hat „Der Tagesspiegel“ erkannt, während die „Berliner Morgenpost“ meint: „Kalb gelingt es, Neulinge vorm Bildschirm dozierend, aber nie belehrend mitzunehmen, gleichzeitig aber auch das Stammpublikum nicht zu langweilen.“ Da kommt es nicht von ungefähr, das er mit seinen Senderkollegen schon zum Grimme-Preis vorgeschlagen wurde. Wohl auch, weil er nicht nur als Snooker-Spezialist, sondern als Allrounder funktioniert, der auch Tanzsport, Taekwondo, Dart, Bowls, Gewichtheben, Basketball und Thai-Boxen vermitteln kann.
Bei den Olympischen Spielen von 1992 bis 2012 (Barcelona, Atlanta, Sydney, Athen, Peking und London) hat er die Ruderwettbewerbe für die TV-Zuschauer der Eurosport-Gruppe kommentiert. Immer mit dabei eine Erinnerung und Bezug zur Heimat: „Noch heute reise ich mit einem Klemmbrett der Rheinischen Post durch die Welt des Sports.“ Das nennt man wohl auch dankbare Verbundenheit zu den Wurzeln. Und man hört diese Bodenständigkeit stets auch nach einer mehrstündigen Fernsehübertragung bei seiner Verabschiedung, die immer sehr unaufdringlich-familiär und grüßend lautet: „Ihr/Euer Rolf Kalb.“
Fotos Rolf Kalb in der Kommentatorenkabine, in den 1960er Jahren auf einem Spielplatz in Doveren und mit seiner seiner stolzen Mutter Hildegard Kalb (1926-2017). Foto: Eurosport/Camera4, Fotos (2): Kalb