Serie Pape läuft (Folge 10) Huhu! Hallo! Oder Kuckuck!

Beeck · Gibt es so etwas wie den Läufergruß oder gibt es ihn nicht? Diesem Phänomen ist Christian Pape noch nicht auf die Schliche gekommen.

 Immer recht freundlich bitte: Lockeres Grüßen reicht, wenn man auf seiner Laufstrecke einen "Leidensgenossen" trifft.

Immer recht freundlich bitte: Lockeres Grüßen reicht, wenn man auf seiner Laufstrecke einen "Leidensgenossen" trifft.

Foto: Dirk Jansen/MANUS SINISTER

Einer Legende zufolge machte sich der griechische Bote Pheidippides nach dem Sieg der Athener in der Schlacht von Marathon auf den knapp 40 Kilometer langen Weg nach Athen und brach dort nach der Verkündung seiner Botschaft "Wir haben gesiegt!" tot zusammen. Dieser legendäre Lauf des Pheidippides wurde bei den Olympischen Spielen von Athen 1896 wieder aufleben gelassen - der erste organisierte Marathonlauf. 220 Jahre hat es gedauert, bis diese Idee auch bei mir in Wegberg-Beeck angekommen ist. Hoffentlich ohne Zusammenbruch.

Ich muss zugeben, neben all den Trainingsstrapazen macht das Projekt "Pape läuft" richtig Spaß. Und bei jedem Lauf lerne ich dazu. Einem Phänomen bin ich aber bis heute noch nicht auf die Schliche gekommen: Gibt es so etwas wie den Läufergruß oder gibt es ihn nicht?

Warum ich mir diese Frage stelle? Also, vergangenen Sonntagmorgen ging es für mich auf meine Hausstrecke, eine Zehn-Kilometer-Runde, die sich in den letzten Wochen bei mir so eingeschliffen hat. In der Regel begegne ich hier selten Läufern. Dieses Mal ist es anders. "Guten Morgen!", rufe ich einem Leidensgenossen freundlich entgegen, der sich mir schnaufend und mit angestrengtem Blick nähert. Kollegial winke ich ihm zu. Immerhin hat er sich wie ich aus dem warmen Bett gequält, seine Familie alleine am Frühstückstisch zurückgelassen, um nun einsam seine Laufrunden zu ziehen. Doch der Sportsfreund nimmt keinerlei Notiz von mir. Er fixiert stur irgendein Ziel auf der anderen Seite des Feldweges und läuft gruß- und wortlos an mir vorbei. Das gibt's doch nicht!

Aber vielleicht meint er es ja gar nicht so. Mein Vater zum Beispiel ist Westfale. Ich habe also quasi Migrationshintergrund. Meine Mutter ist eine waschechte Rheinländerin. Wenn der Westfale jemanden begrüßt, dann ist das Höchste der Gefühle, wenn er aus einem Meter Entfernung die Hand reicht - aber ohne Schütteln. Wenn wir Rheinländer begrüßen - Umarmung, Küsschen rechts, Küsschen links - dann hat das ja fast schon etwas von sexueller Belästigung. Zumindest in den Augen eines Westfalen.

Kam dieser nichtgrüßende Läufer vielleicht aus dem tiefsten Ostwestfalen? Oder gilt unter Läufern das Grüßen als Schwäche, ganz nach dem Motto: Nicht quatschen, laufen!? In meinem Kopf rattert es. Als ich früher mit der Linie 12 von Beeck nach Erkelenz zur Schule gefahren bin, habe ich immer beobachtet, wie die Busfahrer sich untereinander grüßen. Handheben, Nicken, vielleicht sogar Lichthupe. Ein Ausdruck der Zugehörigkeit: Wir Busfahrer, die wir sogar Ziehharmonika-Busse über schmale Dorfstraßen lenken, wir sind die wahren Kapitäne der Landstraße!

Auch Motorradfahrer heben zwei Finger vom Lenkrad und grüßen den Gleichgesinnten. Man weiß, man gehört einer nicht immer gemochten und gefährdeten Minderheit an und hält deshalb zusammen. Verdammt, ich bin über vierzig und trainiere auf einen Marathon hin. Man könnte sagen, ich bin auch eine gefährdete Minderheit! Grüßen sich Läufer untereinander wie Motorradfahrer, nur ohne Fliegen zwischen den Zähnen?

Ich weiß es nicht und laufe weiter. Ich biege um die Ecke auf einen langen, schmalen Weg. Der Weg geht zwei Kilometer schnurgeradeaus und ist nur so breit, dass man in den Graben springen muss, wenn hinter einem mal wieder ein Auto drängelt, das hier eigentlich gar nicht fahren darf. Ein typischer Feldweg eben. Da sehe ich leicht verschwommen am Ende des Weges einen anderen Jogger. Mist! Was mache ich jetzt? Grüßen oder nicht?

Vielleicht kennt Ihr folgende Situation: Du stehst vor einem Fahrstuhl und wartest. Dann öffnet sich die Tür und du gehst alleine rein. Die Tür schließt sich, doch bevor der Fahrstuhl los fährt, rumpelt es. Ein Fuß quetscht sich in den Schlitz und lässt die Tür öffnen. "Kann ich noch mit?", fragt eine fremde Stimme. Antworte in diesem Moment mal: "Nein!". Das gibt so ein schlechtes Karma, dass du die nächsten Jahre nur noch Treppen laufen solltest.

Und dann stehst du mit dem "Eindringling" in deinem Fahrstuhl. Nebeneinander. Du schaust verlegen auf den Boden, die Wände oder die rettende Etagenanzeige. Aber die Zeit vergeht nicht. Warum dauert das so lange? Werden die Stockwerke erst noch gebaut? Dann diese peinliche Stille, wenn man auf engem Raum so gezwungen zusammensteht. Man fängt ja auch kein Gespräch an: "Hallo, Sie auch hier?"

Auf meinem Feldweg geht es mir nun genauso wie im Fahrstuhl. Wir kommen uns immer näher. Soll ich einfach auf den Boden starren? Ich bin ja höflich erzogen. Früher als Kind musste ich sogar einen kleinen Diener machen, wenn die Familie beim Spazierengehen die Nachbarn getroffen hat.

Soweit würde ich heute beim Laufen nicht gehen. Aber wie beschämend ist es, wenn ich zuerst grüße, doch der andere Läufer verdreht nur die Augen. Oder er lacht mich verächtlich aus, weil ich nur so ein Hobbyläufer bin, der sich nicht auf seine Laufleistung fokussiert? Langsam muss ich mich entscheiden. Es sind höchstens noch 800 Meter. Meine Hand zuckt. Winke ich? Lächele ich? Nicke ich? 500 Meter. Oh Gott, auch das noch. Es ist eine Joggerin! Empfinden Frauen das Grüßen eines transpirierenden Mannes, der auch noch in hautengen Laufstrumpfhosen steckt, nicht als plumpe Anmache? Auf meiner linken Schulter sitzt ein Teufelchen, das mir ins Ohr flüstert: "Dreh um und lauf vor ihr davon!" Auf meiner rechten Schulter sitzt ein Engelchen und ruft: "Hör auf das Teufelchen!"

Nur noch 200 Meter. Schweiß läuft mir über die Stirn. Jetzt geht alles ganz schnell. 50 ... 30... 20 ... 10 ... Wir sind auf gleicher Höhe, sie lächelt mich an und winkt mir kurz zu: "Hallo!" Und schon ist sie wieder verschwunden. Was war das? Sie hat mich gegrüßt. Ganz freundlich, ganz entspannt, von selber. Danke! Seit diesem einschneidenden Erlebnis ist für mich klar: Von nun an grüße ich freundlich jeden auf meiner Laufstrecke. So wie es meinem Naturell entspricht. Am Anfang war ich noch ein bisschen zu ambitioniert. Küsschen rechts, Küsschen links - das stört den Trainingseffekt. Auf beiden Seiten.

Lockeres Grüßen reicht. Und wenn Ihr mir mal entgegenkommt, grüßt doch einfach freundlich zurück. Denn das gibt einfach ein gutes Gefühl. Wir alle da draußen rackern uns doch aus demselben Grund ab: Wir lieben die Natur und wollen was für unseren Körper tun. Jeder hat einen Gruß verdient. Fast hätte ich gesagt: Selbst dann, wenn er Stöcke in seinen Händen spazieren trägt.

Unser Autor Christian Pape (42) ist Humorist und Hobbyläufer. Am 2. Oktober 2016 Geht er gemeinsam mit RP-Redakteur Michael Heckers (42) beim Köln-Marathon an den Start.

(RP)
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