Analyse Hecking hat in den Köpfen aufgeräumt
Erkelenz · Dieter Hecking ist ein besonnener Mensch, es kommt selten vor, dass Borussias Trainer den Überblick verliert. In Köln war es aber so weit. Als Lars Stindl das 3:2 geschossen hatte, rief Hecking Jonas Hofmann zu, nun sei Ruhe ins Spiel zu bringen, um nicht auch die dritte Führung zu verspielen an diesem Tag. Hofmann grinste, und wer die Bilder unvorbereitet in der ARD-Sportschau sah, hätte meinen können, dass seine Reaktion an Ungehorsam grenzte. Dann aber lachte Hecking mit - denn er hatte kurz vorher eben diesen Hofmann ausgewechselt. Nun, die Episode wird beim Mannschaftsabend, den sich die Borussen am Samstag gönnten, der Running Gag gewesen sein.
Allerdings: Vor dem kurzen Verlust des Überblicks hatte Hecking alles richtig gemacht. Er hatte für Hofmann Josip Drmic gebracht und der war es, der Oscar Wendts Flanke an den Pfosten beförderte, den Nachschuss nutzte Stindl zum Siegtor. Drmic war also üppig an diesem Treffer beteiligt. Hecking sandte das richtige Signal aus, als er nach dem 2:2 der Kölner noch mal offensiv wechselte und einen Strafraumstürmer brachte: "Unser Weg ist Richtung Kölner Tor, wir wollen hier gewinnen." Eben dies, berichtete Ibo Traroré, der 73 Sekunden nach seiner Einwechslung zum 2:1 traf, hatte Hecking schon vor dem Derby klipp und klar vorgegeben. Die Anweisung wurde umgesetzt.
Heckings Weg ist die gewiefte Offensive, auch verbal. Er weiß natürlich, dass die Basis einer guten Offensive eine gut organisierte Defensivarbeit ist, doch es geht vor allem darum, offensiv mit den eigenen Stärken umzugehen. Hecking stärkt das Selbstvertrauen des Teams, weil er ihm stets seine Qualitäten vorführt - und Lust macht, diese auch auf den Platz zu bringen. Dass ein Team, das zuvor auswärts ein ängstlicher Haufen Verlierer war, nun gerade in der Fremde die wichtigsten Siege schafft, ist dennoch verblüffend. Das spricht dafür, dass Hecking die Köpfe der Seinen erreicht und mal so richtig aufgeräumt hat.
Der Trainer hat auch eine klare Ansage gemacht vor diesen entscheidenden Wochen: Ja, er schaut nur nach oben. Nach drei Spielen mit sieben Punkten braucht er nun ein Fernglas für den Blick nach unten. Denn aus vier Punkten sind zehn geworden, die der Relegationsplatz entfernt ist. Europa hingegen, sogar die direkte Qualifikation über Rang fünf, ist nur noch zwei Zähler entfernt. Binnen vier Tagen hat Borussia zwei Gegner besiegt, die vor ihr stehen - das ist ein klares Signal.
Noch gehen die Borussen insgesamt defensiv mit dem Thema Europa um, das gehört zum Selbstverständnis, das Manager Max Eberl vor einer Woche bei der Mitgliederversammlung in vier Worte gepackt hat: "Wir müssen kritisch, realistisch, bodenständig und erfolgsgeil sein", sagte er. Hecking setzt das um - offensiv und mit Betonung auf das letzte Adjektiv. Er kennt das Potenzial des Teams, aber auch die Mängel. Die wird er angehen in der Transferperiode. Doch er weiß: Der aktuelle Kader ist gut genug für die Europa-Plätze. Und er wird dem Team klar machen, dass es so ist. Er hat die Borussen überzeugt, was sie können und dass seine Ansagen Erfolg bringen. Der Erfolg eines Trainers hat auch mit Überzeugung zu tun, Hecking hat den Borussen zur rechten Zeit bereit gemacht, Großes zu schaffen. Nun muss er ihnen nur noch klar machen: Weiter so, dann wird das was mit Europa.
KARSTEN KELLERMANN