Geistliches Dreigestirn in Heinsberg Jesus Alaaf!

Die Stadt Heinsberg hat in dieser Session ein besonderes Dreigestirn: Jungfrau, Prinz und Bauer sind allesamt Pfarrer. Das ist ein Novum in ganz Deutschland. Wie meistern sie den Spagat zwischen Kirche und Bühne?

Karneval 2018: Das geistliche Dreigestirn aus Heinsberg
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Das geistliche Dreigestirn aus Heinsberg

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Foto: Sabine Kricke

Pfarrer René Mertens spitzt die Lippen und trägt ganz vorsichtig die zart-rote Farbe auf. Ein handlicher silberner Spiegel dient als Hilfsmittel. "Jetzt bin ich fertig", sagt der 44-Jährige, strahlt über das ganze Gesicht und wirft lässig seine langen Zöpfe über die Schultern. Nun ist er nicht mehr Pfarrer Mertens, sondern Jungfrau Reni.

In diesem Jahr hat die Stadt Heinsberg im Karneval ein besonderes Dreigestirn - ein bundesweites Novum: Wie Jungfrau Reni, sind Prinz Markus der I. (katholischer Probst Markus Bruns) und Bauer Martin (evangelischer Pfarrer Martin Jordan) allesamt Geistliche und eigentlich im Namen der Kirche unterwegs, um das Wort Gottes zu verkünden. Nebenbei karnevalistisch aktiv sind die drei bereits seit mehreren Jahren. Als die Pfarrer 2012 bei der Erstürmung des Heinsberger Rathauses beisammen standen, kam ihnen die Idee zum geistlichen Dreigestirn. "Der Probst meinte: Was die können, das müssten wir doch auch hinbekommen", erzählt Mertens, während er sich für den Auftritt in seinem Heimatort Gangelt-Stahe bereit macht.

"Das mit dem Kleid ist gar nicht so einfach", sagt der Pfarrer, als er versucht, in das prächtig verzierte Ganzkörperkostüm zu schlüpfen. "Als Prinz war das damals leichter." Im Jahr 2012 stand Mertens schon einmal als Hauptfigur, Prinz René, auf der Bühne des Heinsbergers Karnevals. "Da ging das Kleid aber nicht bis zum Boden", erinnert er sich. Sein Adjutant Willi Schröder hilft beim Anlegen des Umhangs. Kaum sitzt das Gewandt, widmet sich der 44-Jährige seiner blonden Mähne. "Die darf natürlich nicht fehlen." Gekonnt platziert er die Perücke mit zwei geflochtenen Zöpfen auf seinem Haupt. Noch ein kurzer Blick in die kleine Handtasche: Handy, Lippenstift, Orden, Taschentuch — alles dabei.

Für Mertens gehören Kirche und Karneval eng zusammen: "Beides schließt sich nicht aus — sie bedingen sich ganz klar", sagt Mertens. Schließlich läute der Karneval auch die christliche Fastenzeit ein. Als Pfarrer im Karneval sieht Mertens eine Chance: "Wir können hier Menschen erreichen, die wir sonst nicht erreichen würden", sagt er. Seit seiner Zeit als Karnevalsprinz habe er bemerkt, dass sogar mehr Menschen in die Messe kommen. "Wenn Kirche sich nur auf althergebrachte Formen stützt, dann wird es irgendwann schwierig werden. Wir müssen auf die Menschen zugehen", sagt Mertens.

Bevor es zum großen Auftritt beim Frühschoppen geht, trifft sich das Dreigestirn Mertens, Bruns und Jordan mit den anderen Karnevalisten des Heinsberger Karnevalsvereins (HKV) in einer Gaststätte unterhalb der Kirche. Für die Prinzengarde gibt es das erste Bier, die drei Pfarrer bleiben bei Cola. "Wenn alle Termine vorbei sind, wird auch mal ein Bier getrunken", verrät Adjutant Schröder. Er begleitet Jungfrau Reni zu allen karnevalistischen Terminen. "Das ist manchmal auch ein bisschen anstrengend", sagt der 70-Jährige.

Auch für Mertens ist das Dasein als Jungfrau Reni im Dreigestirn nicht immer ohne Mühe. Neben den jecken Aktivitäten gehen alle drei Geistliche ihren Verpflichtungen als Pfarrer nach. Dazu gehört auch, Sterbende auf ihrem letzten Weg zu begleiten. "Das habe ich erst heute Nacht noch getan", sagt Mertens. Ein älterer Herr lag im Sterben, um 1 Uhr nachts klingelte bei Mertens das Telefon. Am Morgen um neun Uhr hielt der Pfarrer dann die erste Messe. "Das Bett habe ich heute Nacht nicht wirklich gesehen", sagt Mertens. Manchmal falle es ihm nicht leicht, nach einem traurigen Ereignis den Schalter umzulegen und kurze Zeit später wieder jeck unterwegs zu sein. "Das gehört aber dazu. Da muss man manchmal alle Kraft zusammennehmen", sagt Mertens und steigt in den kleinen Bus, in dem das Dreigestirn zu all seinen Terminen gefahren wird.

Als das Dreigestirn im Festzelt in Gangelt-Stahe ankommt, steppt der Bär. Das mag auch daran liegen, dass Jungfrau Mertens nur wenige Meter vom Festzelt entfernt aufgewachsen ist. "Bei solchen Terminen nimmt man sich ein bisschen mehr Zeit, um alle zu begrüßen und mit den Leuten zu reden", sagt Mertens, als er einer älteren Damen und ihrem Rollator Platz macht und sie herzlich drückt.

Während auf der Bühne die Tanzmariechen ihre Beine in die Höhe werfen, wird es bei Pfarrer Mertens kurz hektisch. Die roten Schleifen, die seine geflochtene blonde Mähne zusammenhalten, haben sich gelöst. Adjutant Willi ist sofort zur Stelle und hält dem Pfarrer seinen silbernen Spiegel vor das liebliche Antlitz. Flink bindet Jungfrau Reni die kleinen Schleifen wieder fest - weiter geht's.

Auf der Bühne lässt sich Mertens von der kurzen Schrecksekunde nichts anmerken. Aus tiefster Seele schmettern er, Prinz Markus und Bauer Martin ihr eigenes Sessionslied "Wir stehen zusammen in Spass und Freud". Geschrieben hat den Song Mertens, musikalisch begleitet Pfarrer Martin Jordan die Drei auf der Gitarre. Die Rollenverteilung war bei den Dreien recht schnell klar. Als Ranghöchster des geistlichen Trios hatte Probst Markus Bruns schnell die Rolle des Prinzen inne, Pfarrer Jordan freundete sich mit der Rolle des Bauern an. "Da mein Großvater Bauer war und mein Vater auf dem elterlichen Hof öfter gearbeitet hat, war ich mit der Rolle sehr zufrieden", sagt Jordan. Auch Mertens fühlt sich wohl im Kostüm der Jungfrau. "Sie steht im Kölner Karneval ursprünglich dafür, dass die Stadt nie richtig eingenommen wurde und sich immer ihre Unabhängigkeit und Unbiegsamkeit erhalten hat. Und dieses 'Sein dürfen, wie man eben ist' - das ist für mich sehr wichtig", sagt Mertens.

"Die Karnevalisten sind einfach wie eine große Familie", sagt Probst Markus Bruns nach dem Auftritt. Auch er hat am Morgen noch eine Messe gehalten, bevor es auf die Bühne ging. "Da sagte ein Messdiener zu mir: 'Heute kann ich nicht so lange, ich muss noch weg wegen Karneval'. Da musste ich schon schmunzeln", sagt Bruns.

Für die drei jecken Geistlichen geht es nach dem Heimspiel in Gangelt-Stahe noch zu zwei weiteren Veranstaltungen. Zwischendurch will sich Mertens eine Bratwurst gönnen. "Man muss ja auch mal etwas essen", sagt der Pfarrer. Die körperliche Anstrengung halte sich in der Session noch in Grenzen. "Aber mental ist es manchmal nicht ganz so leicht", sagt Mertens. Zuerst muss er eine Beerdigung vorbereiten, bevor es am Dienstag wieder als gut gelaunte Jungfrau Reni nach Düsseldorf in den Landtag geht. "Auch wenn ich immer denke 'et hätt noch immer jot jejange' — manchmal, im Stillen, da schickt man schon ein kleines Gebet nach oben", sagt Mertens. Rund 15 Termine haben er und sein Dreigestirn bis Altweiber noch vor sich. Und nach Karneval geht es für den 44-Jährigen gleich weiter im rheinischen Brauchtum. Dann wird er dem HKV-Präsidenten Richard Deußen, der in diesem Jahr Schützenkönig ist, zur Seite stehen.

Närrische Gottesdienste finden am 4. Februar, um 11 Uhr, im Selfkant-Dom und am 11. Februar, ab 10 Uhr, in der Christuskirche statt.

(skr)
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