Kreis Heinsberg Der genaue Blick verschärft das Problem

Kreis Heinsberg · Armut, besonders bei Frauen, ist im Kreis Heinsberg ausgeprägter als offiziell verkündet. Die Armutskonferenz legt ihren halbjährlichen Bericht vor und macht diese Aussage zu ihrem Diskussionsthema.

Für die neue, noch zu bildende Bundesregierung gibt es aus dem Kreis Heinsberg sofort einen Auftrag. Die Bekämpfung der Armut sollte vordringliches Ziel im Berliner Reichstag sein. Das forderte im Namen vieler Betroffener erneut die Armuts- und Arbeitsmarktkonferenz (RAAK) bei ihrer Herbsttagung. Als Zusammenschluss der Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände legt die Konferenz immer wieder den Finger bewusst in eine Wunde, deren Heilung die Anstrengung von Politik und Gesellschaft gleichermaßen verlangt. Das betonte Johannes Eschweiler von AMOS eG als einer der drei Sprecher.

Als Schwerpunkt stand diesmal die Armut bei Frauen im Vordergrund der Herbsttagung. Und Thomas Hartmann als DGB-Vertreter machte dabei deutlich, dass bereits bei offiziellen Statistiken das Problem "schön" geredet würde. Geringfügig beschäftigte Frauen fielen aus den Statistiken, obwohl sie wahrlich von ihrem Einkommen nicht leben könnten. Auch die "stille Reserve", diejenigen, die nicht bei der Agentur für Arbeit registriert sind, verbesserten zu Unrecht die offiziellen Aussagen. Hinzu kommen die Hartz-IV-Aufstocker in Nordrhein-Westfalen, laut Hartmann immerhin 27 Prozent. Die Zahl der offiziell im Kreis Heinsberg als arm Gekennzeichneten sei damit deutlich höher.

"Im Kreis Heinsberg gibt es Armut, und wir dürfen davor auch nicht die Augen verschließen", betonte Hartmann. Seine Aussagen wurden gestützt von den Berichten von Gertrud Grotthaus, die als Sprecherin der Katholischen Arbeitnehmerbewegung im Kreis Heinsberg über ausgeprägte Erfahrungen mit armen und verarmten Menschen, insbesondere Frauen, verfügt. "Die Berichte einzelner über tägliche Nöte, Schamgefühle und Desillusionierungen sind erschütternd", stellte Grotthaus nüchtern fest.

Das Beispiel einer 69-jährigen Rentnerin, deren Grundrente von 804 Euro nach den Abzügen auf ganze 270 Euro zum Leben schmilzt, war als Appell an alle Verantwortlichen gedacht. Nach dem Autoverkauf wurde das Leben auf dem Land mit sehr eingeschränkten öffentlichen Verkehrsmitteln zusätzlich schwerer. "Essen gehen, ein Geschenk an die Enkel, mal ein Kino-Besuch - undenkbar. Ihre Kinder kaufen der Oma das Geschenk, das die Enkel dann bekommen."

Konsequenterweise forderte die Armuts- und Arbeitsmarktkonferenz, die künftig häufiger über ihre Arbeit informieren will, zunächst mehr Ehrlichkeit bei statistischen Veröffentlichungen. Daneben müsse der Niedriglohnsektor abgeschafft und der Mindestlohn erhöht werden. Nicht Arbeitslosigkeit dürfe finanziert werden, sondern Beschäftigung, die von möglichst langer Dauer sei. Dazu gehöre auch die Kontrolle von Lohn und Arbeitsschutz, denn im Kreis Heinsberg sei die Schwarz- und Schattenarbeit ausgeprägt und kaum wirksam kontrolliert. Als Fazit forderte die Armutskonferenz eine Grundsicherung und Grundrente, damit die Benachteiligten im Kreis Heinsberg tatsächlich die Chance auf ein würdiges Leben erhalten.

(maut)
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