Verschwundenes Tier im Krefelder Zoo Warum Erdmännchen Toni von seinem Nachwuchs schmerzlich vermisst wird
Krefeld · Toni Erdmann ist verschwunden. Das tut besonders dem Nachwuchs weh. Denn der Chef der Erdmännchen im Krefelder Zoo war der wichtigste Lehrer der Jungtiere - er brachte ihnen bei, was sie zum Leben brauchen.
Putzig sieht es aus, wie das Mini-Erdmännchen an der Lodge im Zoo nach Würmern buddelt. Doch woher weiß Krefelds erster Nachwuchs, der seit kurzem den afrikanischen Namen „Amari“ bekam, wie und wo er graben muss? „Er geht zur Schule“, sagt Tierpflegerin Yvonne Wicht.
Richtig gehört. Auch den munteren Erdmännchen ist nicht alles Wissen von Mutter Natur in die Wiege gelegt worden. Und so drückt das Kleine, Geschlecht noch unbekannt, derzeit täglich die Schulbank.
„In Krefeld hatten wir die besondere Situation, dass wir zwei junge Weibchen und einen erfahrenen Mann haben. Die Weibchen wussten anfangs gar nicht, was sie mit dem Baby machen sollten. Toni musste ihnen alles zeigen. Er hat sich rührend um das Kleine gekümmert und war der Babysitter schlechthin“, erinnert sich Yvonne Wicht wehmütig.
Nun ist Erdmann Toni bekanntlich verschwunden. Sein Verbleib ist bis heute ungeklärt. Glücklicherweise hatten sich die Weibchen Traudi und Rosi bereits das richtige Verhalten von Toni abgeschaut und umsorgen „Amari“ inzwischen liebevoll. „Die Mädels waren noch so jung, als sie aus dem Tierpark Suhl zu uns kamen, dass sie die Aufzucht der Jungen noch nicht gelernt hatten. Deswegen ist es auch gut, dass es zuerst nur ein Jungtier gab.“
Erdmännchen müssen gemeinsam kämpfen lernen
Erdmännchen müssen in der Schule gut aufpassen, um das Leben im Sozialverband zu meistern. So verteidigen sich die kleinen Schleichkatzen als geschlossene Gruppe gegen Feinde und können in einer Formation von sechs oder sieben Tieren sogar einen Fuchs in die Flucht schlagen.
Auch das wussten die beiden Schwestern Traudi und Rosi nicht, als sie nach Krefeld kamen. Und so stand Toni eines Tages einer Katze, die sich vom Futter angelockt durch das Rohr ins Innere der Anlage gequetscht hatte, alleine gegenüber. Seine Weibchen waren geflüchtet und hatten sich ängstlich in die hinterste Ecke verkrochen.
„Damals ist nichts passiert. Die Katze wollte nur vom Futter naschen und ist dann wieder gegangen. Inzwischen haben wir den Eingang auch so verkleinert, dass keine Katze mehr durchpasst“, sagt die Tierpflegerin.
Stand Toni vielleicht trotzdem am Tag seines Verschwindens einem Angreifer allein und damit hilflos gegenüber? Keiner weiß schließlich, ob die Weibchen durch den Besuch der Katze ihre Lektion gelernt haben. Und ein einzelnes Erdmännchen ist leichte Beute.
Eltern bringen Jungtieren bei, wie man Skorpione frisst
In der freien Wildbahn in den Savannen und Halbwüsten im südlichen Afrika müssen die Mangusten nicht nur lernen, sich vor Feinden zu schützen, sie müssen auch mit giftigen Beutetieren wie Skorpionen fertig werden. Um den Nachwuchs an die gefährliche Beute zu gewöhnen, bringen die erwachsenen Tiere zuerst tote Skorpione zu den Jungtieren. Im zweiten Schritt lebt die Beute zwar, hat aber keinen Giftstachel mehr, der vorsorglich von den Alten zuvor abgebissen wurde. Erst wenn der Nachwuchs die lebenden Skorpione geschickt tötet, bekommt er einen unversehrten, also giftigen Krabbler vorgesetzt. „Im Zoo werden natürlich keine Skorpione verfüttert. Ich habe aber ein ähnliches Verhalten bei Grillen und Heuschrecken beobachtet“, sagt Yvonne Wicht.
Was fressbar ist, musste auch Erdmann-Junior erst lernen. Das fing mit Mehlwürmern an, die das Trio dem Kleinen brachte und ihm auch zeigte, dass man die Leckerbissen gefahrlos aus der Hand der Tierpfleger annehmen kann. „Inzwischen frisst mir das Jungtier auch aus der Hand“, erzählt Yvonne Wicht.
Sie setzt lebende Grillen und Heuschrecken in die Anlage, die von den Raubtieren gejagt werden. Dem Nachwuchs brachte das Trio jedoch zuerst nur tote Heuschrecken. Im zweiten Schritt knabberten Toni, Traudi und Rosi die Grillen an, damit sie vor „Amari“ nicht mehr flüchten konnten und leichte Beute waren. Inzwischen hat der Schüler gelernt, auch unversehrte Heuschrecken zu fangen und zu verspeisen.
„Amari“ lernte zu flüchten, wenn der Warnruf ertönt
Auf die Außenanlage durfte der Junior ebenfalls nicht sofort. Er musste erst die Regeln lernen. So hielt sich das Jungtier anfangs nur am Ausgang auf. Wie es Erdmännchen-Art ist, schob ein erwachsenes Tier in aufrechter Position auf einem Stein Wache und hielt Ausschau nach Bussarden, Katzen und anderen Feinden. Erklang der Warnruf, musste das Kleine sofort im Bau verschwinden. Hörte es nicht, wurde es von den Eltern und der Tante ins Versteck geschleppt. Erst als der geordnete Rückzug klappte, durfte sich das Mini-Männchen weiter auf die Anlage wagen.
„Man konnte gut beobachten, wie Amari bei jeder Taube, die über das Gehege flog, zusammen zuckte, während der Wächter völlig unbeeindruckt blieb. Wann wirklich Gefahr droht, dieses Wissen müssen sich die Tiere ebenfalls erst aneignen. Es ist die hohe Schule der Erdmännchen-Ausbildung“, erklärt die Zoo-Mitarbeiterin.
Auch die Schwestern waren noch keine ausgebildeten Wächter, als sie in die Krefelder Erdmännchen-Anlage einzogen. Stundenlang saßen sie bei Toni und ließen sich das richtige Verhalten zeigen. Auch der im März geborene Kleine muss nun diese wichtige Aufgabe, die das Überleben der Gruppe sichert, von der Pike auf lernen.
Sogar Graben müssen Erdmännchen lernen
Doch wenigstens das Buddeln, sollte man meinen, ist bei Scharrtieren angeboren. Weit gefehlt. „Die Bewegung vielleicht, das gezielte Graben jedoch, durch das die charakteristischen Höhlengänge entstehen, müssen Erdmännchen erst lernen“, erklärt Wicht und zeigt auf den Kleinen, der noch ziellos mal hier, mal da buddelt. „Er wird aber schon bald lernen, wie und wo Höhlen und Gänge angelegt werden. Im Zoo sorgen wir natürlich dafür, dass die Gänge immer wieder einstürzen, damit das System von den Tieren neu aufgebaut werden kann.“
Die Tierpflegerin hofft, dass es schon bald neuen Nachwuchs bei Familie Erdmann geben wird. Traudi und Rosi haben eifrig gepaukt und inzwischen die Erdmännchen-Schule abgeschlossen. Denn anders als viele Kinder gehen Erdmännchen gerne zur Schule. Yvonne Wicht: „Es sind sehr fleißige Tiere, die keine Langeweile kennen. Irgendwas gibt es schließlich immer zu tun.“