Krefeld Woodstock in Krefeld

Krefeld · Er rockt mit Status Quo die Arenen-Bühnen, ist Stamm-Gitarrist von Peter Maffay und liebt Konzerte mit Club-Atmosphäre: Am Samstag, 16. August, kommt Carl Carlton in die Friedenskirche und will den Geist von Woodstock wiederbeleben.

Krefeld: Woodstock in Krefeld
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Ein Film über Carl Carltons Leben müsste in einer ostfriesischen Wohnküche beginnen. Erste Einstellung: der damals 14-Jährige im Gespräch mit seiner Oma. Die stützt sich auf den Besen, zuckt mit den Achseln und seufzt: "Carl Walter, was willst du denn in Hollywood?" Das, was sie für Flausen hielt, waren die ersten Symptome eines dramatischen Woodstock-Befalls. "Mit 14 habe ich ,Easy Rider' im Kino gesehen und wusste - da muss ich hin", erzählt Carlton. Er hat's geschafft. Der Musiker, der mit Status Quo und Peter Maffay die großen Bühnen rockt, lebt seit Jahren unter anderem in Woodstock. Die Künstlerkolonie, in die bisher keine Konsumkette vordringen konnte, ist für ihn nie versiegende Inspirationsquelle. Den Geist von Woodstock will Carlton am kommenden Samstag dem Publikum in der Friedenskirche vermitteln. "The Spirit of Woodstock" ist der Nachholtermin für das für März geplante Konzert, das er wegen einer Lungenentzündung absagen musste.

"Woodstock hat Wurzeln. Es steckt viel mehr dahinter, als das, was 1969 durch das Festival legendär geworden ist: Woodstock ist eine über hundert Jahre alte Künstlerkolonie. Dort haben sich Maler, Schriftsteller, Musiker und Freidenker angesiedelt, die raus aus Manhattan wollten. Woodstock liegt in einer Märchenlandschaft am Hudson. Dort leben auch Indianerstämme. Der Ort hat einen Spirit, wenn man dafür empfänglich ist, spürt man ihn. Janis Joplin war da, Bob Dylan, Eric Clapton", erzählt Carlton. Und darum wird er im Konzert nicht nur Songs singen und spielen, sondern auch seine eigenen Geschichten dazu erzählen.

Carlton ist ein Geschichtenerzähler, dem man atemlos zuhört, wie er mit der Gitarre in das Abenteuer aufbricht, Mitglied der niederländischen Rockformation Herman Brood wird, sich mit Udo Lindenberg anfreundet...: "Meine Eltern sind sehr früh gestorben. Es war kein Nest mehr da, aus dem ich geflüchtet wäre, ich wollte weg vom Land. Ich habe die Musik der Stones und der Beatles gehört - und dann Muddy Waters - das wollte ich auch."

Ein Lied hat ihn als Jugendlicher besonders geprägt, "The Weight" der "Band". Die darin besungene Anna Lee hat ihn gefesselt. Dass er viele Jahre später ein enger Freund von Levon Helms, dem "Woodstock"-Star von "The Band" werden würde, ist einer jener Zufälle, die vielleicht auch Schicksal sind. Und in Carltons Leben setzten Zufall und Schicksal immer noch ein Krönchen drauf: Als er vor einigen Jahren seinen Freund Helms in Woodstock besuchte und im einzigen Krämerladen einkaufte, sprach ihn eine Frau an. Sichtlich angetan von dem zwei Meter langen Deutschen fragte sie, was ihn nach Woodstock treibe. "Ich erzählte es ihr. Und sie sagte, ich müsse unbedingt Levon kennenlernen, er sei ein ganz alter Freund von ihr - und sie sei Anna Lee. Das war die Frau aus dem Song. Ich war platt."

Levon Helms Tod vor zwei Jahren und der Verlust seinen zweiten wichtigen Lebensfreundes Robert Palmer haben bei Carlton Spuren hinterlassen. Die wilden Partys mit den Stones, die dicken Autos und die verprasste erste fürstliche Gage - alles, was zum Bilde des Rockers gehört, hat Carlton erlebt. "Aber ich bin mehr Blues als Rock, mehr Singer Songwriter", sagt er. Und deshalb braucht er auch ein Entschleunigungsprogramm wie den "Woodstock"-Abend, wo er mit jedem Song eine Geschichte verbindet - und diese auch erzählen kann.

"Mir ging es nie so sehr um Erfolg und Geldverdienen. Beides ist toll. Aber ich setze mich mit Inhalten auseinander." Ein Notizbuch trägt er immer bei sich - ein Gedanke, eine Beobachtung, eine Zeile aus der Zeitung könnten Stoff für eine musikalische Bearbeitung liefern. "Ich lese wahnsinnig viel. Mein ständiger Drang, mich weiterbilden zu wollen, liegt vielleicht daran, dass ich früh von der Schule abgegangen bin. Aber ich will wissen, was in der Welt los ist, wie die Zusammenhänge sind", sagt. Er hat ein Haus auf einer maltesischen Insel. Da ist es für ihn selbstverständlich, dass er die Geschichte Maltas kennt. "Ich kann die Situation in der Ukraine auch aus ihren historischen Zusammenhängen heraus erklären.

Und dann bröckeln noch mehr Steinchen aus dem Klischeebild des rockenden Gitarrenstars: "Ich lese immer im Wechsel einen Klassiker und einen zeitgenössischen Autor. Zu meinen großen Favoriten zählt F. Scott Fitzgerald".

Der große Gatsby - keine so abwegige Idee mehr nach einem längeren Gespräch mit Carlton, der viele stille Töne anschlägt und mit entwaffnender Offenheit auch über Ängste spricht. "Ich kenne Versagensangst: Was ist, wenn ich morgen keinen Song mehr schreiben kann?" Eine jahrzehntelange Karriere ist kein Ruhekissen. Aber davon erzählt er vielleicht am Samstag in der Friedenskirche.

(RP)
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