Kunst in Krefeld Wiederentdeckung einer Krefelder Stadtmalerin

Krefeld · Von 1905 bis 1919 hat Agnes Kaiser Krefelder Häuser und Winkel gemalt und gezeichnet. Heute ist sie vergessen. Mauga Houba-Hausherr hat sich auf ihre Spuren begeben und die Ansichten von einst aus der gleichen Perspektive neu und in eigenem Stil gemalt. Zwei Künstlerinnen ihrer Zeit im Dialog über ihre Stadt. Eine Einladung zur Krefeld-Betrachtung.

Fotos: Bilder einer Krefelder Stadtmalerin
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Bilder einer Krefelder Stadtmalerin

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Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Agnes Kaiser war eine Erscheinung. Wenn sie mit ihrem Florentinerhut und den Reformkleidern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die modemutigsten Frauen von den einengenden Korsetts befreiten, durch Krefeld ging, drehte sich mancher nach ihr um. Sicherlich war sie Gesprächsthema, eine Frau, die zu Spekulationen anregte. Denn es war nicht einfach, mit ihr in Kontakt zu treten. Fast 20 Jahre lang hat die Tochter eines Lehrers oder Pastors aus Pommern in Krefeld gelebt. Etwa ein Dutzend Mal ist sie innerhalb der Stadt umgezogen. Sie galt als unnahbar, als stolz, gar als hochnäsig. Als Künstlerin wurde Agnes Kaiser von ihren Zeitgenossen nicht geschätzt. Als sie 1931 im Alter von 66 Jahren in Den Haag starb, hatte Krefeld sie längst vergessen.

Dabei verdankt die Stadt ihr eine ganz besondere Dokumentation. Zwischen 1905 und 1919 hat Agnes Kaiser „Alte Krefelder Häuser und Winkel“ gezeichnet und gemalt. Die Bilder, von denen ein Teil in den Magazinen des Museums Burg Linn und des Kaiser-Wilhelm-Museums schlummern, sind 1983 in einer Wiederentdeckungsausstellung präsentiert worden. Sie haben viel Resonanz gefunden, etliche Krefelder haben Häuser und Winkel von damals  - und die Künstlerin Agnes Kaiser -wiederentdeckt.

Und danach wieder vergessen.

Bis jetzt. Es war ein Zufall, dass der Künstlerin Mauga Houba-Hausherr der antiquarische Band in die Hände fiel, den die Sparkasse Krefeld 1983 zur damaligen Ausstellung in der Linner Burg herausgegeben hat.  Als Malerin war sie begeistert von dem Futter, das ihr die Kollegin vor rund einem Jahrhundert hinterlassen hat, von der Akribie der Zeichnung, von der Fantasie, mit der sie die Stile wechselte und auch der Künstlerin in sich Raum schuf. Als Frau ist Mauga Houba-Hausherr fasziniert von der Persönlichkeit, über die so wenig zu erfahren ist. Wo biografische Daten fehlen, hilft das Gespür. So hat sich die Krefelderin in den vergangenen Monaten auf Spurensuche begeben und die Orte ausfindig gemacht, an denen Agnes Kaiser einst gestanden hat.

Manchmal war das einfach: das Rathaus ist das Rathaus; das Floh’sche Haus ist das Floh’sche Haus; die Burg Linn ist – nein, kein so einfacher Fall. Denn wo einerseits so gut wie nichts verändert ist, da gibt es an anderen Stellen Umbauten, Reparaturen von Kriegsschäden, Modernisierungen. Manche Orte sind bis zur Beinahe-Unkenntlichkeit umgestaltet, bebaut oder zugewachsen. „Oft war es Detektivarbeit, die Stelle zu finden, an der Agnes damals gemalt hat. Aber – auch wenn es seltsam klingt  - manchmal habe ich es tatsächlich gespürt, dass ich da bin, wo sie einst war“, sagt Mauga Houba-Hausherr.

Zwei Künstlerinnen, zwei Jahrhunderte, eine Stadt: ein Dialog. Denn so unterschiedlich wie sie selbst sind, ist ihre  Mission. Agnes Kaiser folgte dem städtischen Auftrag, Krefelder  Architektur- und Kulturgeschichte zu bewahren. „Das Stadtbild Crefelds erneuert sich von Jahr zu Jahr. Das Alte muß weichen, um neuen Straßenablagen und Gebäuden Platz zu machen. Es werden nicht viele Generationen vergehen, bis von dem alten Crefeld nichts mehr vorhanden ist. Es ist eine ernste Pflicht, die alten Häuser, welche dem Abbruch verfallen, wenigstens im Bilde für die Nachwelt festzuhalten“, heißt auf einem Flugblatt zu Kaisers Ausstellung im KWM 1913, aus dem Professor Renate Pirling, ehemalige Leiterin des Museums Burg Linn,   im Vorwort zum 1983 erschienenen Bildband zitiert.

Es kam auf die Dokumentation an. Viele Zeichnungen sind bis ins Detail akribisch ausgeführt. Doch manchmal brach die Künstlerin durch, da blühten üppige Rhododendren auf Aquarellen, sorgten spielende Kinder, eine Kutsche, eine achtlos abgestellte Gießkanne für Atmosphäre. Für Kaiser war es ein Brot-Auftrag (zwischen 25 und 40 Mark hat es pro Blatt gegeben). Verdankt hat sie dieses kleine Einkommen dem ersten Direktor des KWM, Friedrich Deneken. Der hatte die junge Frau in Norddeutschland entdeckt und 1899 nach Krefeld geholt mit der Aussicht auf den Posten der Restauratorin im noch flammneuen Museum. Daraus wurde nichts. Doch 1905 erhielt sie den Auftrag, den sie gewissenhaft erfüllte, auch während der Kriegsjahre.

2020 rückt die Frau, die offenbar kaum soziale Kontakte hatte und von niemandem Hilfe annehmen wollte, wenn das spärliche Einkommen, das sie aus einer Malschule für Mädchen und junge Frauen bezog, nicht mal mehr reichte, um Essen und Futter für ihre Katze zu kaufen, wieder in den Vordergrund. Durch eine Krefelderin, die in ihrer Stadt sehr präsent ist, extrovertiert und leidenschaftlich: Mauga Houba-Hausherr.

Diese Renaissance ist auch Corona zu verdanken. „Eigentlich war mein Kalender voll mit Ausstellungen und Projekten. Den ganzen Sommer wäre ich unterwegs gewesen und hätte für ein so aufwändiges Projekt gar keine Zeit gehabt“, erklärt Mauga Houba-Hausherr. Ihr Ziel ist es, alles, was ihre Kollegin einst auf Zeichenpapier und Leinwand verewigt hat, ebenfalls im status quo zu erfassen. Dafür zieht sie mit Malausrüstung und Staffelei durch Krefeld. „Ich muss vor Ort malen, um mich ganz darauf einzulassen“, sagt die Künstlerin. Auf die sorgfältige Vorbereitung folgt das Bauchgefühl. Welche Farbe im Bild dominieren wird, ist eine Frage der Intuition. Denn die Bilder sind keine puren Bestandsaufnahmen der Gegenwart, sondern neue Interpretationen im „Mauga-Stil“ mit freier, offener Linie. Licht und Schatten auf den Gebäuden interessieren sie mehr als Architektur. „Die Wiedergabe der Atmosphäre ist die Aufgabe der Kunst heute.“

So ist die Burg Linn im Abstand von 120 Jahren in anderem Licht, Marcelli hat sich nicht nur wegen einer   befestigten, rege befahrenen Straße verändert, und das Issumer Tor, das noch aussieht anno dazumal, wirkt in neuen Farben. So heben die aktuellen Werke die Kaiser-Bilder aus der Nur-Dokumentation und aller nostalgischen Tümelei. Es wird spannend die Originale im Vergleich zu sehen. Vielleicht in einer Ausstellung in Linn.

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