Interview mit Vize-Leiterin der Agentur für Arbeit Wie viel Druck brauchen Arbeitslose?

Krefeld · Warum Frauen arbeiten sollten – warum Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgebern stärker werden – warum Minijobs nicht einfach böse sind: Ein Gespräch mit der Krefelder Vize-Leiterin der Agentur für Arbeit zum Tag der Arbeit.

 "Das beruht nicht auf einem Blick in eine Glaskugel, das ist schlicht Fakt, so wird es kommen": Evelyn Schotten(36), stellvertretende Leiterin der Krefelder Arbeitsagentur im RP-Gespräch. Sie hat an der Fachhochschule des Bundes, Fachbereich Arbeitsverwaltung, studiert.

"Das beruht nicht auf einem Blick in eine Glaskugel, das ist schlicht Fakt, so wird es kommen": Evelyn Schotten(36), stellvertretende Leiterin der Krefelder Arbeitsagentur im RP-Gespräch. Sie hat an der Fachhochschule des Bundes, Fachbereich Arbeitsverwaltung, studiert.

Foto: Lothar Strücken

Warum Frauen arbeiten sollten — warum Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgebern stärker werden — warum Minijobs nicht einfach böse sind: Ein Gespräch mit der Krefelder Vize-Leiterin der Agentur für Arbeit zum Tag der Arbeit.

Die Grünen wollen die Sanktionen für Arbeitslose streichen, die Arbeit nicht annehmen. Wie sehen Sie diese Forderung?

Schotten Unsere Zahlen zeigen, dass sich weit mehr als 90 Prozent unserer Kunden korrekt verhalten. In Krefeld wurden im März 2,9 Prozent der Arbeitslosen sanktioniert, also von 20 153 erwerbsfähigen Leistungsbeziehern 363 Personen. Man muss zwischen Älteren und Jüngeren unterscheiden. Bei den unter 25-Jährigen liegt die Quote der Sanktionierten bei 4,5 Prozent, bei den über 25-Jährigen bei 2,6 Prozent. Der NRW-Durchschnittswert liegt bei 3,1 Prozent; in Krefeld wird also weniger sanktioniert.

Ihre Zahlen sprechen dafür, dass solche Sanktionen nicht entscheidend sind für die Arbeitsmarktpolitik.

Schotten Das könnte man folgern.

Die Frage ist, wie viele ohne diesen Druck sich ernsthaft um Arbeit bemühen würden.

Schotten Das ist in der Tat die Frage. Die abschreckende Wirkung ist sicherlich ein Stück weit vorhanden, aber nicht messbar.

In Ihrer letzten Kampagne haben Sie dafür geworben, dass Frauen in den Beruf gehen. Warum muss man dafür eigens werben, wenn offenbar die Frauen nicht wollen und die Unternehmen nicht rufen?

Schotten Wir beurteilen das nicht gesellschaftspolitisch, sondern arbeitsmarktpolitisch: Im Jahr 2025 fehlen bundesweit sechs Millionen Arbeitskräfte. Wir müssen Frauen mobilisieren, sonst schrumpft die Wirtschaftsleistung, weil den Unternehmen Fachkräfte fehlen.

Wenn Sie das wissen, wissen das nicht auch die Arbeitgeber und die Frauen?

Schotten Bei Frauen gilt es sicher, noch Hemmungen abzubauen, nach einer längeren Auszeit wieder den Weg in den Job zu suchen. Bei Arbeitgebern ist die Botschaft durchaus noch nicht überall angekommen. Aktuell gibt es ja kein Problem. Es wird jedoch in der Zukunft einen arbeitnehmerorientierten Arbeitsmarkt geben: Der Arbeitnehmer kann sich seinen Arbeitgeber aussuchen. Das beruht nicht auf einem Blick in eine Glaskugel, das ist schlicht Fakt, so wird es kommen, weil weniger Kinder geboren werden.

Sind die Gesetzte, die Frauen im Fall einer Schwangerschaft schützen, vielleicht zu streng und zu schwierig für die Unternehmen in der Umsetzung?

Schotten Das glaube ich nicht. Unternehmen, die jüngere Frauen einstellen, stellen sich darauf ein, um die Frauen zu halten. Uns geht es auch vor allem um Frauen, die nach der Kinderbetreuung wieder in den Beruf einsteigen wollen.

Es gibt den Girl's Day und viel Werbung dafür, dass Mädchen Jungenberufe lernen. Spüren Sie Bewegung?

Schotten Ja, Mädchen interessieren sich mehr für Berufe, die bislang von Jungen dominiert sind. Leider ist die Situation aber immer noch so, dass 40 Prozent der Mädchen in den klassischen Top Ten für Mädchen ihre Ausbildung beenden, also in Berufen wie medizinische Fachangestellte, Friseurin oder Verkäuferin.

Wie offen sind die Arbeitnehmer für solche Trends, also mehr Frauen einzustellen und auch Mädchen in männlich dominierten Tätigkeiten auszubilden?

Schotten Das ist branchenabhängig. In der Pflege zum Beispiel werden Frauen sehr flexible Arbeitsmöglichkeiten geboten, damit sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren können. Die merken, dass sie ihren Mitarbeitern Angebote unterbreiten müssen. Im verarbeitenden Gewerbe ist das noch nicht so verbreitet — es gibt aber auch hier etliche positive Beispiele.

Warum sind in Krefeld die Arbeitslosenzahlen überdurchschnittlich hoch?

Schotten Krefeld ist industriegeprägt; der Strukturwandel ist noch nicht abgeschlossen. Der Dienstleistungsbereich ist noch nicht so ausgeprägt, um die in der Industrie weggefallenen Arbeitsplätze auszugleichen.

Spielt der hohe Ausländeranteil in Krefeld eine Rolle?

Schotten Nein. Der Anteil der Ausländer an den Arbeitslosen ist mit 17 Prozent sogar unter dem Landesschnitt von 21 Prozent. Auch der Anteil an Ausländern bei Jugendlichen ohne Schulabschluss ist nicht besonders hoch.

Was muss passieren, um die Arbeitslosenzahlen zu senken?

Schotten Ganz einfach: Neuansiedlungen von Betrieben.

In der politischen Debatte wird oft beklagt, dass Geringqualifizierte nicht von ihrem Job leben können. Glauben Sie, dass man es mittelfristig wird verhindern können, dass es Leute gibt, die eben von zwei, drei schlecht bezahlten Jobs leben müssen?

Schotten Das ist schwer zu sagen, weil man nicht genau weiß, warum Leute einen Niedriglohnjob haben. Wir haben 35 000 Beschäftigte, die ausschließlich geringfügig entlohnte Arbeit haben, aber man kann nicht sagen, ob sie davon leben oder es sich um ein Zubrot zum Familieneinkommen handelt.

Die Gewerkschaften werfen den Arbeitgebern vor, sozialversicherungspflichtige Stellen in Niedriglohnstellen zu zerlegen.

Schotten Das lässt sich nicht ohne weiteres belegen. Im Hotel- und Gaststättengewerbe zum Beispiel gibt es einen steigenden Anteil an geringfügig Beschäftigten, aber parallel dazu steigt auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen. Man könnte sagen: Die Branche wächst und mit ihr der Anteil an beiden Stellen-Typen. Es ist eine Parallelentwicklung nach oben.

JENS VOSS FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP/ac/top)
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