Krefeld Wie man 100 wird

Krefeld · Die Statistik spricht eine klare Sprache: In Deutschland leben zurzeit mehr als 16.000 Menschen, die 100 Jahre oder älter sind. Tendenz steigend. Doch wie lässt sich ein solches Alter erreichen? Welche Voraussetzungen spielen dabei eine Rolle und wie groß ist der Einfluss, den jeder Einzelne darauf nehmen kann? Ist es Schicksal, Vorherbestimmung oder doch das nötige Quäntchen Glück? Wir baten einen, der etwas davon versteht, um Tipps und Erklärungen.

 "Das Gehirn braucht Futter. Es braucht Abwechslung, Vergnügen, aber auch ernsthafte Arbeit": Dr. med. Friedhelm Späh ist Leitender Oberarzt am Herzzentrum Krefeld Niederrhein und Ärztlicher Leiter des Prevention Centers (HPC) am Krefelder Helios Klinikum.

"Das Gehirn braucht Futter. Es braucht Abwechslung, Vergnügen, aber auch ernsthafte Arbeit": Dr. med. Friedhelm Späh ist Leitender Oberarzt am Herzzentrum Krefeld Niederrhein und Ärztlicher Leiter des Prevention Centers (HPC) am Krefelder Helios Klinikum.

Foto: helios

Dr. med. Friedhelm Späh ist Privatdozent, der nach seinem Studium zunächst fünf Jahre lang im Bereich Physiologie, einer medizinischen Disziplin, die sich mit Körperfunktionen und ihren Zusammenhängen beschäftigt, forschte. Heute ist der Leitende Oberarzt am Herzzentrum Krefeld Niederrhein zudem Ärztlicher Leiter des Prevention Centers (HPC) am Krefelder Helios Klinikum, das individuell alltagstaugliche Präventionsmaßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit für stark eingespannte Menschen entwickelt. Er gibt Informationen zu bekannten Stichwörtern.

Eine wichtige Voraussetzung sind die so genannten "Guten Gene". Sowohl in Kiel als auch in Heidelberg gibt es 100-Jährigen-Studien, die belegen, dass die Genetik für ein langes und gesundes Leben eine entscheidende Rolle spielt. "Keine genetische Veranlagung zu Bluthochdruck im familiären Umfeld etwa wäre eine optimale Voraussetzung. Das Risiko an Hypertonie zu erkranken steigt deutlich, wenn einer der Eltern oder Großeltern an Bluthochdruck leidet", erklärt PD Dr. med. Friedhelm Späh, der ärztliche Leiter des auf Präventionsmedizin spezialisierten Zentrums am Helios Klinikum. "Früher betrachteten Ärzte den Bluthochdruck als lebensbegleitenden Faktor. Da war es selbstverständlich, bei einem 60-Jährigen einen Druck von 160 zu haben und bei einem 80-Jährigen einen Druck von 180", erinnert er sich. "Heute gehen wir davon aus, dass der Blutdruck im Alter etwas ansteigen darf, aber die Obergrenze 140/90 wird nach wie vor als günstig angesehen."

Ein weiterer Faktor ist das Gedächtnis unseres Organismus. Sowohl die guten als auch die schlechten Zeiten werden hier registriert. "Heute wissen wir, dass unser metabolisches Gedächtnis, das die Lebensweise betrifft, einen großen Einfluss auf die Länge unseres Lebens hat. "Diejenigen, die heute 100 Jahre alt werden, haben zwar Kriegs- und Nachkriegszeiten mit Hungerphasen und eingeschränkter Versorgung miterlebt, aber auch Zeiten, in denen sehr viel körperliche Aktivität nötig war. So war es nach dem Krieg gang und gäbe, täglich rund 25 Kilometer zu überbrücken, um alles zu erledigen. Das hat sich heute massiv und nicht zu unserem gesundheitlichen Vorteil verändert", erläutert Dr. Späh.

Der Mangel an Bewegung führt aber auch zu einem weiteren Faktor: das Körpergewicht. Aufgrund unserer evolutionären Entwicklung neigen wir dazu, Energie aus Nahrung möglichst schnell zu speichern, weil der Körper nie weiß, ob Notzeiten kommen oder nicht. Da wir heute eine optimale Versorgung haben, neigen sehr viele Menschen dazu, Gewicht anzusammeln, meistens im Bauchbereich. "Das dort eingelagerte Fett ist extrem schädlich für den Körper. Im Umkehrschluss findet man bei fast allen 100-Jährigen einen niedrigen Body-Mass-Index (BMI), der das Körpergewicht in Relation zur Größe setzt. Gerade erst hat eine weltweite Untersuchung gezeigt, dass es tatsächlich einen optimalen BMI gibt, der aber von Land zu Land unterschiedlich ist. In Deutschland liegt das Optimum bei einem BMI knapp unter 25. Schon bei 26 erhöht sich die Sterblichkeit um rund sieben Prozent", so Dr. Späh, der nach seinem Medizinstudium zunächst fünf Jahre lang im Bereich Physiologie Körperfunktionen und ihre Zusammenhänge erforschte.

Was unser Leben von dem unserer Vorfahren unterscheidet, sind auch die sogenannten Stresseinflüsse, die individuell unterschiedlich empfunden werden. Es gibt Menschen, die blühen unter Stressbelastung erst richtig auf, andere hingegen werden krank oder sterben sogar. "Ein Risikofaktor scheint zu sein, dass das Herz Stress in Form einer erhöhten Pulsfrequenz verarbeitet. Auch hier gibt es Hinweise, dass weder ein extrem langsamer, noch ein extrem schneller Puls günstig ist. Das Optimum scheint wieder in der Mitte zu liegen. So haben viele Untersuchungen gezeigt, dass ein Puls um 60 Schläge pro Minute eine gute Voraussetzung für ein langes Leben ist", weiß Dr. Späh, der auch als leitender Oberarzt am Herzzentrum Krefeld Niederrhein praktiziert.

Wer Stress als belastend empfindet, tut gut daran, die Gegenspieler der Stresshormone zu pflegen und zu trainieren. Diese Entspannungshormone werden beispielsweise durch erholsamen und regelmäßigen Schlaf, einen strukturierten Tagesablauf oder durch die regelmäßige Einnahme von Mahlzeiten gefördert. "Man kann sagen, dass ein gewisses preußisches Lebensethos, was zwar langweilig ist und wenig Kicks verspricht, dem Organismus erlaubt, vorzusorgen und seine Systeme in Bestform zu halten", so der Internist und Kardiologe. Dazu passt vielleicht auch, dass Menschen mit Partner ein höheres Alter erreichen als Singles. "Vielleicht, weil der Partner einen erstens genau kennt und zweitens in der Lage ist, sich kritisch zu äußern und vor Fehlentwicklungen zu warnen", vermutet Dr. Späh.

Häufig ist ein langes Leben aber auch mit negativen Erfahrungen verknüpft, die zu Depressionen führen können. Deshalb ist es wichtig, seine Lebenslust und Lebensfreude zu behalten. Wer optimistisch denkt und Dinge tut, die ihm Freude bereiten, trägt dazu bei, dass der Organismus sich wohlfühlt.

Natürlich darf das Cholesterin in dieser Aufzählung nicht fehlen, "wobei wir heute glauben, dass es immer nur eine Momentaufnahme aus dem Fettstoffwechsel ist und alle Anstrengungen, die heute unternommen werden, einen möglichst niedrigen Cholesterinspiegel zu haben, mit Sicherheit nicht ausreichend sind, um alleine auf diesem Weg ein hohes Alter zu erreichen", beruhigt Dr. Späh.

Und das führt zum letzten Punkt: Alle Untersuchungen über die Alterung des Gehirns mit begleitenden Schäden, z.B. in Form von Demenz, haben gezeigt, dass das Gehirn "Futter" braucht. Es braucht Abwechslung, es braucht Vergnügen, es braucht aber auch ernsthafte Arbeit und vor allen Dingen braucht es keine Extreme. Denn: Wenn das Gehirn überlastet wird, kann es Schaden nehmen. Klassische Überlastungen sind die Einflüsse extremer Computerarbeit und Smartphone-Benutzens sowie des Dauer-Fernsehens. Diese Reize schädigen die Fähigkeit zur Regeneration. Ganz anders ein Aufenthalt in Wald oder Garten: Die natürlichen Reize tun dem Gehirn sehr gut. Optimalerweise werden sie mit anspruchsvollen Tätigkeiten, wie z.B. dem Lesen, kombiniert.

"Natürlich gehört auch ein Quäntchen Glück dazu, denn das Leben birgt viele Risiken. Aber aus medizinischer Sicht lässt sich sagen, dass eine Mischung aus allen Faktoren ausschlaggebend ist: Gute Gene, ein regelmäßiger Lebenswandel, das passende Gewicht, die richtigen Aufgaben fürs Gehirn, ein Partner und der Spaß am Leben. Und wer das beste Rezept für sich findet, hat tatsächlich die Chance, geistig aktiv und mit Genuss ein hohes Alter zu erreichen", fasst der Internist zusammen.

(RP)
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