Krefeld Wenn Dekadenz zum Parteiprogramm wird

Krefeld · Krefelds Satirepartei "Die Partei" hat die Kandidaten für die Bundestagswahl 2017 gekürt. Eine Analyse.

 „Ich glaube, ich werde diesmal nicht mit der SPD und den Grünen stimmen“, sagt Claus-Dieter Preuß, Ratsherr für "Die Partei" in Krefeld.

„Ich glaube, ich werde diesmal nicht mit der SPD und den Grünen stimmen“, sagt Claus-Dieter Preuß, Ratsherr für "Die Partei" in Krefeld.

Foto: Lammertz, Thomas

Sie wollen der Politikverdrossenheit in Krefeld den Kampf ansagen: Die Satirepartei "Die Partei" hatte am Dienstag gleich zu zwei "Mitgliederversammlungen zur Wahl der beiden Wahlkreisbewerber für die Bundestagswahl im Herbst 2017" eingeladen. - Der Anlass ist offiziell, das Ergebnis bindend - und der Spaßfaktor hoch.

Biergartenidylle im "Take 46" an der Dießemer Straße: Flammkuchen und Weizenbier sorgen bei dem knappen Dutzend anwesender Mitglieder und Gäste für rührselige Stimmung und launige Sprüche. Es gibt Politik hautnah und Politiker zum Anfassen. "Die Partei" nimmt sich und alles nicht so ernst, lebt politisch in einer eigenen Welt. 132 Mitglieder hat sie in Krefeld. Eines wird diese mit Sicherheit verbinden: Es einfach mal was anders machen zu wollen, als die "Etablierten". Das klingt sympathisch.

Doch da ist auch die andere Seite. Es gibt Entscheidungen mit Tragweite für die Krefelder Bürger. Claus-Dieter Preuß weiß das. Er sitzt für "Die Partei" im Rat, seine Stimme kann bei zentralen Themen der Stadt entscheidend sein. Wie zum Beispiel bei der Diskussion um die Durchfahrt auf dem Westwall vor dem Kaiser-Wilhelm-Museum. Während "Die Partei" fröhlich pichelt, beschäftigt sich die Bezirksvertretung Mitte aktiv dem aktuellen Problem. Es wird in Rathaus in öffentlicher Sitzung mehrere Stunden diskutiert. Bürger äußern vor und im Sitzungssaal ihre Sorgen und Bedenken. Zeitgleich ist der Westwall auch Thema im Biergarten an der Dießemer Straße: "Wir sollten alle Wälle unter Wasser setzen und dort mit dem Boot fahren", erklärt "Partei"-Mitglied Richard Jansen und ergänzt, angespornt durch die zahlreichen Lacher: "Dann haben wir das Tempo-10-Problem auf dem Ostwall auch gleich gelöst." Die Fäuste krachen vor Begeisterung auf die Tische, angekaute Flammkuchenbröckchen fliegen dem Gegenüber um die Ohren, die nächste Runde Bier rollt an.

Bei den Bürgern im Rathaus hätte diese Antwort wahrscheinlich zur Schockstarre geführt. Und ganz plötzlich bekommen Worte wie "Demokratie-" und "Politikverdrossenheit" eine ganz neue Bedeutung. Krefelder kämpfen vor Ort und auf Märkten für ihre Interessen, versuchen mit Argumenten und Unterschriftenlisten auch die Politik zu sensibilisieren, erwarten, dass die Ratsvertreter sie anhören, sich mit dem Für und Wider auseinandersetzen.

Und langsam ändert sich der Blick auf "Die Partei". Der aufgesetzte Polit-Spaß wandelt sich zum offensichtlichen Desinteresse. Es wird im Biergarten nicht mehr einfach nur gelacht; der Wähler wird lächerlich gemacht. Statt des politischen Inhalts hebt der Alkoholgehalt die Stimmung. Spätestens an diesem Punkt zeigt diese Form von Politik ein ganz anderes Gesicht. Dekadenz wird zum Parteiprogramm. Der Verfall aller Sitten ist auf dem Vormarsch, der Souverän wird zur Witzfigur.

Am Ende stehen Fragen, auf die "Die Partei" keine Antwort hat. Themen wie "Flüchtlinge" oder "soziale Armut" werden zu Spaßbremsen, der Frohsinn wird abgeschaltet, Ratlosigkeit regiert. Auch in Krefeld. Die Bilanz des Kreisparteitags ist dann am Ende ganz kurz: Richard Jansen und Carsten Bullert wollen 2017 für "Die Partei" als Direktkandidaten in den Bundestag ziehen. Und Ratsherr Preuß äußert sich auf Nachfrage auch noch zur Verkehrsführung auf dem Westwall. "Ich glaube, ich werde diesmal nicht mit der SPD und den Grünen stimmen", sagt er. Preuß "glaubt" es, wissen tut er es nicht.

Politisch bringt diese Äußerung in Krefeld niemanden nur einem Schritt weiter - vor allem keinen Wähler.

(RP)
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