Schulprobleme Was ist los an Krefelds Gesamtschulen?

Krefeld · Wir haben Stimmen Krefelder Lehrer und Eltern gesammelt. Sie ergeben ein beunruhigendes Bild: Die Gesamtschulen brauchen demnach dringend mehr Unterstützung, bessere Ausstattung und mehr Lehrer.

   Ruhe vor dem Sturm: Stifte, Tafel. Klassenzimmer.

Ruhe vor dem Sturm: Stifte, Tafel. Klassenzimmer.

Foto: istockphoto.com

Offenbar braut sich an unseren Gesamtschulen etwas zusammen. Wir haben Stimmen gesammelt, nicht systematisch; die Sammlung hat sich eher zufällig ergeben, bis wir hellhörig wurden, weil sich ein Bild abzeichnete. Methodisch bleibt es schwierig, sicher, aber wir haben nach eingehender Diskussion entschieden, diese Stimmen zu veröffentlichen, obwohl es Einzelstimmen sind. Wenn das Bild in der Breite stimmig ist, gehören sie auch in die Öffentlichkeit. Denn dann befinden wir uns an der Schwelle zu einer Situation, in der die Hauptschulen seit den 70er Jahren  schleichend hineingerieten  – und untergingen.

An den Hauptschulen sammelten sich über Jahrzehnte langsam immer mehr Schüler, die mit schweren Problemen belastet waren; in der Schulpolitik gab es in NRW  bekanntlich eine Jahrzehnte währende, schwer ideologische belastete Debatte um das gegliederte Schulwesen. Die konkreten Probleme an der Hauptschule wurden  dabei ignoriert. Die Schulen hätten dringend mehr Lehrer, mehr Schulsozialarbeiter, mehr Betreuung und eigene Programme gebraucht; viel zu spät, nämlich während der schwarz-gelben Regierung unter Jürgen Rüttgers, gab es ein erstes Ganztagsprogramm für Hauptschulen, das von den Betroffenen als Quantensprung empfunden wurde. Ich habe damals als RP-Reporter eine Reise durch einige Hauptschulen machen können; das Bild, das sich abzeichnete, war überraschend positiv. Die Hauptschulen waren auf gutem Weg. Doch es war zu spät; die Eltern hatten das Zutrauen verloren. Die Hauptschule wurde abgeschafft.

Nun also scheinen die Gesamt­schulen in einer ähnlichen Lage zu sein.  Die Welle der Probleme  schwillt offenbar an; geholfen wird nicht. In gewisser Weise wird den Gesamtschulen ihre mittlerweile anerkannt gute Arbeit zum Verhängnis:  Da ist doch alles gut. Offenbar nicht. Öffentlich sind eigentlich nur die immer noch skandalösen Bedingungen, unter denen auch Gesamtschulen Inkulsionskinder betreuen müssen. Es gibt zu wenige Sonderpädagogen; die Lehrer sind  immer noch zu oft allein mit Kindern, die intensive Betreuung brauchen.

Es gibt Gründe, warum Betroffene – Lehrer wie Eltern – ungern öffentlich reden: Schulleiter fürchten um das Renommee ihrer Schule, Eltern Repressalien für ihre Kinder. Um eine Debatte anzustoßen, lassen wir uns darauf ein, die Stimmen ausnahmsweise anonymisiert zu  bringen.

Schulleitung Gesdamtschule: „Wir bekommen so viele Kinder, die mit so vielschichtigen und zum Teil gravierenden Problemen zu kämpfen haben, dass regulärer Unterricht in manchen Klassen kaum noch möglich ist. Uns fehlt die personelle Ausstattung, um allen gerecht werden zu können. Da bleibt vor allem die Förderung guter Schüler oft auf der Strecke. Ich muss sie sogar, in Absprache mit den Eltern, einsetzen, um Kindern mit Migrationshintergrund oder Flüchtlingskindern Nachhilfe in Deutsch zu geben, da ich sonst für diese Aufgabe keinen habe. Auf Dauer kann das nicht gut gehen. Die Gesamtschule wird zu einem Auffangbecken für Schüler mit Förderproblematik gemacht, ohne sie  für diese Aufgabe auszustatten.“

Schulleitung Gesamtschule: „Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Wenn sich jemand auf die von mir ausgeschriebenen Stellen bewirbt, ist das fast immer ein Quereinsteiger mit zweifelhafter pädagogischer Qualifikation. Dabei müsste es eigentlich genau umgekehrt sind. Unsere Schülerschaft besteht zu einem überwiegenden Teil aus Haupt- und Realschülern, viele davon mit Förderbedarf. Ich hatte schon mehrere Polizeieinsätze an der Schule. Es ging um Körperverletzung, aber auch um schweres Mobbing. Zu viele Klassen sind kaum zu unterrichten und hinken deutlich hinter dem Lehrstoff her. Ich habe stapelweise Klassenarbeiten, die nach unten korrigiert werden müssen. Außerdem gibt es zu selten Eltern, die unsere Arbeit oder die Lernerfolge ihrer Schüler interessieren. So kann Gesamtschule nicht funktionieren. Dabei ist der Einsatz meiner Mitarbeiter sehr groß und sie geben sich alle Mühe, allen Schülern gerecht zu werden. Aber das ist unter diesen Umständen einfach unmöglich.“

Lehrpersonal Gesamtschule: „Ich war bis jetzt an zwei Gesamtschulen tätig und habe immer dasselbe Problem erlebt. Einige wenige Kinder stören den Unterricht, binden die Aufmerksamkeit der Lehrerin oder des Lehrers, und die stillen, angepassten Schüler bleiben auf der Strecke. Manchmal weiß ich ihre Namen nach einem halben Jahr noch nicht einmal, weil ich sie nie zur Ruhe rufen muss und komplett mit den Störenfrieden beschäftigt bin. Aber auch den stillen, oft guten Schülern muss ich am Ende eine Note in mündlicher Mitarbeit geben. Das kann dann nur eine grobe Einschätzung sein, da zu selten regulärer Unterricht stattfindet. Mir macht mein Beruf unter diesen Umständen keinen Spaß und ich werde mich an einer anderen Schulform bewerben.“

Lehrpersonal Gesamtschule: „Ich habe mehrere Jahre an einer Gesamtschule gearbeitet und bin wegen der dortigen Bedingungen fast verzweifelt. Auch, weil es keinen zu interessieren scheint, was wirklich an den Schulen abläuft und dass eine ganze Generation Schüler dabei auf der Strecke bleibt. Letztendlich arbeite ich jetzt an einem Gymnasium und bin dort sehr zufrieden. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Und es macht mich traurig, dass es diese Zwei-Klassen-Gesellschaft in Deutschland gibt und Schüler zum Spielball der Politik gemacht werden.“

Schulleitung Gymnasium: „Ich weiß, wie schwer es für Eltern von Kindern ist, die keine eindeutige gymnasiale Empfehlung erhalten. Sie müssten eigentlich eine Realschule wählen. An den großen Gesamtschulen gehen diese Schüler oft unter und bleiben deutlich unter ihren Fähigkeiten. Ich versuche, dies aufzufangen und nehme auch Schüler mit Realschulempfehlung, wenn sie nach einem ausführlichen Gespräch in unsere Schulgemeinschaft passen. Das kann aber nur eine Notlösung sein und geht auch nicht in jedem Schuljahrgang.“

Lehrpersonal Gesamtschule: „Ich kann nur davon abraten, schüchterne Kinder an eine Gesamtschule zu schicken. Die Gefahr, dass sie dort auf der Strecke bleiben, ist enorm groß. Natürlich gibt es immer auch Klassen, die an einer Gesamtschule gut funktionieren. Die sind aber aktuell immer häufiger die Ausnahme und nicht die Regel.“

Schulleitung Grundschule: „Ich muss Viertklässler und ihre Eltern bei der Schulwahl beraten und bin immer häufiger ratlos. Guten Gewissens kann man Gesamtschulen eigentlich gar nicht mehr empfehlen. Und wenn ich es trotzdem mache, weil es wegen der Leistung des Kindes keine Alternative gibt, bleibt das Gefühl, dem Kind damit nicht gerecht geworden zu sein.“

Mutter Gesamtschule: „Meine Kinder sind an der Gesamtschule beide schon übel gemobbt worden. Aktuell ist immer noch einer betroffen, der von Mitschülern so bedroht wird, dass er Angst hat, zur Schule zu gehen.  Dabei ist er ein sehr guter Schüler. Die Lehrer sind hilflos und wissen auch nicht weiter. Sie raten mir dazu, ihn einfach zu Hause zu lassen, wenn es zu schlimm ist. Das kann aber doch nicht sein! Ich versuche nun, ihn wegen seiner guten Noten an einem Gymnasium unterzubringen, was aber schwierig ist, da mir dort erklärt wird, der Unterschied im Lernstoff wäre zu groß. Das könnte er nicht schaffen, auch nicht, wenn er eine Klasse wiederholt. Wie kann das sein, wenn am Ende an beiden Schulen Abitur gemacht wird? Bei meinem anderen Kind, das schlagartig besser wurde, als das Mobbing endlich aufhörte und seitdem gern zur Schule geht, ist es nun wahrscheinlich für einen guten Schulabschluss zu spät. Warum hat nicht vorher ein Lehrer eingegriffen? Schließlich war die Lage ja bekannt.“

Mutter Gesamtschule: „Ich habe meinem Kind lange nicht geglaubt, wenn es erzählt hat, dass es in der Schule am Handy spielen dürfe, regelmäßig, statt im Unterricht zu sein, auf dem Spielplatz sei und es in der Klasse so laut sei, dass es davon Kopfschmerzen bekomme. Eine befreundete Pädagogin hat mir dann jedoch alle seine Eindrücke bestätigt und fand den Unterricht bis auf wenige Ausnahmen katastrophal. Daraufhin haben wir die Schule gewechselt und sind überrascht, wie gut Unterricht sein kann und wie ruhig es in der neuen Klasse ist. Allerdings an einem Gymnasium.“

Mutter Gesamtschule: „Mein Sohn klagt über Kopfschmerzen, weil es in der Klasse so laut ist. Er erzählt, dass Kinder grundlos von Mitschülern verprügelt  werden und Lehrer nur noch schreien, weil sie nicht mehr wissen, was sie mit den Schülern machen sollen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ans Gymnasium wechseln kann er nicht. Ich mache mir Sorgen, dass er unter den Bedingungen mit seiner Lernschwäche gar keine Chance mehr hat und ohne Abschluss abgehen wird.“

Mutter Grundschüler: „Ich habe mich immer gefragt, warum alle Eltern so einen Druck in der Grundschule machen, damit ihr Kind aufs Gymnasium kommt. Seit ich die Erfahrungen befreundeter Familien mit Gesamtschule gehört habe, merke ich, dass ich inzwischen auch regelrechte Angst davor habe, dass mein Kind auf diese Schulform muss. Das ist doch verrückt.“

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