Bilanz in Krefeld Was bleibt vom Bauhausjahr, Frau Lange?

Krefeld · Gibt es Impulse über das Erinnern hinaus? Kann das Bauhausjahr auch Impulse für Bauherren von heute geben? Darüber spricht die Bauhausexpertin Christiane Lange in einem Interview.

 „Ich denke, es war gut,  dass in der Stadt noch einmal mehr  klar ins Bewusstsein gerückt ist, dass Krefeld mit Mies international quasi auf WM-Niveau steht“: Die Kunsthistorikerin Christiane Lange im Pavillon von Thomas Schütte im Kaiserpark.

„Ich denke, es war gut,  dass in der Stadt noch einmal mehr  klar ins Bewusstsein gerückt ist, dass Krefeld mit Mies international quasi auf WM-Niveau steht“: Die Kunsthistorikerin Christiane Lange im Pavillon von Thomas Schütte im Kaiserpark.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Bleibt vom Bauhausjahr in Krefeld etwas Substanzielles oder war es einfach gut, mal drüber geredet zu haben?

Lange Das hängt von der Perspektive ab.  Ich kann für meinen Bereich sagen, dass dieses Jahr für Forschung und Wissenschaft  enorme Impulse und fabelhafte neue Veröffentlichungen gegeben hat. Wenn es um Impulse für Krefeld geht, ist die Frage noch nicht zu beantworten. Ob es einen Impuls setzt und wenn ja, für was.

Haben Sie einen Verdacht?

Lange Ich denke, es war gut,  dass in der Stadt noch einmal mehr  klar ins Bewusstsein gerückt ist, dass Krefeld mit Mies international quasi auf WM-Niveau steht, zwar nur mit Mies, aber immerhin.  Und was das Bauhaus betrifft, ist  Krefeld Bundesliganiveau. Krefeld hat einen ganz entscheidenden Beitrag zur Geschichte des Bauhauses geleistet.

War das nicht ohnehin bekannt, dass Krefeld auf diesen Feldern ein kostbares historisches Erbe hat?

Lange Ich glaube nicht. Mies irgendwie ja, der Bauhauslehrer Itten auch; und dass Krefeld seit 1945 eine bedeutende Ausstellungsgeschichte hat, auch. Aber wie groß Krefelds Anteil an der Bauhausgeschichte ist, hat doch viele Besucher unserer Ausstellung im Pavillon im Kaiserpark überrascht. Das hat man gemerkt. Viele Besucher sind doch relativ lange geblieben, zeigten sich beeindruckt und sagten, das hätten sie so doch nicht gewusst.

 Bauhaus III: Das Triadische Ballett bei „Kultur findet Stadt“.

Bauhaus III: Das Triadische Ballett bei „Kultur findet Stadt“.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Sie sprachen von Forschungsimpulsen. Was genau meinen Sie? Was gab es zu entdecken, was noch nicht bekannt war?

Lange Neu ist die Erkenntnis, in welch großem Stil die Seidenindustrie Bauhäusler nach Krefeld geholt hat. Dass es Verbindungen gab, war schon klar, aber die Einsicht in Umfang und Intensität dieser Verbindung ist neu. Und nach dem jeztigen Stand der Forschung ist diese Verbindung einer ganzen Branche zur künstlerischen Avantgarde  ohne Vergleich in Deutschland. Das Bedeutsame war, dass das die Seidenindustrie die Avantgarde  systematisch  in ihr System integrierte, und zwar ab den 1920er Jahren bis in die Nachkriegszeit.

Also ging es nicht um privates Mäzenatentum von ein paar reichen Kunstfreunden?

Lange Nein. Das war Teil einer Innovationsstrategie der Seidenindustrie. Die Akteure waren sich in 1920er Jahren bewusst, technisch und organisatorisch weit vorn zu sein, und es war ihnen auch klar, dass sie nun auch gestalterisch ganz weit nach vorne kommen mussten.

Kann das Bauhausjahr auch Impulse für Bauherren von heute geben?

Lange Ich glaube, dass diese Bauhaus Look-alikes, die man heute zum Beispiel an der Wilhelmshofallee sieht, mit dem Bauhaus als Schule nur wenig zu tun haben. Die zeitgenössische Investorenarchitektur hat einfach eine schicke Form gefunden hat, um möglichst optimal die Flächen auszunutzen, wenn man an zurückspringende Obergeschosse denkt. Die Avantgarde-Architektur spielt sich heute ganz woanders ab. Moderne Architektursprache spielt da keine Rolle, es geht da um ganz andere Themen wie zum Beispiel Nachhaltigkeit, neue soziale Wohnformen aber auch Spaß und Form.

Haben Sie ein Beispiel?

Lange Die Reihe der jährlich wechselnden Pavillons der Serpentine Gallery in London geben eine gute Einblick in die Vielfältigkeit der aktuellen Architektur. Der letzte von Junya Ishigami hatte ein Dach aus gestapelten Schieferplatten, ein uralter Baustoff!

Was ist für Sie das Wichtigere, was bleibt: der Forschungsimpuls oder der Impuls für das Bewusstsein einer Stadtgesellschaft, in einer Stadt mit großer Architektur- und Avantgarde-Vergangenheit zu leben?

Lange Das kommt darauf an, welche Seite von mir das beantwortet (lacht). Für mich persönlich ist die Forschung  hochinteressant. Für krefeld vielleicht die Frage: Welche Dynamik hat sich entfaltet, als Stadt, Industrie und Bauhaus-Avantgarde zusammengekommen sind. Am Ende hat das die Stadt im Erscheinungsbild und der Mentalität geprägt.

Was meinen Sie mit Mentalität?

Lange Die Offenheit für die Avantgarde. Krefeld hat in den 60er Jahren Museumsgeschichte geschrieben; es gab mit Paul Wember als Leiter des Kaiser-Wilhelm-Museums plus Haus Lange als Dependance eine bahnbrechende Ausstellungspolitik, die unter Gerhard Storck fortgesetzt wird. Es gab zwar auch Widerstände, aber grundsätzlich  wird sie in der Bürgerschaft getragen und von den Stadtoberen ertragen. Ich frage mich, ob das ein Ergebnis der Bauhaus-Geschichte in Krefeld ist, ob die Verbindung von Bauhaus und Seidenindustrie den Boden für diese Entwicklung  bereitet hat.

Man hat den Eindruck, dass die globale Industrie von heute diese intensive Beziehung zu einer Stadt verloren hat. Klar, es gibt Sponsoring und Kontaktpflege, aber eine Stadt kann kaum noch der Resonanzboden für Innovation sein.

Lange Ja; ich glaube, das liegt auch am Unterschied zwischen  persönlich geführten  Unternehmen und solchen mit angestellten Managern. Die Seidenindustrie war zwar auch international orientiert,  aber auch ein großer Player wie die Verseidag blieb persönlich geführt. Das hat sich insgesamt total verändert. Die meisten Unternehmen sind heute anderes aufgestellt.

Sie erwähnten den Pavillon im Kaiserpark. Wie geht es damit weiter? Gibt es Interessenten?

Lange  Zunächst darf der Pavillon bis Ende des Jahres im Kaiserpark stehenbleiben. Es gibt einen privaten Interessenten; parallel dazu gibt es Überlegungen, ob der Pavillon auch länger bleiben kann. Nicht dauerhaft, aber doch länger.

Der Pavillon hat auch für Irritationen gesorgt, weil er so wenig mit der Bauhaus-Formenwelt oder Mies’ Architektursprache zu tun hat. Der Künstler Thomas Schütte hat selber augenzwinkernd gesagt, das sei eben kein Bauhaus, sondern eine Bauhütte. Haben Sie das auch so wahrgenommen?

Lange Das war der Plan. Es gab zwei Aspekte: Ich fand es sehr wichtig, dass die Hülle für eine Bauhausausstellung nicht aus der Architektur kam, sondern aus der Kunst. Architekten hätten, wenn sie den Bauhaus-Hintergrund sehen, sich vielleicht  verpflichtet gefühlt, das Bauhaus nachzuempfinden und etwas mit vier Ecken zu machen (lacht). Zum anderen war es eben die Kunst, die  in der Geschichte über Industrie und Bauhaus, die wir erzählen, eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat. Daher die Idee: Das Ganze muss in einer begehbaren Skulptur stattfinden, und da war Thomas Schütte erste Wahl. Für das Ausstellungsgeschehen war diese Hülle auch ein wunderbarer Einstieg, weil jeder Besucher erst einmal gefragt hat: Warum hier drin und warum sieht das so aus?

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