Tragödie in Krefeld War das Jugendamt gewarnt?

Krefeld · Ein Altenpflegehelfer will die Verwaltung bereits zum Jahresanfang auf Auffälligkeiten im Zusammenhang mit den drei Kindern hingewiesen haben: "Die Kinder trommelten mit ihren Händen gegen die Scheibe, sie sahen verängstigt aus." Eine Mutter soll die Kinder am Montag aus dem Dachgeschoss geworfen haben.

 Am Montagmorgen gegen 4.30 Uhr wurden die drei Kinder aus einem Fenster in etwa acht Meter Höhe auf den Bürgersteig geworfen.

Am Montagmorgen gegen 4.30 Uhr wurden die drei Kinder aus einem Fenster in etwa acht Meter Höhe auf den Bürgersteig geworfen.

Foto: Lammertz

Hätte die tragische Tat der 33-jährigen Mutter, die am Montagmorgen ihre drei Kinder aus dem Dachgeschoss einer Wohnung in Hüls geworfen hat, verhindert werden können? Hat das Jugendamt bereits vor Monaten Informationen erhalten? Ein Altenpflegehelfer, der im Stadtteil wohnt, will Anfang des Jahres Kontakt mit dem Jugendamt aufgenommen und entsprechende Hinweise gegeben haben. Der Mann - dessen Name der Redaktion bekannt ist - gab an, dass ihm bei einem Spaziergang mit seinem Hund im Januar oder Anfang Februar die Kinder genau in dem Haus und an dem Fenster "aufgefallen" sind, aus dem die Mutter die beiden drei- und fünfjährigen Jungen sowie die sechsjährige Schwester am Montag gegen 4.30 Uhr geworfen hat. "Die Kinder trommelten mit ihren Händen gegen die Scheibe, sie sahen verunsichert und verängstigt aus", so der Altenpflegehelfer. Er habe diesen Vorfall sofort dem Jugendamt gemeldet: "Heute mache ich mir Vorwürfe, dass ich nicht weiter nachgehakt habe."

Die Stadtverwaltung tat sich Mittwochmorgen mit einer Stellungnahme zu den Vorwürfen schwer. Der zuständige Fachdezernent verwies an die Presseabteilung, die interessierte sich trotz der Brisanz des Vorfalls erst nach anderthalb Stunden für das Thema. Eine klare Antwort gab schließlich Jugendamtsleiter Gerhard Ackermann: "Wir haben beim ,Team Kindeswohl' die entsprechenden Unterlagen zu den im angegebenen Zeitraum dokumentierten Vorfällen durchgesehen. Es war keine Meldung bezüglich dieser Familie oder dieser Adresse zu finden." Ackermann erklärte sich sofort bereit, mit besagtem Altenpflegehelfer ein Gespräch zu führen, damit Licht ins Dunkel um diesen Verwaltungs-Vorfall gebracht werde. "Ich stehe für so einen Termin zur Verfügung", erwiderte der Altenpflegehelfer gestern auf Nachfrage unserer Redaktion. Der Mann will damals unmittelbar beim Jugendamt angerufen haben und in der Behörde weiterverbunden worden sein.

In jedem Fall sind Alarmsignale rund um die Familie nicht erkannt worden. Nach vorliegenden Informationen scheinen die Eltern seit Monaten nicht mehr zusammen in der Wohnung gelebt zu haben. Schon hier hätte es im Rahmen einer "präventiven Arbeit" eine "niederschwellige Beobachtung" durch das Jugendamt geben können. Spätestens seit der Tat am Montag gibt es bei der Stadt eine "Fallakte", die sich mit der Familie beschäftigt. Die Behörde ist bezüglich "Sicherheit" und "Inobhutnahme" gefordert. Parallel muss kurzfristig ein Familienrichter tätig werden und - gerade in Fällen, in denen die Eltern nicht zusammenleben - über die Vormundschaft entscheiden. Vormund kann der Vater sein - der nach Aussage der Staatsanwaltschaft unter Schock steht -, aber auch ein Familienangehöriger oder eine andere Person. In jedem Fall ist die Entscheidung zeitlich befristet, stets ist das Jugendamt eingebunden.

Gerade wegen des Gesundheitszustands der schwerverletzten Kinder müssen - etwa bezüglich der Zustimmung zu Operationen - schnelle und weitreichende Entscheidungen für die beiden Jungen und das Mädchen getroffen werden. Sollte sich der Gesundheitszustand der Kinder gebessert haben, bleibt die Behörde in der Pflicht. Auch nach einer möglichen Entlassung aus dem Krankenhaus ist eine weitere psychische Betreuung wahrscheinlich. Die Erfahrung zeigt, dass durchaus auch kleine Kinder nach so einer Erfahrung an einer "Empathiestörung" leiden. Das heißt, dass es sein kann, dass sie (körperliche) Zuneigung nicht oder nur schwer ertragen können und entsprechend behandelt werden müssen. Laut Staatsanwaltschaft ist der derzeitige Gesundheitszustand der Geschwister weiterhin "ernst aber stabil".

Die Behörde ermittelt gegen die 33-Jährige wegen versuchten Totschlags in drei Fällen. Die Mutter, die in die Psychiatrie eingewiesen wurde, ist vernehmungsfähig und hat in Teilaussagen die Tat bestritten. Ob sie jemals verurteilt wird, ist unklar. Gutachter werden prüfen, ob zum Zeitpunkt der Tat eine "Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit" erheblich vermindert oder gar nicht gegeben war.

(RP)
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