Bombenangriff im 2. Weltkrieg Als das alte Krefeld unterging

Krefeld · Vor 75 Jahren, in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1943, wurde die Krefelder Innenstadt bei einem Bombenangriff zerstört. Ein Versuch, daran zu erinnern.

Krefeld: Bilder nach dem Luftangriff im Juni 1943
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Luftangriff auf Krefeld im Jahr 1943

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Foto: Stadtarchiv Krefeld

Bei Youtube ist ein Propagandafilm der Wochenschau zu sehen, der kurz nach der Zerstörung Krefelds vor 75 Jahren entstand und in dem Krefeld kurz erwähnt und gezeigt wird. Generell berichtet die Wochenschau Nr. 669 vom 30. Juni 1943 über das „rheinisch-westfälische Luftkriegsgebiet“. Sieht man (was schwerfällt) von dem Propagandatext über die „bewunderungswürdige Haltung“ der Bevölkerung und der ewig martialisch auftrumpfenden Musik ab, ist man überrascht, wie viel die Bilder über Zerstörung, Not und Elend der Bevölkerung aussagen. Auch Propagandafilme müssen eben Bilder zeigen, die dann auch für sich sprechen. Über das, was ist, nicht über das, was Propagandisten zeigen möchten.

Die Zeit ist fern; die Bilder vom zerstörten Krefeld muten an wie aus einer anderen Welt. Möge jeder in sich hineinhören, was er fühlt beim Anblick dieser unfassbaren Wüste aus Stein und Zerstörung: Die Älteren werden sich an das Trauma ihrer Jugend erinnern; die Jüngeren, die nur Wohlstand kennen und Krieg aus dem Fernsehen, müssen sich dem Geschehen konzentriert annähern, wenn denn eine Annäherung gelingen will. Dass diese Art der Annäherung Anstrengung im Denken und Fühlen verlangt, hat viel mit der Gnade der Gegenwart zu tun: unserer Gegenwart in einem Europa, in dem Krieg so fern zu sein scheint. Das europäische Friedensprojekt wankt gerade. Es ist ein Gebet wert, dass es hält und bleibt.

1943 also: Die Zerstörung erreicht endgültig Krefeld. In der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1943 wurde die Innenstadt bei einem Angriff britischer Bomber vernichtet. Es war bei weitem nicht der erste Angriff. Zu den schrecklichsten Fotos, die das Krefelder Stadtarchiv aufbewahrt, gehört ein Bild von einem toten 16-jährigen Mädchen, das bei einem der ersten Bombenangriffe auf Krefeld am 15. September 1940 ums Leben kam: Als man seinen Leichnam aus den Trümmern des Hauses Luisenstraße 21 geborgen hatte, wurde es fotografiert. Die Jugendliche trug noch ein Kopftuch und sah aus, als schliefe sie, wären da nicht die Verletzungen und all der graue, grobe Staub auf ihrem Körper. Wir kennen solche Bilder aus Syrien. Der Tod durch Bomben hat immer das gleiche Gesicht.

1943 war der Krieg für Nazi-Deutschland im Grunde verloren, auch wenn es noch zwei furchtbare Jahre bis zur Kapitulation dauerte. Ziemlich genau zwei Jahre vor der Zerstörung Krefelds, am 22. Juni 1941, hatte Hitler die Sowjetunion überfallen; im Dezember traten die USA in den Krieg ein. Damit stand Deutschland mit den beiden damaligen Weltmächten im Krieg — ein Sieg war aussichtslos, wie sich überhaupt ein Regime wie das der Nazis nie und nimmer behauptet hätte. Es war aufgebaut auf Lüge, Mord, Verbrechen und Wahnsinn. Bislang sind solche Regime noch immer untergegangen, und man ist weder kühn noch gutgläubig-naiv, wenn man die Vorhersage wagt: So wird es auch den heute existierenden Regimen gehen, die am Ungeist nationalsozialistischen Wahnsinns teilhaben. Wo Wahnsinn Methode hat, wehrt sich der Mensch am Ende doch. So viel Geschichtsoptimismus darf sein. Billig zu denken ist er ohnehin nicht, denn das Leid auf dem Weg dahin ist grauenhaft. Immer.

Als Krefeld zerstört wurde, hatte Hitler Leid und Gewalt in die Welt hinausgetragen, und nun fiel die Gewalt, die er gesät hatte, auf sein Land zurück, auf Schuldige wie Unschuldige. Die Nazis waren auch im sich abzeichnenden Untergang gründliche Verwalter. In einem Protokoll vom 9. August 1943 ist die Bilanz des Luftangriffs detailliert auflistet. Demnach gab es 1036 Tote, davon sind 832 in Luftschutzräumen und 204 außerhalb solcher Räume gestorben. 850 Tote waren verschüttet worden, 432 durch Mauerwerk erschlagen, 87 Menschen waren erstickt. 9349 Personen wurden verwundet, 7211 davon erlitten Verbrennungen und Verletzungen an den Augen. 6229 Häuser wurden zerstört, die Gesamtzahl der Obdachlosen in der Stadt belief sich auf auf 72.600. Auch die getöteten Tiere wurden akribisch dokumentiert: 26 Pferde, 48 Stück Rindvieh, 326 Schweine, 21 Schafe, 3702 Stück Federvieh und 675 „sonstiges Vieh“.

Ab 1940 regnete es Bomben in Europa

Der Luftkrieg in Europa, so kann man lesen, radikalisierte sich ab 1940. Die Deutschen griffen ab 1940 London an, Coventry wurde in jenem Jahr zerstört. Bekanntlich gingen die Briten zur Strategie des „moral bombing“ über und zerstörten ganze Innenstädte, um die Moral der Bevölkerung zu brechen. Die erste deutsche Stadt, die von der Royal Air Force angegriffen wurde, war Wilhelmshaven im Jahr 1939, das erste Flächenbombardement auf deutschem Boden traf 1940 Duisburg.

Krefeld war wie Duisburg Ort kriegswichtiger Produktion. Die „Seidenstadt“ produzierte unter anderem Fallschirmseide. Am britischen Großangriff auf Krefeld waren 705 Bomber beteiligt, die 2000 Tonnen Bomben über der Stadt abwarfen. Die deutsche Luftverteidigung schoss 44 Maschinen ab, 300 britische Soldaten kamen ums Leben.

Gedenken an die Nacht des Todes ist immer beides: Erinnerung an den Schrecken, den der Krieg bedeutet, und Erinnerung an die Kriegsursachen. Darin ist die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 vor dem Bundestag ungebrochen gültig, auch deshalb, weil er den Gedanken der Befreiung von einem Verbrecher-Regime verknüpft mit dem Hinweis auf das Leid der deutschen Bevölkerung: „Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.“

Der Krieg dauerte für Krefeld noch bis zum 2. März 1945: Das war der Tag, an dem die Amerikaner in die Stadt einmarschierten. Dass es nicht noch zu schweren Häuserkämpfen kam, ist wohl dem kommandierenden Oberstleutnant Weiß zu verdanken: Er hat die Überlegenheit der Amerikaner eingesehen und kein blutig-sinnloses Finale organisiert.

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