Krefeld Villa Merländer: Gestapo-Akten über Denunzierte entdeckt

Krefeld · Die NS-Dokumentationsstelle hat ihre Ausstellung völlig überarbeitet: Dabei kamen seltene Exponate ins Haus - das umfangreichste Aktenkonvolut der Nürnberger Prozesse und Hitlers "Mein Kampf".

Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" darf in Deutschland nicht nachgedruckt werden. Die Villa Merländer ist jetzt im Besitz einer Ausgabe, die ihr von einer Krefelder Familie überlassen wurde.

Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" darf in Deutschland nicht nachgedruckt werden. Die Villa Merländer ist jetzt im Besitz einer Ausgabe, die ihr von einer Krefelder Familie überlassen wurde.

Foto: Lothar Strücken

Für die Historikerin Ingrid Schupetta war es wie "Trüffel finden": Die Leiterin der NS-Dokumentationsstelle in der Villa Merländer stieß bei ihren Forschungen in Bad Arolsen auf Krefelder Akten: Die Gestapo-Leitstelle Düsseldorf, die für Krefeld zuständig gewesen ist, hatte über jeden Verfolgten eine Akte angelegt. Mehr als 70 000 sind erhalten geblieben. Sie dienten als Beweismittel in den Nürnberger Prozessen, die zwischen November 1945 und April 1949 gegen Verantwortliche des Deutschen Reichs während des Nationalsozialismus geführt wurden. Von da aus waren sie ins große Archiv nach Arolsen gelangt. Mehrere Tausend betreffen wohl Krefeld. Darunter befindet sich auch die Akte über "die Verwertung des Vermögens von Richard Merländer". "Das ist ein Schatz, der wissenschaftlich noch zu erschließen ist", sagt Schupetta. Denn die meisten Akten dieser Zeit sind verbrannt worden. 80 Akten hat Claudia Flümann aufgearbeitet, sie in Karteikartenform gebracht, um den Querschnitt der Verfolgten der Nazis zu zeigen: etwa die Hälfte sind Juden, aber auch Kommunisten und andere den Nationalsozialismus unbequeme Zeitgenossen sind darunter.

"Das Ungeheuerliche daran ist, dass es nur immer etwa 20 Offizielle gab, die diese Dinge bearbeiteten. Die meisten Hinweise waren Denunziationen - von Krefelder Bürgern", sagt Schupetta. Sie erzählt von einem jüdischen Mädchen, das von Nachbarn angeschwärzt wird, weil es seinen Judenstern nicht getragen habe. "Das ist mehrmals passiert. So kam das Mädchen nach Auschwitz." Und es hat es nicht überlebt.

Das ist eine von zahlreichen Geschichten, die sich in der neu konzipierten Ausstellung entdecken lassen. In Vitrinen, die dem Schreibtisch von Richard Merländer - dem jüdischen Eigentümer der Villa bis zur NS-Herrschaft - nachempfunden sind, werden Zeitzeugnisse ausgestellt. Die lichtempfindlichen Schriften, Fotografien, Dokumente sind unter Glas in den Schubladen. Wer sie aufzieht, stößt auf Entdeckungen: In einer liegt ein Schmuckband von Hitlers "Mein Kampf" mit Goldschnitt: Es war im Jahr 1942 ein Hochzeitsgeschenk für ein Krefelder Paar.

Die den Nazis ergebenen Krefelder waren nicht die Mehrheit: Bei der Kommunalwahl 1933 bildeten Zentrum, Kommunisten und SPD noch ein schweres Gegengewicht. Aber 1933 orderte die Stadt bereits 215 Hitlerfotos für ihre Amtsstuben. Und in der 1. Ratssitzung 1933 ernannte sie Hitler zum Ehrenbürger. "Das ist mit dem Tod erloschen", sagt Schupetta. Über eine offizielle Aberkennung der Ehrenbürgerwürde wurde in der Vergangenheit mehrfach diskutiert.

(RP)
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