Krefeld Über Gerechtigkeit

Krefeld · Ein Gespräch mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt Jens Frobel über Schuld und Sühne, göttliches Recht und das Gesetz, über die Not von Staatsanwälten und die Trennung von Kirche und Staat.

  „Wenn man göttliche Gerechtigkeit ins Spiel bringt, würde man sich vielleicht von dem Regelsystem unseres Rechts lösen“: Jens Frobel (52) über einen Aspekt der Trennung von Kirche und Staat. Frobel leitet seit Juli 2017 die Staatsanwaltschaft Krefeld.

 „Wenn man göttliche Gerechtigkeit ins Spiel bringt, würde man sich vielleicht von dem Regelsystem unseres Rechts lösen“: Jens Frobel (52) über einen Aspekt der Trennung von Kirche und Staat. Frobel leitet seit Juli 2017 die Staatsanwaltschaft Krefeld.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Gehören rechtsphilosophische Fragen mit zum Jura-Studium?

Frobel Ja. In der Prüfungsordnung, dem Juristenausbildungsgesetz ist bestimmt, dass ein Prüfling neben den erforderlichen Rechtskenntnissen auch über die philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen verfügen muss. Zu meiner Studienzeit haben sich die Studierenden eigentlich nur in den Anfangssemestern mit Rechtsphilosophie befasst. Später hat das materielle Recht in den drei Hauptgebieten Zivilrecht, Strafrecht und Öffentliches Rechts den Schwerpunkt des Studiums gebildet. Das dürfte heute nicht viel anders sein.

Gibt es in Ihrem Alltag Bereiche, in denen man auf rechtsphilosophische Fragen stößt?

Frobel Die wenigsten Kollegen würden sagen, dass rechtsphilosophische Fragen sie in ihrer täglichen Arbeit beschäftigen. Dazu ist auch der Aktendruck zu hoch. Jeder ist bemüht, die Ermittlungsverfahren, für die er zuständig ist, gut und schnell zu bearbeiten. Da wir aber regelmäßig wertende Entscheidungen im Rahmen der Gesetze treffen müssen, fließen im Ergebnis letztlich auch rechtsphilosophische Erwägungen in diesen Prozess ein.

Spielen Buße, Schuld und Sühne im Strafrecht eine bedeutende Rolle oder ist der Resozialisierungsgedanke im Umgang mit Straftätern mittlerweile am wichtigsten?

Frobel Die individuelle Schuld des Täters ist die Grundlage für die Bemessung der konkreten Strafe durch das Gericht. Aber auch die Wirkungen der Strafe, die für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, muss der Richter bei der Verhängung einer Strafe berücksichtigen. Im Strafvollzug hingegen spielt der Resozialisierungsgedanke die tragende Rolle. Ziel des Strafvollzuges ist es, Straftäter in die Gesellschaft wieder einzugliedern.

Wie definiert sich Schuld? Man kann bestrafen, um eine Schuld zu sühnen; man kann aus pragmatischen Gründen bestrafen, um Straftaten vorzubeugen und Regeln durchzusetzen. Das sind zwei verschiedene Ansätze.

Frobel Schuld ist zunächst das individuelle Maß des Vorwurfs, der dem Täter für das, was er getan hat, zu machen ist. In der juristischen Lehre gibt es verschiedene Theorien zu der Frage, warum der Staat straft. Durchgesetzt hat sich die Ansicht, dass Ziel von Strafe die Verhinderung von Rechtsgutsverletzungen ist. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn alle sich an die bestehenden Regeln halten, bedarf es keines Strafens.

Kommt einem manchmal der Gedanke, dass es ein Maß an Schuld gibt, das man mit irdischen Strafen eigentlich nicht angemessen bestrafen kann?

Frobel Es gibt sicher abscheuliche Verbrechen, bei denen man diese Frage aufwerfen könnte. Aber Staatsanwälte bewegen sich nun mal im Bereich des Strafgesetzbuchs. Und das gibt bei bestimmten schweren Verbrechen als Höchststrafe die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe vor.

Geht es dabei nur darum, einem System zu folgen, oder geht es auch darum, dieses System an Gerechtigkeit zu messen und daran auszurichten?

Frobel Staatsanwälte sind Beamte. Sie leisten einen Diensteid, mit dem sie geloben, das übertragene Amt nach bestem Wissen und Können zu verwalten, die Verfassung und die Gesetze zu befolgen und zu verteidigen und Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben. Gerechtigkeit ist dann zu bejahen, wenn Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird. Und wenn der Gesetzgeber für jede Straftat ein Strafmaß festlegt, dann hat das auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Die Möglichkeiten, die dem Richter eröffnet sind, sind schon vielfältig. Der Gesetzgeber hat nicht nur bestimmte Regelstrafrahmen vorgesehen. Es gibt auch Abstufungen wie „besonders schwere“ und „minder schwere“ Fälle.

Damit ist man wieder in der inneren Logik des Rechtssystems. Das klingt stark rechtspositivistisch nach dem Motto: Recht ist, was man als Recht definiert. Muss nicht das konkrete Recht auch an göttliche oder wenigstens eine höhere Gerechtigkeit gebunden sein? Wie begründet man etwa die Abschaffung der Todesstrafe?

Frobel In Deutschland mit historischen Gründen und mit dem Blick auf die Erfahrungen im Dritten Reich, als der Staat willkürlich getötet hat. Das Grundgesetz legt den Wertebereich fest, in dem sich unser Rechtssystem zu bewegen hat, und dort ist die Todesstrafe abgeschafft.

Sehen Sie sich im Dienst einer höheren oder gar göttlichen Gerechtigkeit?

Frobel Nein, ganz und gar nicht. Kirche und Staat sind nach dem Grundgesetz getrennt. Das ist eine Errungenschaft, die den Staat für weltanschaulich neutral erklärt. Unser Rechtssystem will transparent, nachvollziehbar und gebunden an Gesetze sein.

Sie und Ihre Kollegen würden sich eher auf das Grundgesetz berufen als auf ein göttliches Gebot?

Frobel Ja, wir berufen und ausschließlich auf die geltenden Gesetze.

Heißt auch: Bei der Abschaffung der Todesstrafe spielt die Sorge, dass der Staat zu Unrecht tötet, eine größere Rolle als das Bestreben, eine Tat angemessen zu bestrafen?

Frobel Ja, so kann man es sehen.

Bekommt man manchmal Mitleid mit Tätern?

Frobel Staatsanwälte sind auch nur Menschen. Natürlich hat man mit dem einen oder anderen Täter Mitleid. Oft sieht man den Angeklagten vor Gericht das erste Mal und kann bei den Schicksalen, die einem geschildert werden, sicher auch mal Mitleid bekommen. Trotz allem sind wir Profis. Aus Mitleid allein würde kein Staatsanwalt einen zu milden Strafantrag stellen. Aber die Strafprozessordnung gibt genug Möglichkeiten, auf Lebensschicksale angemessen zu reagieren. In manchen Fällen ist die Schuld dann so gering, dass man ein Verfahren nach den Opportunitätsvorschriften gegen Zahlung einer Geldbuße einstellen kann. Geht das nicht, können diese Aspekte positiv bei der Beurteilung der individuellen Schuld zum Tragen kommen. Der Staatsanwalt muss alle belastenden und alle entlastenden Umstände gegeneinander abwägen.

Gab es für Sie so etwas wie einen schwierigsten Fall?

Frobel Aus der täglichen Verfahrensbearbeitung bin ich schon einige Jahre raus. Da müsste ich jetzt lange überlegen. Allgemein kann man aber sagen, dass Tötungs- und Sexualstraftaten sicher die Fälle sind, die die Kollegen am ehesten belasten. Nicht selten bedarf es dabei langwieriger Ermittlungen, um den Täter zu überführen; dann sind die Verfahren für die Staatsanwälte auch persönlich schwierig.

Wird man darüber zum Zyniker, verliert man den Glauben an die Menschheit, wenn man täglich mit so etwas zu tun hat?

Frobel Nein. Einem Staatsanwalt darf nichts Menschliches fremd sein. Das lernen wir bereits in den ersten Berufsjahren. Zu den Verfahrensbeteiligten hat man einen professionellen Abstand. Und: Zynisch wird hier keiner, weder gegenüber dem Opfer noch gegenüber dem Täter.

Allgemeiner: Wird man härter?

Frobel Es gibt im Laufe eines Berufslebens den einen oder anderen, der auch härter wird. Aber das ist nicht typisch für Staatsanwälte.

Verliert man den Glauben an die Vernunft als Kraft, die den Menschen steuert?

Frobel Nein. Natürlich gibt es immer wieder Handlungsweisen, bei denen man als neutraler Beobachter die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Aber niemand ist zum Beispiel davor gefeit, auf eine dreiste Betrugsmasche hereinzufallen. Das erlebt man überall und immer wieder, auch in der eigenen Familie und in der Nachbarschaft.

Man kann den Eindruck haben, dass Staatsanwälte oft höhere Strafen fordern, als sie dann von Richtern verhängt werden. Sind Staatsanwälte mehr auf Strafen geeicht, salopp gesagt: härter drauf als Richter?

Frobel Nein. Staatsanwälte sind immer bestrebt, einen angemessenen Antrag zu stellen. Ziel ist es, dass Staatsanwaltschaft und Gericht nahe beieinanderliegen und den Sachverhalt und die Schuld gleich einschätzen. Dass Staatsanwälte mit ihren Strafanträgen weit über das Ziel hinausschießen, ist eher der Ausnahmefall. Und für den Fall, dass Antrag und Urteil doch nicht nur unwesentlich auseinander liegen, sieht der Gesetzgeber ja auch für die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit vor, die Sache von einer höheren Instanz überprüfen zu lassen.

Brauchen Staatsanwälte manchmal Trost und Beistand, wenn sie in Not sind und ein Fall sie über die Maßen belastet?

Frobel Natürlich kommt das vor. Und Beistand wird dann auch unter Kollegen gegeben. Zudem gibt es in der Justiz für solche Belastungen feste soziale Ansprechpartner. Kein Kollege muss das mit sich alleine ausmachen, wenn ihn etwas sehr belastet. Wir sind keine Einzelkämpfer. Wir sind eine Truppe, die zusammenhält.

Was war für Sie der Antrieb, Staatsanwalt zu werden?

Frobel Der Beruf des Staatsanwalts ist vielschichtig. Staatsanwalt bin ich geworden, weil mich das Strafrecht von Beginn des Studiums an begeistert hat und weil ich etwas tun wollte, was der Gesellschaft zugutekommt. Der Staatsanwalt ist der Erste, der sich mit einem Sachverhalt befasst; er gibt die Richtung der Ermittlungen vor. Ferner hat es mich gereizt, einen Sachverhalt objektiv betrachten zu können und nicht einem Mandanten verpflichtet zu sein.

Spielt göttliche Gerechtigkeit für Sie eine Rolle?

Frobel Ich bin Kirchenmitglied, aber in meinem Beruf spielt dieses Thema keine Rolle. Wenn man göttliche Gerechtigkeit ins Spiel bringt, würde man sich vielleicht von dem Regelsystem unseres Rechts lösen. Das wäre aus meiner Sicht fatal. Wer absolute Maßstäbe hat, fällt auch absolute Urteile. Wir haben uns als Menschen, als Gesellschaft auf ein System geeinigt, das wir immer wieder verändern und den Gegebenheiten anpassen. Ich glaube, wir tun gut daran, bei solchen Regeln zu bleiben. Das schützt uns auch vor Willkür. Auch wenn Volkes Seele kocht, darf man sich nicht von dem lösen, was das Gesetz uns vorgibt. Darin liegt die Objektivität der Staatsanwaltschaft und die Unabhängigkeit der Justiz.

Gibt es Berührungspunkte zwischen Weihnachten und Justiz?

Frobel Ja, natürlich. Schon seit vielen Jahren gibt es in Nordrhein-Westfalen eine Weihnachtsamnestie. Das heißt, Häftlinge, die in der Zeit bis zum Jahresende entlassen werden würden, werden schon Ende November entlassen. Die restliche Strafe wird ihnen im Gnadenwege erlassen. Voraussetzung ist allerdings, dass keine weitere Strafe im Anschluss zu verbüßen ist und der Betroffene eine Bleibe hat.

Wenn ich an die strikte Trennung von Kirche und Justiz denke, haben solche Gnadenakte eigentlich keinen Platz im Justizwesen.

Frobel Doch, denn das Gnadenrecht hat nicht nur eine religiöse Bedeutung. Seit Jahrhunderten ist anerkannt, dass auch der „weltliche Herrscher“ ein Gnadenrecht hat. Denn es gibt Sachverhalte, bei denen die reine Anwendung der Gesetze zu Ergebnissen führen, die zwar juristisch richtig, aber nicht zwingend gerecht sind. Es ist daher zu begrüßen, dass auch der demokratische Rechtsstaat dieses Recht in dem durch die Gnadenordnung geregelten Rahmen für sich in Anspruch nimmt.

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