Krefeld Textilbild entpuppt sich als Schatz

Krefeld · Ein gutes Näschen hatte das Team des Deutschen Textilmuseums: Vor drei Jahren kaufte es ein gesticktes Bild aus Chenillegarn. Bei der Restaurierung stellt sich heraus: Es ist älter und historisch wertvoller als bisher angenommen.

 Das gestickte und zum Teil gemalte Bild zeigt eine pastorale Szene. Vermutlich entstand es bereits zwischen 1790 und 1810, gefertigt von einer höheren Tochter. Solche Arbeiten dienten wie Gemälde als Wanddekoration.

Das gestickte und zum Teil gemalte Bild zeigt eine pastorale Szene. Vermutlich entstand es bereits zwischen 1790 und 1810, gefertigt von einer höheren Tochter. Solche Arbeiten dienten wie Gemälde als Wanddekoration.

Foto: Stadt Krefeld

Der Ankauf eines gestickten Bildes mit Chenillegarn vor knapp drei Jahren löste bei der Leitung des Deutschen Textilmuseums Krefeld schon damals Begeisterung aus. Der Begriff "Chenille" bezieht sich auf die samt- und reliefartige Oberfläche, welche durch das Chenillegarn entsteht. "Der Förderverein hat uns das Bild geschenkt und finanziert nun die Restaurierung. Wir haben gehofft, dass es etwas Besonderes ist und nun entpuppt sich immer mehr", sagt Museumsleiterin Annette Schieck. In der Ausstellung ab 14. Mai über historische und moderne Stickbilder soll dieses Werk ein zentrales Exponat sein. Bis dahin forscht Isa Fleischmann-Heck, stellvertretende Museumsleiterin, noch über Herkunft und Datierung, und Katja Wagner wird die Restaurierung in der Museumswerkstatt abschließen. Bei einem Besuch der Museumsfreunde haben beide schon einige neue Erkenntnisse den Spendern berichtet.

Das Bild zeigt eine "Pastorale Szene", eine idyllische Landschaft mit einem liegenden Hirten, Schafen, einer Ziege und einem Esel sowie einer Frau mit vier Kindern, die Getreide ernten. Das Motiv auf Seidenstoff (63 mal 53 Zentimeter) ist teils gestickt (wie der Baum), teils in Aquarell- oder Gouache-Technik gemalt wie die Landschaft, Architektur und die Gesichter. Eine derartige Nadelmalerei mit einer szenischen Darstellung fehlte bislang im Museumsbestand. Es ergänzt die Sammlung von Stickereien vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Wie sich jetzt herausgestellt hat, handelt es sich zudem um eine Seltenheit. Denn auch in anderen deutschen Museen befinden sich kaum vergleichbare Arbeiten. Im Kunsthandel werden derartige Objekte nur gelegentlich angeboten, Fachpublikationen sind rar. "Das ist noch ein Forschungsgebiet", betont Annette Schieck.

 Textilrestauratorin Katja Wagner (l.) zeigt Museumsfreunden die Risse, die durch die Säure der Pappunterlage in dem feinen Gewebe entstanden sind.

Textilrestauratorin Katja Wagner (l.) zeigt Museumsfreunden die Risse, die durch die Säure der Pappunterlage in dem feinen Gewebe entstanden sind.

Foto: Stadt Krefeld

Insofern ist das Finden von Quellen und Hinweise eine wissenschaftliche Herausforderung. Seit dem Ankauf hat sich Isa Fleischmann-Heck intensiv mit dem Bild auseinandergesetzt und tatsächlich neue Erkenntnisse gewonnen. Die vom Verkäufer angegebene Herkunft der Arbeit aus England konnte sie zwischenzeitlich eindeutig nachweisen. "Es ist jedoch älter als gedacht", so die Wissenschaftlerin. Statt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde es wohl in dem Zeitraum zwischen 1790 und 1800/1810 angefertigt, also zur Zeit der Französischen Revolution und der großen Schaffensphase von Schiller und Goethe in Weimar.

Beim Schöpfer des Bildes dürfte es sich auch nicht um einen professionellen Künstler gehandelt haben, sondern eher um eine junge Dame aus adligem oder bürgerlichem Haus. Zu deren Ausbildung gehörte die Beschäftigung mit Stickerei, Malerei, Musik und Literatur. "Die Mädchenerziehung muss man im Kontext zu diesem Bild sehen", sagt Fleischmann-Heck. Es könnte so gezielt für das häusliche Umfeld wie einen Salon hergestellt worden sein, nicht unüblich für diese Zeit. Ebenbürtig zu Gemälden wurden solche Werke als Raumdekoration geschätzt. Fleischmann-Heck forscht bis zur Ausstellung weiter und geht unter anderem weiteren Hinweisen zu den Bildmotiven und deren Herkunft nach.

In der Restaurierungswerkstatt des Textilmuseums hat Katja Wagner bereits gut 100 Stunden für die aufwändige Aufarbeitung benötigt. "So ein Werk ist auch für eine Textilrestauratorin selten. Ich habe noch nie an einem vergleichbaren Objekt gearbeitet", sagt Wagner. Als einen der ersten Arbeitsschritte hatte sie eine Pappe von der Rückseite entfernt. Auf der Rückseite offenbarte sich dann die Farbenpracht der Arbeit. Hier gelangte kein Licht an die Fäden. Die jahrhundertelange Lichteinwirkung auf der Vorderseite hat die Farben verblassen lassen und zudem einige Risse in der Seide verursacht. "Das wurde verstärkt durch Säure in der Pappe", sagt die Restauratorin.

Die Entfernung von weiteren Papierresten an überlappendem Leinengewebe erwies sich als heikle Aufgabe: Zum Lösen wird Feuchtigkeit benötigt, die darf jedoch nicht das Gewebe schädigen. Noch zurückgebliebene Leimreste mussten auf dem Stoff verbleiben, weil die Ablösung sich letztlich als zu problematisch erwies. Schließlich soll das Werk nicht beschädigt werden. Zurzeit arbeitet Wagner an einem Untergrund, auf dem das Bild sowohl im Depot als auch in der Ausstellung liegen soll. Sie hat unterschiedliche Muster angefertigt, um die Lösung zu finden, die das Material am besten schützt. "Es besteht aus drei Schichten, einem säurefreien Karton, einem Polyesterflies und einer Baumwollauflage." Auf dieser Grundlage können die Besucher ab dem 14. Mai dieses außergewöhnliche Exponat dann besichtigen.

Das Textilmuseum hat vom Verein "Arbeitsgemeinschaft Flachsmarkt" eine Spende von 600 Euro erhalten. Damit wurden erste Arbeiten ermöglicht. Der Verein Freunde der Museen Burg Linn ermöglichte den Ankauf und die aktuelle Restaurierung des Bildes.

(RP)
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