Kanzlerkandidat in Krefeld Steinbrück will NRW-Industrie helfen

Krefeld · Beim "Klartext"-Auftritt in der Kulturfabrik erwies sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück als schlagfertig, aufgeräumt und durchaus sicher im Umgang mit Menschen.

 Peer Steinbrück wird in der vollbesetzten Kulturfabrik vom Krefelder SPD-Vorsitzenden Frank Meyer (r.) begrüßt.

Peer Steinbrück wird in der vollbesetzten Kulturfabrik vom Krefelder SPD-Vorsitzenden Frank Meyer (r.) begrüßt.

Foto: T.L.

Mit der Ankündigung, Energie für energieintensive Unternehmen in NRW billiger zu machen, um ihre Abwanderung zu verhindern, hat sich SPD-Bundeskanzlerkandidat Steinbrück am Dienstag in Krefeld als betont industriefreundlich präsentiert. Auf die Frage von Siempelkamp-Geschäftsführer Michael Szukala, wie er sein Programm mit den Grünen als Koalitionspartner durchsetzen wolle, antwortete Steinbrück: "Ich hätte auch lieber die Zwei-Drittel-Mehrheit." Man müsse eben eine Schnittmenge finden; Kompromisse seien unabweisbar.

Steinbrück zeigte sich bei der Veranstaltung in der voll besetzten Kulturfabrik unter dem Motto "Klartext" wach, schlagfertig, selbstironisch und durchaus sicher und sympathisch im Umgang mit Menschen. Die SPD hat ihm zudem ein Format auf den Leib geschneidert, das perfekt zu ihm passt, seine Schwächen überdeckt und seine Stärken betont: keine lange Rede, Fragen von Anfang an. Seine Hauptschwäche wurde deutlich, wenn er zu lange antwortete: Er redet schnell in komplizierter Syntax, die auch geschrieben Konzentration beim Lesen abverlangen würde. Steinbrücks Sprache ist — einmal von der Kette gelassen — einfach nicht saaltauglich.

So aber suchte Steinbrück, der sich in hellblauem Hemd, grauem Anzug und ohne Krawatte gemäßigt leger zeigte, rasch den Kontakt zum Publikum, fand mühelos zu einem Pingpong-Spiel mit Zwischenrufern, kokettierte immer wieder mit seinem Image als Anecker und Klartextredner, war stets hellwach und von zuweilen geradezu scholastischer Präzision in seinen Witzeleien: Beim Stichwort Hoeneß und Steuerhinterziehung sagte er zu einem der Gäste: "Über Ihre Steuerakte will ich nichts wissen .... (Kunstpause) wollen" — sprich: nach Steuerhinterziehung fahnden müssen.

"Sie sind sehr, sehr hochnäsig"

Nach dieser Aufwärmphase, die Steinbrück glänzend hinbekam, zumal ein ungehobelt auftretender Mann aus dem Publikum ("Sie sind sehr, sehr hochnäsig") ihm eine Steilvorlage gab zu zeigen, wie man einen Widerspenstigen elegant zähmt, kam die Fragerunde, die sich über mehr als zwei Stunden hinzog. Steinbrück gab sich als Gesprächspartner, blieb stets in Bewegung, wandte sich den Fragern zu, war von allen Seiten von Gästen umringt — bis hin zum robusten Charme der Kulturfabrik war die Botschaft des Abends: Das ist einer von uns im Gespräch mit uns.

Die Anmutung verdeckte geschickt, dass die Fragen unterm Strich eher Stichworte für den Kandidaten waren, denn hartes Nachfragen war nicht vorgesehen. Wahlkampf bleibt Wahlkampf: So wurde am Beginn bei den Themen, um die es gehen sollte, das eher warme Stichwort "Gleichstellung von Mann und Frau" als erstes genannt, das kalte Eisfeld der Steuerpolitik an Punkt vier — auch so kann man den laut Umfragen bei Frauen wenig beliebten Kandidaten behutsam als Frauenpolitiker inszenieren. Und dass auch Steinbrück kein Dampfplauderer, sondern bis in die letzte Faser Wahlkämpfer gegen "die Anderen" ist, ließ er spätestens spüren, als er beim Stichwort "deutsche Einheit" Mitterrand, Bush senior und sogar Thatcher (eine Gegnerin der Wiedervereinigung) als Architekten würdigte — Helmut Kohl aber nicht erwähnte.

Inhaltlich intonierte Steinbrück die Grundmelodie sozialdemokratischen Wahlkampfes: "Sozial gerecht und ökonomisch vernünftig". Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Anhebung des Spitzensteuersatzes, aber keine Besteuerung der "Substanz" von Unternehmen, Ausbau der Kita-Plätze, Abschmelzen der Kinderfreibeträge für höhere Einkommen zugunsten eines höheren Kindergeldes für Gering- und Mittelverdiener, Begrenzung von Mieterhöhung bei Neuverträgen auf zehn Prozent, Pflicht zur Übernahme von Maklercourtagen für Vermieter und Verkäufer ("in Zukunft zahlen die die Maklergebühr, die die Musik bestellt haben" — Applaus).

Beim Thema Euro bekräftigte er seine Merkel-Kritik, wiederholte den Kalauer, dass die Kanzlerin von Gipfel zu Gipfel eile — "aber über allen Gipfeln ist Ruh". Im Ganzen blieb er aber moderat im Ton, griff die in Umfragen weit vor ihm liegende Frau nur über Sachthemen und nie scharf persönlich an, ließ aber keinen Zweifel, dass er Europa nicht nur über Sparpolitik, sondern auch über staatliche Sofortprogramme etwa gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien helfen wollte. Über Geld sprach er nicht; denn Geld, so lautete stets die Botschaft stets, kann man über Steuererhöhungen bei den Besserverdienenden einsammeln.

Als es gegen Ende um Bildung ging, schloss sich der Kreis; Steinbrück beklagte den schulpolitischen Flickenteppich in Deutschland, sagte, wenn er jetzt fordern würde, dass der Bund Länderkompetenzen an sich ziehen solle, dann "geht das ab wie Schmitz' Katze, und ich habe Erfahrung darin, was ich auslösen kann". Gelächter, Applaus. Kein Zweifel: Steinbrück hat im Umgang mit seinen Patzern die richtige Tonlage gefunden. Er hat an diesem Abend keinen Fehler gemacht — er ist im Rennen.

(RP/anch/jco)
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