Krefeld Schräge Laute werden zum Gedicht: Lob auf 100 Jahre Dada

Krefeld · Im Theaterfoyer erlebten die Zuschauer zweieinhalb kurzweilige Stunden über den Dada-Vater Hugo Ball.

Die Gesichtsmuskeln sind gespannt, die Stirn ist konzentriert in Falten gelegt. Unter normalen Umständen ist es schon eine Kunst, Gedichte zu rezitieren. Aber Lautgedichte, die aus einer unaussprechlichen Flut von scheinbar wahllos aneinandergereihten Wortfetzen bestehen, erfordern besonderes Können. Sind es nur Laute oder ist es Sprache? Sagt das Gedicht etwas aus, auch wenn ich die Laute keinem Sinn zuordnen kann? Oder ist es eine Parodie, die einfach für sich stehen sollte?

Im Glasfoyer des Theaters wurden am Sonntagabend alle Sinneswahrnehmungen der Besucher gefordert. Denn auch, wenn die Texte und Musik zunächst zusammenhanglos erschienen, drückten sie eine Palette von Meinungen aus, Gefühle, Schmerzen, Angst, Zorn, Erstaunen. Und vor allen Dingen Ablehnung: die Verneinung von etablierten Kunstformen, um die Kunst von einem starren, bürgerlichen Korsett zu befreien.

Zum 100. Geburtstag des Dadaismus hat Joachim L. Bähr das zweieinhalbstündige Stück "In der Anarchie lauert die Religion" geschaffen, das sich am Leben von Hugo Ball orientiert. Ball gründete 1916 mit Hans Arp, Tristan Tzara und Marcel Janco in Zürich das Cabaret Voltaire, wo er erstmals eines seiner Lautgedichte vortrug. Der in Deutschland geborene Künstler hatte sich lange mit Anarchismus, Dichtkunst und Literatur auseinandergesetzt, bevor er in die Schweiz zog. Aus seinen Studien entwickelte sich die Bewegung, die konventionelle Kunstformen ablehnte, sie parodierte und übertrieb: der Dadaismus. Dabei setzten sich die Künstler für die Freiheit der Kunst ein, die nicht von bürgerlichen Idealen getrieben werden sollte. Egal wie schräg, egal wie irrational.

Lange hielt Balls Liebe zum Dadaismus jedoch nicht an: Er kehrte immer mehr zu den Wurzeln seiner katholischen Familie zurück, beschäftigte sich mit Theologie und schrieb schließlich für katholische Zeitungen. Der Einfluss des Dadaismus aber ist heute noch in der zeitgenössischen Kunst zu finden.

Schräg und irrational - aber dennoch fesselnd - so war auch dieser Abend. Katharina Ihlefeld und Joachim L. Bähr schafften es, den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten und beim Publikum ein breites Verständnis für die 100 Jahre alte Kunstform zu wecken. Kurzweilige Stunden, mit einer Kunstform zu erschaffen, zu der vielen der Zugang fehlt und sie kurzweilig zu halten, das ist hohe Kunst.

(RP)
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