Krefeld Saa Staniic, der furiose Sprach-Erfinder

Krefeld · Der Preisträger der Leipziger Buchmesse eröffnete den Literarischen Sommer im Crefelder Ruderclub. Der Autor begeisterte die Zuhörer mit schauspielerischen Qualitäten.

 Ein Moment der Ruhe vor der Lesung: Saa Staniic entspannt auf der Gartenbank des Crefelder Ruderclubs. Der Preisträger der Leipziger Buchmesse überzeugte das Publikum mit seiner lockeren und lebendigen Art des Vortrags.

Ein Moment der Ruhe vor der Lesung: Saa Staniic entspannt auf der Gartenbank des Crefelder Ruderclubs. Der Preisträger der Leipziger Buchmesse überzeugte das Publikum mit seiner lockeren und lebendigen Art des Vortrags.

Foto: T. lammertz

Einem einzelnen wohlwollenden Beamten ist es zu danken, dass der Bosnien-Flüchtling Saa Staniic nach drei Jahren Duldung in Deutschland nicht im Teenager-Alter wieder abgeschoben wurde; einem einzelnen Heidelberger Lehrer, dass sein literarisches Talent bereits auffiel, als er noch dabei war, vom Bosnischen auf die deutsche Sprache umzusatteln, und einem glücklichen Zufall, dass er jetzt den 15. Literarischen Sommer mit seiner Lesung im Crefelder Ruderclub eröffnen konnte.

Hätte man nur acht Tage später bei ihm angefragt, man hätte den sympathischen jungen Autor nicht bekommen, erzählte Anette Ostrowski (Niederrheinisches Literaturhaus), denn seit er für seinen aktuellen zweiten Roman "Vor dem Fest" mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Sparte Belletristik geehrt wurde, ist er völlig ausgebucht. Mit dem Sammeln von Auszeichnungen begann er übrigens schon früh. In seiner ersten Heimatstadt Viegrads, wo er 1978 geboren wurde, erhielt er als dreizehnjähriger einen Preis, weil er der eifrigste Ausleiher und Leser in der Stadtbibliothek war, berichtete Helga Krall von der Mediothek. Wenig später musste seine Familie vor den Kriegswirren fliehen, nun las er im stilvollen Club-Treff am Rheinufer vor ausverkauftem Haus.

Warum er die Uckermark als Schauplatz für sein neues Werk gewählt habe, fragte ihn Moderatorin Maren Jungclaus (Literaturbüro NRW). Seine Erklärung: Inspiriert habe ihn der Erzähler Eduardo Galeano aus Uruguay mit seiner Art und Weise, die Geschichte eines sterbenden Dorfes zu erzählen. Sie träfe so ähnlich auch auf Dörfer in Bosnien zu und natürlich auch auf solche in der Uckermark. Die insgesamt 700 Jahre Dorfgeschichte, die in seinem Roman auf außerordentlich sprunghafte, dabei aber höchst spannende Weise Revue passieren, hätten dort besonders gut hingepasst.

Fürstenfelde heißt das Dorf bei ihm. Es ist an einem See gelegen ist, und bereits im zweiten Satz ist der Fährmann tot. Als er bestattet wird, wundern sich die anderen Toten, was wohl ein Fährmann unter der Erde solle. Im See wäre sein Platz gewesen. Solch skurrile Arabesken sind typisch für Staniic, meist sind sie auch recht tiefsinnig.

Saa Staniic wurde 1978 in Viegrad, einer Kleinstadt im östlichen Bosnien, als Sohn einer Bosniakin und eines Serben geboren. Er studierte er an der Universität Heidelberg Deutsch als Fremdsprache und Slawistik. 2004/2005 nahm er ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig auf. Er erhielt in Klagenfurt den Kelag-Publikumspreis, den Förderpreis zum Literaturpreis der Stadt Bremen, den Adelbert-von-Chamisso-Preis, den Förderpreis zum Heimito von Doderer-Literaturpreis, den Alfred-Döblin-Preis und den Hohenemser Literaturpreis.

Für die Lesung hatte er sich zwei Charaktere herausgepickt, nämlich Ditsche, den Ex-Postboten und mutmaßlichen Ex-Stasi-Spitzel, der nun Hühner züchtet, und eine Füchsin, die für ihre Jungen Eier stehlen will. Höchst gelungen, wie er dabei eine Sprache (er)fand, die der lesende und lauschende Mensch zwar versteht, die aber dennoch das Tier nicht vermenschlicht wie in einer klassischen Fabel, sondern sich seiner spezifischen Wahrnehmungs- und Empfindungsweise nähert, so gut dies mit menschlicher Sprache gehen mag. Und an "seinen" Menschen veranschaulichte er, wie unterschiedliche Horizonte zu ganz unterschiedlichen Bewertungen und Gewichtungen von Ereignissen führen. Sein Vortrag war dabei so mitreißend lebendig, dass Jungclaus ihn fragte, ob er je ans Schauspielern gedacht hätte. Hat er nicht. Was er hat, ist ein beinah unerschöpflicher Vorrat an Geschichten mit wahren Kernen und eine geradezu unbändige Lust am Erzählen. Sein Publikum fraß ihm aus der Hand.

Seine Romane "Wie der Soldat das Grammofon repariert" (ISBN 3-630-87242-5) und "Vor dem Fest" (ISBN 978-3-630-87243-8) erschienen bei Luchterhand in München.

(RP)
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