Krefeld Rio Reiser - der König von Deutschland kehrt zurück

Krefeld · Rio Reiser ist eine der schillerndsten Figuren der Deutschen Rockmusik. 20 Jahre nach seinem Tod kommen sein Leben und seine Lieder nun auf die Krefelder Theaterbühne.

 Der "König von Deutschland" aalt sich auf seinem Thron: Adrian Linke spielt und singt die Titelrolle in "Rio Reiser". Er will keine Kopie des Kultsängers geben, sondern seine eigene Interpretation.

Der "König von Deutschland" aalt sich auf seinem Thron: Adrian Linke spielt und singt die Titelrolle in "Rio Reiser". Er will keine Kopie des Kultsängers geben, sondern seine eigene Interpretation.

Foto: M. Stutte

Ende der 1960er Jahre ist Berlin Zufluchtsort für viele 17-jährige Jungs. "Wer nicht zum Bund und seine langen Haare abschneiden wollte, zog hin, bevor er erfasst wurde", sagt Heiner Kondschak. Er hat's getan - und das ist eine biografische Gemeinsamkeit, die er mit vielen teilt. Unter anderem mit Rio Reiser. Der fünf Jahre ältere Musiker hatte damals bereits Spuren hinterlassen: An den Hauswänden waren Zeilen seiner Songs aufgesprüht: "Keine Macht für Niemand", und seine Band Ton Steine Scherben hatte bereits ordentlich Fahrt in die dümpelnde deutsche Musiklandschaft gebracht. "Es war die Zeit, in der man hier Heintje und Roy Black liebte", erzählt Kondschak, der mit seinen grau gewordenen langen Haaren noch ein Stück jener Rebellenzeit ins 21. Jahrhundert gerettet zu haben scheint. Die Beatles und die Stones waren Musik-Anarchie, aber in englischer Sprache. Und dann kommt da einer, der donnert "Macht kaputt, was euch kaputt macht" und gleichzeitig Regenbogen biegen möchte und aus der schwärzesten Melancholie Utopien aufschimmern lässt wie in "Halt dich an deiner Liebe" fest. Rio traf ihn mitten ins Herz. Deshalb hat Kondschak mit Herzblut 2004 den Auftrag des Tübinger Theaters angenommen, einen Abend über Rio Reiser zu schreiben. Am Samstag, 20 Jahre nach dem Tod des Rockpoeten, kommt "Rio Reiser - König von Deutschland" auf die Theaterbühne.

Wer war diese umstrittene Person, die eine immense Fangemeinde anzog, und um den sich zahllose schillernde Legenden ranken? "Wahrscheinlich jemand, der sein Leben lang unglücklich war", sagt Multi-Instrumentalist Kondschak, der Reiser zweimal live erlebt, unendlich viele Biografien studiert und sich mit Reisers Bruder Gert Möbius ausführlich ausgetauscht hat. Am 9. Januar 1950 wird Ralph Christian Möbius in Berlin geboren. Der Vater ist Ingenieur, wird häufig versetzt, die Familie zieht ständig um. Musik ersetzt das Heimatgefühl. Der Sohn ist 16 als die Familie in Rodgau landet. Nachbarsjunge Ralph Peter Steitz wird sein Freund, der wichtigste seines Lebens. Mit 17 gehen beide nach Berlin, der eine nennt sich RPS Lanrue, der andere wird Rio Reiser. 1970 gründen sie die Band Ton Steine Scherben. Kein Kommerz, keine Plattenfirma, bloß kein Establishment - ihre Musik soll die Welt ändern.

Auf den ersten Auftritt auf dem von Beate Uhse gesponserten "Love-and-Peace-Festival" folgen Platten im Selbstvertrieb: "Warum geht es mir so dreckig" (1971). Mit "Keine Macht für Niemand" ein Jahr später erreicht die Band Kultstatus. Das ist die Musik der Hausbesetzer, der Soundtrack der Konsumverweigerer. Die Songs liefern Parolen, die sich als Widerstandsslogan sprayen lassen. Rio Reiser ist ihr Star, einer der sich nicht anpasst, der singt, was er denkt und sich mit dem Mut des Verzweifelnden jedem Gegenwind aussetzt. 1970, als Homosexualität noch als Straftat geahndet wurde, outet er sich. Er will sich nicht verstellen. Noch weniger will er sich vor parteipolitische Ideologiekarren spannen lassen. Nächtliche Diskussionen mit politisch engagierten Gastgebern, in deren WG er übernachtet, um auf Tour das Hotel zu sparen, nerven ihn. Dass die RAF den Auftrag für einen Protestsong erteilt habe und von Reiser "Macht kaputt, was euch kaputt macht" bekam - eine Anklage an Terror, Waffen und Gewalt und damit eigentlich unbrauchbar für die RAF-Kämpfe, erzählen Bandmitglieder gern. Vielleicht ist es eine Legende. Aber als er sich von den Linken vereinnahmt sieht, fühlt Reiser sich missbraucht. Er verlässt die wilde Berliner Groß-WG und zieht aufs Land nach Fresenhagen. Nach einer finanziell desaströsen Tour löste die Band sich 1985 auf. Reiser macht solo weiter, schreibt nun über privatere Themen - und wird als "König von Deutschland" legendär. Er tilgt alle Bandschulden, schreibt wundervolle Texte wie "Junimond" und "Für immer und dich". Er singt nicht vom kleinen Glück, sondern vom Paradies, von Träumen, die Visionen sind. Er gibt deutscher Musik eine gehaltvolle Sprache. "Was Bob Dylan in den USA war, war er fünf Jahre später bei uns", sagt Kondschak. Einer der Türen öffnete für Musiker wie Udo Lindenberg, Wir Sind Helden und Fettes Brot.

(RP)
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