Krefeld Problemkinder: Appell an Eltern

Krefeld · Übergewicht, Sprachprobleme, Bewegungsmangel: 15 Prozent der Krefelder Kinder haben Entwicklungsstörungen. Der Chef vom Fachbereich Kindermedizin der Stadt sagt: Ohne die Eltern kann man den Kindern nicht helfen.

15 Prozent der Krefelder Vorschulkinder sind in ihrer Entwicklung gestört und fallen dem Kinderarzt oder im Kindergarten dadurch auf, dass sie in den Bereichen Sprache, Motorik und Verhalten deutliche Schwierigkeiten haben.

"Die soziogenen Entwicklungsstörungen bei Kindern nehmen eindeutig kontinuierlich zu," sagt Hans Peter Wirtz vom Fachbereich Kinder- und Jugendmedizin Krefeld, der auch die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen in Krefeld in den Jahren 2002 bis 2009 ausgewertet hat. Über die Ursachen streiten die Experten: Zwei Modelle stehen sich gegenüber.

Die Befunde bei den Kindern sind vielfältig: Beim Sprechen fallen manche Laute schwer, der Wortschatz ist gering, und es werden keine vollständigen Sätze gebildet. Ist die Feinmotorik gestört, können die Kinder nicht malen, abmalen oder gerade Striche ziehen; bei Defiziten in der Grobmotorik fällt es den Kindern schwer zu hüpfen, zu laufen oder Dreirad zu fahren. Für alle Störungsbilder gilt, dass Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen. Bei den Verhaltensauffälligkeiten ist der Jungenanteil sogar deutlich höher, was besonders die Aufmerksamkeitsstörungen (ADS/ADHS) betrifft.

Bei der Forschung nach den Ursachen dafür, dass körperlich gesunde Kinder zunehmend Entwicklungsstörungen aufweisen, gibt es laut Wirtz zwei Erklärungsansätze, den biochemischen und den "soziogenen", der nach gesellschaftlichen Lebensumständen fragt: "Man hat in den letzten Jahren versucht, den Anstieg von Störungen, insbesondere im Bereich ADHS, mit veränderten biochemischen Abläufen zu erklären."

Wirtz bezweifelt jedoch diese Theorie. "Die Biochemie des Menschen ändert sich nicht in zwanzig Jahren. Bei solchen Prozessen sprechen wir von ganz anderen Zeiträumen." Für ihn liegen die Hauptgründe in den veränderten Lebensgewohnheiten. Risikofaktoren seien finanzielle Not, instabile Familienverhältnisse und ein anregungsarmes Umfeld. Als problematisch erlebt Wirtz oft das Desinteresse der Eltern. "Vielfach herrscht ein hohes Maß an Gleichgültigkeit. Manche Kinder haben nichts. Nichts Vernünftiges zu essen, keine angemessene Kleidung, geschweige denn geistige Anregung."

Stattdessen herrsche ein hoher Fernseh- und Spielekonsole- Konsum. Wirtz sagt dazu: "Seine Muttersprache lernt man nur über den Gebrauch. Es muss mit den Kindern gesprochen werden. Es nützt nichts, mit den Kindern ins Kino zu gehen und mit dem Popcornbecher auf dem Schoß einen Film zu gucken."

Mit Fördermaßnahmen und besonderer Beschulung könne man den Kindern helfen, vor allem in der Sprachentwicklung und der Motorik. Doch Wirtz sagt auch, dass es ohne Mitarbeit der Eltern nicht geht. Wichtig sei es daher, die Eltern früh zu erreichen. An dieser Stelle komme den Kindergärten eine wichtige Aufgabe zu. Hier erfolge niederschwellige Hilfe durch Gespräche und Beratungen. Wirtz: "Es nützt nichts, den Eltern eine Broschüre in die Hand zu drücken."

Was die Erfolge von Förderung angeht, ist Wirtz je nach Störung jedoch unterschiedlich optimistisch. "Die Sprachentwicklung kriegt man hin. Bei den Verhaltensstörungen ist es schwierig; da müssen die Eltern kooperieren."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort