Theater Krefeld Vom Scheitern des guten Menschen

Krefeld · Gerhard Willert inszeniert das Episoden-Drama „Mein Kühlraum“ des Franzosen Joël Pommerat am Theater Krefeld. Das Stück besticht durch unterhaltsame Spielszenen, scheut aber nicht vor Banalität zurück.

 Satire mit grotesken, banalen und auch ordinären Einsprengseln wie einer deftigen Schimpfkanonade: Beim neuen Stück „Mein Kühlraum“ bewältigen neun Akteure mehr als 20 Rollen und schaffen ein vergnügliches und nachdenkenswertes Ganzes.

Satire mit grotesken, banalen und auch ordinären Einsprengseln wie einer deftigen Schimpfkanonade: Beim neuen Stück „Mein Kühlraum“ bewältigen neun Akteure mehr als 20 Rollen und schaffen ein vergnügliches und nachdenkenswertes Ganzes.

Foto: Matthias Stutte

Ein zierlicher Kapuzenmann tänzelt  über die Bühne, attackiert den Sprecher der Belegschaft eines Schlachthofs, der abgewickelt werden soll. Um den Widerstand der Beschäftigten zu brechen, misshandelt der Hänfling (Carolin Schupa) den Betriebsratschef brutal. Black – nächste Szene: Paul Steinbach als Blocq, todkranker Noch-Eigentümer des Schlachthofs, stimmt mit Kopfstimme in Falsettlage den israelischen Hymnus „Yerushalayim Shel Zahav“ an, der das goldene Jerusalem besingt. Alles wieder gut nach hartem Kampf? Eben nicht. Bissige Ironie gehört zum Kerngeschäft des Autors Joël Pommerat (56), der in „Mein Kühlraum“ eine schillernde Alltagsgeschichte aus der Arbeitswelt präsentiert.

 Scheitern inbegriffen: Szene aus „Mein Kühlraum“.

Scheitern inbegriffen: Szene aus „Mein Kühlraum“.

Foto: Matthias Stutte

In rund 60 Episoden, ähnlich wie in „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ (ebenfalls von Pommerat ), erzählt Regisseur Gerhard Willert die Story. Wobei Eva Spott auf einem bis ins Parkett reichenden Steg die Rolle der Erzählerin spielt.  Licht an, Licht aus, so geht es zweieinhalb Stunden lang.  Julia Klomfaß zettelt dazu mit E-Bass und Sampler eine Geräuschkulisse an, für die der Begriff Musik irreführend wäre.

Neun Akteure, die mehr als 20 Rollen auszufüllen haben, bringen „Mein Kühlraum“ auf die von Julia Scholz spärlich möblierte Bühne. Die Angestellten eines Supermarkts treffen in der Garderobe des Ladens von Monsieur Blocq zusammen. Acht verschiedene Persönlichkeiten, die sich der Situation konfrontiert sehen, gemeinsam dessen Geschäft zu erben. Noch vor seinem Ableben überschreibt ihnen der todkranke Blocq (Paul Steinbach, im Nadelstreifen mit Krawatte als Boss gekennzeichnet) seinen Laden – und dazu drei weitere Geschäfte, darunter ein Nachtlokal. Beim Umlernen von Lagerverwalter, Buchhalterin, Kassiererin und Metzger in das ungewohnte Denken von Unternehmern tun sich alle mächtig schwer. Erst als eine Immobilien-Heuschrecke ihnen Millionen bietet für das lukrative Zementwerk, fangen einige an, profitorientiert zu denken.

Die Veränderung zu Kapitalisten beschreibt die sonst ehrpusselige Buchhalterin Adeline (Nele Jung) so: „Das sind ökonomische Gesetze, sie sind unausweichlich. Die Dinge sind vorherbestimmt, wir können nichts dagegen tun, . . .“ Doch weil die gute Seele des Ladens, die Putzfrau Estelle (Carolin Schupa), nach dem ungeklärten Mord an ihrem gewalttätigen Ehemann (Michael Ophelders) untertaucht und zehn Jahre in der Versenkung bleibt, scheitern die Pläne. Am Ende sind alle arbeitslos, mit dem Erlös aus dem Verkauf verstanden sie nicht profitabel umzugehen.

Estelle ist der gute Mensch des Ladens, sie lässt sich von den anderen nach Strich und Faden ausnutzen. Erst als sie die Leitung eines Theaterprojekts übernimmt, bei dem die Gruppe das Leben ihres Chefs auf dessen Wunsch einstudieren soll, wächst ihr Einfluss. Allerdings nur dank  Verstellungstrick, den Pommerat sich von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ abgeschaut hat. Wenn gütliches Zureden nicht mehr nutzt, verwandelt sich Estelle in ihren „kleinen Bruder“, der mit Gewalt dafür sorgt, dass die Dinge so laufen, wie Estelle es will. Denn wenn das Theaterstück nicht  zur Aufführungsreife gelangt, könnte der Erb-Deal mit Blocq platzen. Doch das Vorhaben scheitert. Die bittere Ironie einer Szene belegt, wie durchgreifend Gewalt wirkt: Der sprechgestörte Lagerist Chi (Raafat Daboul), der in unverständlichem Kauderwelsch immer wieder das Premierenpublikum amüsiert, kann angesichts brutaler Drohung plötzlich das Wörtchen „okay“ fehlerfrei artikulieren. Eine Provokation, die zu unerfreulichem Grübeln über abgründigen Humor zwingt  . . .

Komisch-gruselig ist auch, dass Carolin Schupa dann am überzeugendsten spielt, wenn sie ihren fiktiven Bruder, den brutalen Schläger, verkörpert. Sie tanzt, agiert und rezitiert in dieser Rolle verblüffend authentisch: Schade nur, dass wir einen maximal widerlichen Schimpfdialog zwischen dem Kapuzenmann und Blocq im Krankenhaus anhören müssen. So wird der Bildungsauftrag des Theaters gegen die Wand gefahren.

Am Ende dreht eine seltsam euphorische, übermütig-ausgelassene Estelle auf einem Reinigungswagen ihre Runden auf der Bühne. Ein Nachbar, Killer von Beruf, hatte ohne Mordauftrag (!) ihren Ehemann erschossen, sie ist rehabilitiert. Alles steht wieder auf Anfang.

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