Lkw überrollte 79-jährige Krefelderin auf dem Fahrrad Polizeiexperten stellen tödlichen Unfall nach

Krefeld · Wäre der tödliche Unfall, bei dem eine 79-jährige Radfahrerin vor zwei Wochen von einem Lkw überrollt wurde, vermeidbar gewesen? Um das festzustellen haben Polizei und Gutachter die Situation vor Ort aufwändig nachgestellt.

Lkw erfasst Radfahrerin: Polizei stellt tödlichen Unfall in Krefeld nach
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Wäre der Unfall vermeidbar gewesen?

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Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Donnerstag, 7. Juli, 10.10 Uhr: Die Polizei hat die Unfallstelle auf der Kreuzung von Traarer Straße und Bergstraße mit Flatterband abgesperrt. Die Zufahrtsstraßen sind für die nächsten beiden Stunden ebenfalls gesperrt. So lange wird es dauern, bis Polizei und Gutachter alle Details  des Geschehens zusammengetragen haben. Es ist kein alltäglicher Einsatz. Denn es wird ein Unfall rekonstruiert, der sich zwei Wochen zuvor, am Mittwoch, 22. Juni, zu exakt dieser Uhrzeit an dieser Stelle ereignet hat: Eine 79-jährige Radfahrerin ist von einem Lkw überrollt worden und ihren Verletzungen  erlegen.

Dass ein Unfall nachgestellt wird, kommt für die Polizei nicht oft vor, zuletzt vor etwa anderthalb Jahren. „Das war der tödliche Unfall mit Straßenbahn und Rollatorfahrer auf der St.-Anton-Straße“, sagt Polizeisprecher Christian Werle. In diesem aktuellen Fall ist es nötig, weil eine der beiden Unfallbeteiligten  gestorben ist und keine Aussage machen konnte, und Augenzeugen immer nur einen Teil sehen. „Wir müssen die Frage klären, ob der Unfall  hätte verhindert werden können, muss man dem Lkw-Fahrer etwas zur Last legen, und wenn ja: was?  Sein Wagen hat kein Assistenzsystem, aber das ist für das Fahrzeug zum jetzigen Zeitpunkt nicht verpflichtend“, so Polizeisprecher Andreas Séché.  „Die 79-Jährige ist die erste offizielle Verkehrstote in Krefeld in diesem Jahr“, sagt er.  Per Definition gelten nur Menschen als Verkehrstote, wenn sie innerhalb von 30 Tagen an ihren Verletzungen sterben.

Das war passiert an jenem 22. Juni: Die Radfahrerin wollte an der Ampel auf der  Traarer Straße geradeaus fahren, ein 70-jähriger Lkw-Fahrer aus Neuwied bog rechts in die Bergstraße ein, übersah die Frau, erwischte sie und der Wagen überrollte sie. Das Team aus der anliegenden Zahnarztpraxis reagierte schnell und leistete Erste Hilfe, bis der Notarzt eintraf.

Für die Rekonstruktion ist der Original-Lastwagen einer Spedition, der noch sichergestellt ist, an die Unfallstelle gebracht worden. Auch das Originalfahrrad ist da, aber eine Mitarbeiterin des Verkehrskommissariats wird die Rolle der Radlerin mit einem unbeschädigten Rad übernehmen. Mitgefühl für die Angehörigen der Toten und für den Lkw-Fahrer schwingen immer mit. Diplom-Ingenieur Bernd Hüsges ist als Gutachter hinzugezogen worden. Nach einem 3D-Scan von der Unfallstelle hat er eine Simulation der Wege von Lkw und Fahrrad erstellt. „Es ist die logische Strecke des Lkw und die Strecke der Radfahrerin, wie sie nach Zeugenaussagen am Ampelmast vorbeigefahren ist.“  Denn sie war zuvor in der anliegenden Bäckerei und ist ein Stück über den Gehweg und dann auf den Radweg gefahren. „Wir sind sehr froh, dass sich die Zeugen über den Aufruf in der Presse gemeldet haben“, sagt die Polizei. Daher weiß man, wie die Frau gefahren ist, dass sie keinen Helm trug, dass der Lkw-Fahrer an der Ampel zunächst Rotlicht hatte und bei Grün anfuhr, dass die Radfahrerin schon Grün hatte, als sie Richtung Kreuzung  fuhr. So viele Informationen wie möglich müssen gesammelt werden. Was letztlich zur Katastrophe beigetragen hat, muss das Gutachten ergeben.

Mit weißer Sprühfarbe markiert Hüsges in Sekunden- und Halbsekundenabschnitten die Positionen von Laster und Rad auf der Straße: Null bis 9,5 - die letzten Sekunden eines Menschenlebens.

Entsprechend sorgfältig werden Punkte und Winkel ausgemessen: „Wir wollen genau wissen, an welcher Stelle, wer was gesehen haben könnte“, sagt der Gutachter. Spekulationen verbieten sich. „Es ist ein schwebendes Verfahren“, betont Séché.

An jeder Markierung fotografiert Hüsges sowohl aus der Fahrerkabine als auch aus Perspektive der Radfahrerin. „Bei Unfällen mit Lkw und Radfahrern oder Fußgängern ist das die einzig machbare Möglichkeit. Man kriegt Details wie die Einstellung des Spiegels nie so genau hin, wie es tatsächlich gewesen ist“, sagt er. Die sieben Zentimeter, die das Double des Nachstelltermins größer ist als die 79-Jährige, werden eingerechnet. Beim toten Winkel kann ein einziger Zentimeter mehr oder weniger lebensentscheidend sein.

Nach mehr als einer Stunde Vorbereitung und Markierung der wenigen  Meter putzt Hüsges die Regentropfen eines kurzen Schauers von den Spiegeln des Lastwagens und setzt sich ans Lenkrad. Im Schritttempo geht es vorwärts. Ein Mitarbeiter des Gutachterbüros weist ihn ein, damit die Position exakt ist. Es ist ein beängstigender Anblick, wie sich Rad und Reifen des großen Fahrzeugs immer näher kommen, bis sie die eingezeichnete Endposition des Lastwagens erreichen - die gelben Kreise für das Zweirad sind darunter fast verschwunden. Der Lkw hat einige Kratzer. Das macht das Kräfteverhältnis deutlich.

In der Bäckerei wenige Meter vom Unfallort haben die Mitarbeiterinnen Gänsehaut. Hier hatte die 79-Jährige Minuten vor dem Unfall noch eingekauft. „Sie war meine letzte Kundin an dem Tag, ich hatte um zehn Uhr Feierabend“, erzählt Janina Engels. „Sie war die einzige Kundin im Laden und wir uns so nett unterhalten. Ich hätte nicht gedacht, dass sie 79 war.“ Und. „Die Polizei ist oft hier. In unmittelbarer Nähe sind drei Schulen – und hier wird oft gerast. Vielleicht sollte man über Tempo 30 nachdenken.“

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