Themenwoche zum ÖPNV: Umsteigen bitte Warum Krefeld die gelbe Straßenbahn liebt

Serie | Krefeld · Die Straßenbahn  ist nicht nur ein Gefährt, sondern für viele ein Herzensding. Wenn es im Himmel einen ÖPNV  gibt, dann sind es himmlische Straßenbahnen. Wir erläutern, warum man eine Straßenbahn nur lieben kann.

Straßenbahnen rollen seit 120 Jahren durch Krefeld
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Straßenbahnen rollen seit 120 Jahren durch Krefeld

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Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Bei Netflix gibt es einen neuen Actionfilm namens „The Gray Man“ mit einer unerhörten Szene: Eine multiple Schießerei-Schlägerei-Verfolgungsjagd spielt in einer fahrenden Straßenbahn. Nicht U-Bahn („Mission Impossible“, „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“), nicht Eisenbahn (James Bond, diverse Western und Krimis) – nein, die Straßenbahn. Eine Premiere und für Action-Fans eine Lust, die man sich auch nicht von dem Kritiker-Hinweis „die Figuren bleiben blass, Charaktere sind nicht sehr tief entwickelt“ vermiesen lassen sollte. Straßenbahn-Fans allerdings muss man warnen: Diese Szene tut weh. Die Straßenbahn als Actionheld? Als Gewaltvehikel? Zerstörbar bis zur letzten Halteschlaufe? Das ist schwer auszuhalten, denn die Leute lieben Straßenbahnen. Warum das so ist – davon erzählt der Film in dieser atemberaubenden Szene ungewollt sehr viel.

Die Straßenbahn ist ein Friedensgefährt, Krieg kann man damit nicht führen. Sie strahlt Ruhe aus und Kraft: Und wenn der Mond in die Erde kracht – Straßenbahnen bleiben gleisfest und steuern schnurgerade die nächste Haltestelle an. Straßenbahnen sind Anti-Apokalypse und Alles-ist-gut-Verheißung in unserem Alltag. Am Ende der Fahrt wartet ein Geschäft oder der Feierabend oder der Job oder die Liebe eines Lebens oder der beste Freund für das wichtigste Kummer-Bier des Jahres. Jedenfalls: Straßenbahnfahren zeitigt in unserem Leben nur Gutes. Und Frieden.

Als Journalist in Krefeld konnte man das immer dann lernen, wenn Bilder der gelben Straßenbahn im Blatt oder online gezeigt wurden. Die Krefelder lieben diese Bahn. Die Modellbezeichnung lautet  8xGTW, die letzte ihrer Art fuhr bis zum Sommer 2010 durch Krefeld. Viele erwachsene Krefelder werden mit dieser Bahn Leichtigkeit und Übermut der Jugend verbinden: Man war noch in dem Alter, als am Ziel nicht ein Discounter, sondern der Lieblingsmensch wartete. Und das große, summende brummende  „Summer  in  the City“-Feeling. Danke, gelbe Straßenbahn, du hast uns immer unerschütterlich dorthin getragen.

Krefeld hat mehrere solcher Herzensbahnen. Die gelbe Bahn wird vom Verein „Linie 1“ als Partybahn betrieben und kann für Veranstaltungen gemietet werden. Gleiches gilt für den Blauen Enzian, der denkmalgeschützt ist und auch für standesamtliche Trauungen als „rollendes Trauzimmer“ genutzt werden kann. Oh wunderbarer Blauer Enzian! Er wurde im Jahr 1900 erbaut und fuhr 1901 das erste Mal auf den Krefelder Schienen. Bis 1955 war die Bahn mit der Nummer 93 im Einsatz. Mit ihm zu fahren ist pure nostalgische Freude: Wo heute Kunststoffe überwiegen, bietet er Holz und Metall. Ohne den Komfort einer modernen gepolsterten und gefederten Bahn wirkt er wie ein rührendes Baukasten-Spielzeug für Anfänger.

Womit man dieser Straßenbahn selbstredend unrecht tut.  Manches an ihrer Technik gilt bis heute:  Sand zum Beispiel wird bis heute gebraucht, um die Reibung zwischen Rad und Schiene zu erhöhen; die Fahrer im Blauen Enzian dosierten den Sand noch  per Hand mit einer Schüppe und ließen ihn durch einen Trichter auf die Schienen rieseln. Das übernimmt heute Kollege Computer. 150 Tonnen Bremssand werden heute pro Jahr auf Krefelds Schienen verteilt.

Nachfolger der gelben Bahn war die M8C, die rot-weiße Königin der 80er-Jahre, von der immer noch fünf Stück als Reserve im Einsatz sind, falls es im Schülerverkehr oder durch Reparaturen bei anderen Bahnen eng wird.

Die neuen hochmodernen Niederflur-Straßenbahnen (wegen des nahezu ebenerdigen Ein- und Ausstiegs) sind seit dem 21. Dezember 2009 in Betrieb. Heute sind davon 32 Stück in Krefeld unterwegs. Die Straßenbahn mit der Bezeichnung Flexity Outlook der Firma Bombardier verfügt über Video-Überwachung, Kontakt zum Fahrer per Sprechanlagen und Klimaanlage.

Kurz und gut: Den Pulsschlag aus Stahl gibt es nicht nur in Bochum. Das Liniennetz in Krefeld ist rund 546 Kilometer lang, davon 43 Kilometer auf Schienen mit 36 Straßenbahnen; dazu kommen 100 Busse. Mit diesen Fahrzeugen legen die SWK jedes Jahr 10,7 Millionen Kilometer zurück, das ist rund 268-mal um die Erde. Bei der SWK Mobil arbeiten mehr als 400 Menschen. Zu den Kunden zählen mehr  als 30.000 Abonnenten, wobei das SchokoTicket für die Schüler knapp die Hälfte ausmacht. Unter den Tickets für jedermann ist das Ticket2000 der Top-Seller mit 3000 Abonnenten.

 Vier Generationen (v.l.): der Blaue Enzian (in Betrieb von 1901 bis 1955), die  8GTW (bis 2010 in Betrieb); die  M8C (seit den 80er Jahren; fünf sind noch im Einsatz); die Flexity Outlook der Firma Bombardier (32 im Einsatz).

Vier Generationen (v.l.): der Blaue Enzian (in Betrieb von 1901 bis 1955), die  8GTW (bis 2010 in Betrieb); die  M8C (seit den 80er Jahren; fünf sind noch im Einsatz); die Flexity Outlook der Firma Bombardier (32 im Einsatz).

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Das ÖPNV-Paket kostet: Die SWK Mobil machen jährlich Defizite. Vor Corona lag das Defizit zum Beispiel 2017  bei 19,3 Millionen Euro. Im Corona-Jahr 2021 stieg diese Zahl auf 26 Millionen Euro an.  Der ÖPNV ist also nie kostendeckend, wenn man so will: teuer. Aber, und das darf man nicht vergessen: den Menschen auch lieb. Und zwar nicht nur, weil ein Gefährt klimaschonend von A nach B fährt.

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