100 Jahre Bauhaus – Jubiläum in Krefeld Die Liebe der Industriellen zum Bauhaus

Krefeld · Dass die Seidenbarone Lange und Esters mit Mies van der Rohe die Avantgarde nach Krefeld holten, ist bekannt. Dass Krefeld wichtige Bauhaus-Stadt ist, lag an der Industrie. Ein frisch erschienener Forschungsband beleuchtet erstmals die Zusammenhänge – mit überraschenden Ergebnissen.

 Haus Lange auf einer privaten Fotografie von 1930. Der Blick in den Wohnraum zeigt die Kunstsammung von Hermann Lange, u.a. hinten links „Die Hirten“ (1911/12) von Franz Marc.

Haus Lange auf einer privaten Fotografie von 1930. Der Blick in den Wohnraum zeigt die Kunstsammung von Hermann Lange, u.a. hinten links „Die Hirten“ (1911/12) von Franz Marc.

Foto: Familie Lange/Berliner Bildbericht/Repro: Petra Diederichs

Bauhaus ist mehr als Weimar und Dessau. Bauhaus ist auch Krefeld. Historiker Christopher Oestereich ist  überrascht, dass diese Verbindung lange nicht wahrgenommen wurde: „In der jungen Bundesrepublik der 50er Jahre, als Bauhaus und Design wieder Themen waren, wurde Krefeld nicht gesehen – obwohl Bauhäusler hier noch bis in die 70er unterrichtet haben“, sagt er. Elisabeth Kadow ist 1971 die letzte Vertreterin des Bauhauses, die in den Ruhestand geht. Ein frisch erschienener Forschungsband, an dem er mitgewirkt hat, wird jetzt manche Lücke schließen: „Bauhaus und Textilindustrie. Architektur. Design. Lehre“, den Christiane Lange (Verein MiK – Mies in Krefeld)  und Anke Blümm (Kuratorin Bauhaus Weimar) herausgegeben haben.

Dass nach dem Ersten Weltkrieg die Seidenbarone Hermann Lange und Josef Esters mit dem modernen Architekten Ludwig Mies van der Rohe die Avantgarde nach Krefeld holten, ist bekannt. Aber wie eng die Verbindung zwischen der Textilindustrie und den Vertretern des Bauhauses, zu denen Mies gehörte, war, hat ein Team von  Wissenschaftlern in dem 430 Seiten starken Band analysiert. Er ist Lesebuch, Nachschlagewerk und vor allem Begleitband zu der Ausstellung, die am Sonntag, 7. April, in dem vom Künstler Thomas Schütte errichteten Pavillon im Kaiserpark eröffnet wird. Themen des Buches werden dort in Dokumentarfilmen verhandelt.

„Es gab 1200 Bauhäusler, die dort studiert oder gelehrt haben. 20 waren konkret arbeitend hier“, sagt Christiane Lange. Fast alle haben für die Seidenindustrie oder den Branchenverband, der seinen Sitz in Krefeld hatte, gewirkt. Und sie hinterließen ihre Spuren. „Bauhaus wurde zeitgenössisch als radikal empfunden“, berichtet Lange. Trotzdem haben Industrie, Politik und Stadtspitze an einem Strang gezogen. Aus der Industrie seien zwei Drittel der Gehälter geflossen für die Bauhaus-Lehrer, die hier Textiltechnik und -design unterrichteten. Einer von ihnen war Johannes Itten, dem Krefeld nicht nur eine neue Schule für Textile Flächenkunst mit neuer fotografischer Abteilung eingerichtet habe, sondern auch neue Lehrer eingestellt – während anderswo Stellen abgebaut wurden. „Die Stadt stand hinter Itten“, sagt Oestereich, sogar Oberbürgermeister Aloys Heuyng, der ein NSDAP-Parteibuch hatte. Als das Bauhaus 1924 dem politischen Druck nachgeben und Weimar verlassen musste, war Krefeld sogar als neuer Standort im Gespräch. „Hermann Lange und der OB haben versucht, das Bauhaus herzuholen“, sagt Christiane Lange. Die Entscheidung fiel bekanntlich für Dessau. „Weimar hat Krefeld damals schon wahrgenommen“, so Lange. Weberinnen vom Bauhaus kamen her, um sich hier technisch fortzubilden, es gab einen reglerechten Wissenstransfer. Und in Krefeld war man begeistert – besonders von der Pädagogik Ittens, der ab 1932 die Ausbildung der Textildesigner leitete. „Von 45 Itten-Schülern sind damals elf zur Verseidag gegangen“, sagt die Wirtschaftshistorikerin Stefanie van de  Kerkhof. Bauhauslehre und Krefelder Textilindustrie seien ein klassisches Beispiel für private public partnership.

Van der Kerkhof nennt die Textilindustrie eine „Industrie der Spätzünder“, die bis zum Ersten Weltkrieg den Entwicklungen der französischen Mode hinterhergelaufen sei. Mit dem Bauhaus und Ittens Lehre der freien, vorbildlosen Gestaltung, sei die Branche zum Shooting Star avanciert. „Man gibt die Imitation auf, sucht nach neuen Stoffen, entwickelt neue Muster. Das Luxusgut für Wenige wird zum Massenkonsumgut“, sagt die Wissenschaftlerin. Habe bis zum Ersten Weltkrieg eine Mode sich alle zehn bis 15 Jahre verändert, so wurden die Moden seit den 20er Jahren immer kurzlebiger. „Es war eine Zeit der Kriege und Krisen, des Drucks der internationalen Konkurrenz“, beschreibt sie. Doch die Verbindung von Industrie und Kreativen habe enorme Energien freigesetzt.

Zwei Jahre haben die Wissenschaftler für die profunde Publikation geforscht. Dafür gab es eine Förderung der Gerda Henkel Stiftung. Die Kulturstiftung der Sparkasse unterstützt das Gesamtprojekt „Krefeld Pavillon“ samt Ausstellung, Programm und Buch mit 200.000 Euro.

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