Krefeld Neue Spur zum Gestank über Gellep-Stratum

Krefeld · Es gibt neue Indizien zu der Frage, woher die beißenden Geruchsbelästigungen in Gellep kommen: Sie können auf Biozide zurückgehen, die im Hafen im Kampf gegen Legionellen eingesetzt werden.

 „Die Bezirksregierung muss handeln“: Gregor Roosen, Vorsitzender des Bürgervereins Gellep-Stratum.

„Die Bezirksregierung muss handeln“: Gregor Roosen, Vorsitzender des Bürgervereins Gellep-Stratum.

Foto: Carola Puvogel

Der Einsatz von Bioziden zur Bekämpfung von Legionellen in den Kühlwassersystemen zweier Unternehmen im Krefelder Hafen könnte Ursache des beißenden Gestanks sein, der seit rund einem Jahr vornehmlich bei nördlicher Windrichtung durch Gellep-Stratum zieht. Der ortsansässige Bürgerverein hat sich durch beharrliches Nachfragen bei der Bezirksregierung Düsseldorf der Aufklärung des Phänomens genähert, zu dem seit Beginn im Frühjahr 2018 mehr als 400 Bürgerbeschwerden eingegangen sind (wir berichteten). Der Aktenordner in der Sache ist inzwischen prall gefüllt mit Unterlagen, die der Verein auf Basis des Umweltinformationsgesetzes (UIG) angefordert und mit Unterstützung einer Chemikerin ausgewertet hat. Auch wenn die Ursache weiterhin nicht geklärt ist, scheint dem Bürgerverein inzwischen wahrscheinlich, dass die beiden Unternehmen Compo Expert und Cargill als Quellen für den von Bürgern als „ätzend“, „ekelerregend“ oder auch „Atemwegs-reizend“ bezeichneten Geruch verantwortlich sein könnten.

 Compo Expert im Krefelder Hafen.

Compo Expert im Krefelder Hafen.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

 Wie die Bezirksregierung dem Bürgerverein auf seine UIG-Anfragen mitteilte, sind in beiden Unternehmen Belastungen des Kühlwassersystems mit Legionellen, teils weit über dem erlaubten Grenzwert, nachgewiesen worden. Außerdem wurden Schimmelpilze gefunden. Die Prüfergebnisse liegen unserer Redaktion vor. Ein Beispiel: Laut des Prüfberichts einer Untersuchung vom 23. August 2018 wurde der Grenzwert für „Legionella pneumophila“ bei Probennahme in der Verdunstungskühlanlage bei Cargill überschritten, das Unternehmen musste „Sofortmaßnahmen zur Gefahrenabwehr“ durchführen und die Anlage nach dem Maßnahmenkatalog des Störfallmanagements sanieren. Die Unternehmen haben nach Erkenntnissen des Bürgervereins sofort auf die Befunde reagiert und Biozide eingesetzt.

 Cargill im Krefelder Hafen.

Cargill im Krefelder Hafen.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Der Fall lässt an das Geschehen von 2013 denken, als in der Stadt Warstein mehr als 150 Menschen an einer von Legionellen verursachten Lungenentzündung erkrankten. Die Legionellen waren über ein Rück­kühlsystem in den Ort gestreut worden. Als Reaktion auf diesen größten Ausbruch der Legionärskrankheit, den es jemals in Deutschland gab, trat 2017 eine neue Legionellenverordnung in Kraft, die bis zum 19. August 2018 von den Unternehmen vollzogen werden musste. „Dieser zeitliche Zusammenhang springt im Fall der Geruchsbelästigung hier in Gellep-Stratum auf jeden Fall ins Auge“, sagt Roosen. Er vermutet, dass die Unternehmen möglicherweise neue Biozide zur Keimbekämpfung austesten. Das Unternehmen Cargill ließ die Frage nach diesem möglichen Zusammenhang unbeantwortet. Compo Expert reagierte auf die Anfrage unserer Redaktion nicht.

Cargill teilte jedoch mit: „Seit Jahrzehnten betreiben wir unsere Kühltürme sicher. Wir können einen Zusammenhang zwischen dem Betrieb unserer Kühlwassersysteme und Gerüchen in der Nachbarschaft ausschließen. Unter Durchführung regelmäßiger Kontrollen werden wir auch zukünftig für einen weiteren sicheren Betrieb sorgen.“ Die Anliegen der Nachbarn nehme das Unternehmen Cargill sehr ernst, Anfragen werde immer umgehend nachgegangen. Das Thema Geruchsbelästigung im Ortsteil Gellep-Stratum sei dem Unternehmen daher bekannt.

Die Bezirksregierung schreibt: „Ein Zusammenhang zwischen den Gerüchen und dem Einsatz von Bioziden beim Betrieb der Verdunstungskühlanlagen war bisher nicht festzustellen“, könne aber auch nicht generell ausgeschlossen werden.

Der Bürgerverein kritisiert in Zusammenhang mit dem Legionellen-Befall die Entscheidung des Krefelder Gesundheitsamtes vom 18. September: Nach Vorliegen der Legionellen-Befunde und in Kenntnis der getroffenen Gegenmaßnahmen hatte die Behörde eine Information der Bevölkerung seinerzeit als nicht notwendig erachtet. Auch Ärzte und Krankenhäuser wurden nicht in Kenntnis gesetzt. Das ist in anderen Städten durchaus üblich, damit Menschen, die an schweren Atemwegsinfekten erkranken oder erkrankt sind, sowie Ärzte darauf aufmerksam werden, dass möglicherweise Legionellen die Ursache sein könnten. Zum Vergleich: Krefelds Nachbarstadt Düsseldorf hat eine Online-Plattform eingerichtet, auf der Legionellen-Befundtabellen publiziert werden.

Das Krefelder Gesundheitsamt fährt eine andere Strategie: Die Bevölkerung soll erst dann informiert werden, wenn ein Krankheitsfall aufgetreten ist: „Eine Legionellenpneumonie ist grundsätzlich meldepflichtig, so dass das Gesundheitsamt auf dem Wege erfahren hätte, wenn in einem Bereich des Stadtgebietes solche Erkrankungen aufgetreten wären. Da dies nicht der Fall war, wurde auf Grundlage der Erkenntnis die Entscheidung getroffen, keine Informationen an die Öffentlichkeit zu geben“, schreibt die Stadt auf Anfrage. Die Bezirksregierung sagt: „Bei dem vorliegenden Befund wurden zeitnah Maßnahmen ergriffen, die den hygienegerechten Betrieb der Anlage wieder sicherstellte, so dass auf eine Veröffentlichung in Abstimmung mit dem Fachbereich Gesundheit der Stadt Krefeld verzichtet wurde.“ Grundsätzlich gelte aber eigentlich, dass „vor dem Hintergrund der noch nicht gut verstandenen Zusammenhänge zwischen Legionellenbefunden im Kühlwasser von Verdunstungskühlanlagen und einem konkreten Erkrankungsrisiko in der Umgebung der Anlagen, dass Legionellenbefunde oberhalb der Maßnahmenwerte aus Gründen des vorbeugenden Umwelt- und Gesundheitsschutzes in (begründeten) Einzelfällen zeitnah zu veröffentlichen sind“, schreibt die Bezirksregierung.

Bürgervereinsvorsitzender Gregor Roosen fordert: „Die Bezirksregierung als zuständige Genehmigungs- und Überwachungsbehörde muss handeln und sowohl das Geruchs- als auch das Legionellen-Problem in den Griff bekommen.“

Am Montag hat der Bürgerverein Gellep-Stratum seine Forderungen der Bezirksregierung übermittelt. „Ergänzend zu unserer seit langem ausgesprochenen Forderung, die Geruchsbelastung aufzuklären und zu beenden, erwarten wir, dass die Behörde Keimbelastung und Biozid-Einsätze engmaschig überwacht und Maßnahmen anordnet, die die Legionellenbildung in den Kühlturmsystemen nachhaltig unterbinden“, sagt Vorsitzender Roosen. Ihn überrasche es nicht, dass sich Legionellen und Schimmelpilze bildeten, wenn Wasser aus dem Hafenbecken zu Kühlzwecken eingesetzt werde. Der Bürgerverein fordert außerdem, dass sich die Bezirksregierung Düsseldorf den Fragen der Bürger vor Ort stellt, und möchte in der Folge einen regelmäßigen Austauschtermin zu Umweltbelangen des Hafens und den möglichen Auswirkungen auf Gellep-Stratum etablieren.

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