Krefeld Mit 40 Mann in der 5 a: Erinnerung an Fichte-Schulzeit

Krefeld · "Die Schule hatte den Ruf, besonders zu sein": Klaus-Peter Kühn, lange Jahre Redakteur in der Politischen Nachrichten- redaktion der Rheinischen Post, erinnert sich an seine Zeit als Fichte-Schüler von 1964 bis 1973.

 Die Oberstufe von 1973 mit dem bei Fichte-Schülern als legendär geführten Lehrer Waldemar Schweingel. Unser Autor - RP-Redakteur Klaus-Peter Kühn - steht ganz rechts. Kühn hat von 1964 bis 1973 die Fichte-Schule besucht - "gern", wie er betont.

Die Oberstufe von 1973 mit dem bei Fichte-Schülern als legendär geführten Lehrer Waldemar Schweingel. Unser Autor - RP-Redakteur Klaus-Peter Kühn - steht ganz rechts. Kühn hat von 1964 bis 1973 die Fichte-Schule besucht - "gern", wie er betont.

Foto: Kühn.

Die Schule hatte den Ruf, etwas Besonderes zu sein. Meine Eltern waren stolz, dass es ihnen gelungen war, mich in der Sexta an der Fichte-Schule unterzubringen. Aber der düstere Bau mit der verwitterten Backstein-Fassade sah alles andere als einladend aus, da hatten andere Gymnasien viel eindrucksvollere Fassaden aus wilhelminischer Zeit oder den Charme ambitionierter Nachkriegsarchitektur zu bieten. Das 1855 erbaute Gemäuer der ehemaligen "Königlichen Provincial Gewerbeschule" lässt in seiner Schlichtheit eher an eine Fabrik denken. Einzig der Schriftzug "Fichte-Schule" an der abgerundeten Ecke Westwall/Lindenstraße wies und weist auf die eigentliche Bestimmung des Gebäudes hin.

Wir Sextaner waren - wie die allermeisten Klassen - im "Neubau" von 1958 sehr anständig untergebracht. Auf den ächzenden Holzdecken des Backsteinbaus spielte sich im Wesentlichen der Fachunterricht ab. Wenn unter dem Dach Musik unterrichtet wurde, hatten fast alle etwas davon. Auch das Lehrerzimmer und die Verwaltung waren im Altbau untergebracht. In der mit Latein startenden Sexta a waren damals - tief in den 60er Jahren - weit über 40 Schüler versammelt. Der Einzugsbereich der Fichte-Schule war groß, die Kinder kamen nicht nur aus dem gesamten Stadtgebiet, sondern auch aus St. Tönis und Osterath. Unsere Klassenstärke lag über der Gesamtzahl der Fichte-Anmeldungen für das Schuljahr 2017/18! Freilich machten neun Jahre später nur ganze 13 "Lateiner" ihr Abitur. In der Zwischenzeit war kräftig gesiebt worden. Im Nachhinein kommt der Verdacht auf, dass "an Fichte" schon sehr frühzeitig nach dem Motto "Fördern und fordern" verfahren wurde. Im Mittelpunkt stand dabei das naturwissenschaftlich-mathematische Profil der Schule, das vor allem in der Amtszeit von Rektor Wilhelm Kuypers (1964-1988) geschärft wurde. In den Laboren, die in einem neu errichteten Anbau am Westwall entstanden, mussten wir Schüler uns nicht mehr mit dem Zuschauen und frontal vorgeführten Experimenten begnügen, sondern konnten in kleinen Gruppen selbst experimentieren. Im Physik-Unterricht kamen wir ungelogen bis zu den Grundzügen der Speziellen Relativitätstheorie. Unser Lehrer arbeitete fast wie Sokrates nach dem Prinzip "Lerne durch Fragen". Legendär seine souveräne Reaktion, wenn die geäußerte Vermutung über die Anziehungskraft der Elektronen in die Irre führte: "Vielen Dank für den Beitrag, aber der führt uns im Moment nicht weiter."

 Klaus-Peter Kühn heute.

Klaus-Peter Kühn heute.

Foto: Kühn

Auch in Mathematik müssen unsere Lehrer uns recht weit gebracht haben. Diejenigen aus der Abschlussklasse, die später Mathematik studiert haben, berichten glaubhaft, dass sie in den ersten zwei Semestern an der Uni kaum etwas Neues hinzugelernt hätten. Bei dieser Vorbildung nicht überraschend studierten viele Fichte-Schüler der damaligen Jahrgänge technische Fächer wie Maschinenbau oder Luft-und Raumfahrttechnik. Geisteswissenschaftliche oder musische Fächer führten dennoch kein Schattendasein und ebneten den Weg zu Kreativ-Berufen (der Journalist Bodo Hauser war Fichte-Schüler). Wer zum Beispiel von Eberhard Gollner zum Erschaffen eigener kleiner Kunstwerke angeleitet worden ist, hat dabei viel über die Mühen schöpferischer Akte und damit Respekt vor den vermeintlich nur auf die Leinwand geworfenen Werke größerer Meister gelernt. Der Deutsch-Unterricht war auf der Höhe der Zeit - Grass, Böll, aber kaum Klassiker - nur bei den Fremdsprachen war die Luft dünn. Über Sinn oder Unsinn des Latein-Lernens kann man lange streiten, über den besten Latein-Lehrer, den wir je hatten, keine Sekunde. Waldemar Schweingel war aus unserer Sicht der Idealtyp des Lehrers. Er strahlte natürliche Autorität aus und war in vieler Hinsicht Vorbild, nicht zuletzt was seinen Curd-Jürgens-Charme anging. In den Pausen war er auf dem Schulhof stets von den wenigen Schülerinnen umringt, die es zu meiner Zeit "auf Fichte" gab. Heutzutage völlig unverständlich, hatte das Fichte in den 60er Jahren nur sporadisch Mädchen aufgenommen und sich erst im Jahr 1977 für Koedukation entschieden.

Die Vermittlung moderner Sprachen beschränkte sich zu meiner Zeit auf Englisch. Heute vermutlich als fragwürdig eingeschätzt war die technische Aufrüstung mit einem Sprachlabor (1970), in dem jeder für sich in ein Mikrofon sprechen musste. Der Lehrer konnte sich unmerklich dazu schalten und via Kopfhörer seinen Unmut über mangelnden Eifer äußern. Die in makellosem Englisch gesprochene Kritik von Hermann Kleine ist mir noch im Ohr ("Mind the Linking" - "Denk' an das Verbinden der Worte").

Französisch gab es nicht, deshalb mühten wir uns in der zweiten Fremdsprache mit dem Ablativus absolutus und dem AcI ab. Und der "Igel", wie alle Schüler Studiendirektor Schweingel (in diesem Rang besaß die Schule meiner Erinnerung nach zeitweise sieben Lehrer) nannten, machte uns Latein so schmackhaft, dass viele von uns nachmittags zur Latein-Arbeitsgemeinschaft extra antrabten. Einige der behandelten Themen waren hoch-attraktiv: Wir übersetzten unter anderem Ovids Liebesgedichte und Inschriften aus dem Rotlichtviertel von Pompeji. Latein auf Fichte war eben etwas Besonderes.

(RP)
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