Krefeld Miniatur-Wohnwelten von Rokoko bis Moderne
Krefeld · In einer einzigartigen Schau zeigt das Haus der Seidenkultur Puppenstuben, die den Lebensstil verschiedener Epochen spiegeln.
Omas Schlafzimmer ist ein Fall fürs Museum. Der massige Kleiderschrank und die Paradekissen auf dem Ehebett - von der Enkelgeneration müde als Gelsenkirchener Barock belächelt - beweisen: Die Großeltern hatten Stil. Den Stil ihrer Zeit. Die 1960er Jahre, als der Relaxchair noch Clubsessel hieß und das Sofakissen mit der Handkante in Fasson gebracht wurde, sind sofort gegenwärtig im Haus der Seidenkultur.
Jeder kennt jemanden, der das eine oder andere Möbel zu Hause hatte. Und nicht nur die Sixties leben auf: In 15 Puppenhäusern und vielen Vitrinen entstehen im kleinen Museum an der Luisenstraße deutsche Lebenswelten aus 300 Jahren: vom Rokoko über Biedermeier und Wirtschaftswunderzeit bis Flowerpower und Plastikära der Siebziger. In einer einzigartigen Ausstellung wird Zeitgeist sicht- und begreifbar. "Zeitgeist im Puppenhaus" präsentiert erstmalig tausende Exponate der Sammlerin Erika Schönhoff.
Am morgigen Sonntag, 13 Uhr, wird die Schau eröffnet. "Hier gilt: klein wie groß", sagt Erika Schönhoff . "Das ist Wohnkultur in Miniatur". Wer die 79-Jährige flapsig als Puppenmutti bezeichnet, wird resolut in die Schranken gewiesen: "Ich sammle keine Puppen, ich mache Kulturgeschichte begreifbar".
Als Grundschullehrerin hat sie immer Wert darauf gelegt, dass die Kinder Dinge anfassen und anschauen können, um sie zu behalten. Und so sind auch die ungezählten Puppenhäuser, die sie innerhalb von 30 Jahren zusammengetragen und aufs Üppigste bestückt hat, griffige Zeitzeugnisse.
Das älteste Häuschen beherbergt ein Rokoko-Boudoir. Kleine Damen in seidenen Reifrock-Kleidern, die sogar den Schönheitsfleck der Mode um 1730 tragen, spiegeln die Lebensart der Epoche. Auch das Biedermeier ist in ein Haus eingezogen - mit poliertem Kirschbaum-Sekretär, seidenbezogenen Sofas und handgefertigten Glaslampen.
"Es muss alles authentisch sein", sagt Schönhoff. "Mir kommt es nicht auf die Menge an, sondern auf die Qualität." Doch jedes Haus hat 100 und mehr kleine Gegenstände. Das hat Kuratorin Ulrike Denter und ihr Team eine extrem ruhige Hand beim Aufbau abverlangt. "Wir haben uns exakt an die Fotovorlagen gehalten, die Frau Schönhoff uns gegeben hat", erzählt Denter.
Im Antiquitätenhandel, auf Antikmessen und in Museen hat die Sammlerin ihre Ausstattungen gefunden. Erst seit einigen Jahren nutzt sie die weltweiten Möglichkeiten des Internets. Dort stieß sie auf eine Export-Dame im 50er-Jahre-Kostüm. Eine Puppe der Marke "Caco biegsam", völlig unbespielt und im Originalkarton, die irgendwann einmal von Deutschland nach New York gekommen war, stand zu Gebot.
"140 Euro habe ich dafür bezahlt. Der Versand von USA mit Versicherung sollte noch mal 70 Euro kosten. Da habe ich mich mal umgehört, und tatsächlich: Die Nichte meiner Nachbarin war als Au Pair in New York. So eine glücklicher Zufall." Die Nichte brachte die Puppe bei ihrer Rückkehr im Handgepäck mit. "Damit ja nichts beschädigt wurde, hatte sie den Karton in ein Würstchenglas gesteckt - absolut perfekt", erzählt Schönhoff.
Zu jedem der zigtausend Exponate fällt ihr eine Geschichte ein. Denn sie pflegt ihre Leidenschaft mit ganzem Herzen. Die Monstranzen und Kandelaber in den Kirchenhäusern sind aus echtem Silber. Die Gewänder der Priesterpuppen sind eigens aus Stoffen mit den historischen Motiven gefertigt, die einst in der ehemaligen Paramentenweberei Gotzes gewebt wurden.
Es stimmt jedes Detail. "Ich habe mich intensiv eingearbeitet. Was nicht original aus der Zeit ist, ist authentisch nachgebildet." Die Geschichte der Puppenhäuser beginnt im Jahr 1558. Herzog Albrecht von Bayern gab eines in Auftrag - als reines Präsentationsobjekt. Andere Adlige und gut betuchte Kaufleute folgten dem Trend und ließen ebenfalls ihre Häuser als Modelle nachbauen, um ihren Luxus zu zeigen.
Bis ins 18. Jahrhundert waren Puppenwohnungen kein Kinderspielzeug. Sie dienten der Erziehung: Mädchen sollten auf Haushaltsführung vorbereitet werden, Jungen lernten an Miniatur-Kaufläden Geschäftsgebaren. Erst in der Gründerzeit, als der Mittelstand wuchs, waren Puppenstuben als Geschenk für Kinder gefragt.
Die Begegnung mit der renommierten Sammlerin Inge Michno aus der Pfalz war für Erika Schönhoff ein Erweckungserlebnis. "Sie brachte die Moderne in die Museen. Es wurden nicht nur die historischen Puppenstuben und Miniaturmöbel gezeigt, sondern auch das Plastik der Neuzeit", erzählt die Ratingerin, die lange in Krefeld gelebt hat.
Die 1930er bis 60er Jahre wurden fortan auch ihr Sammelschwerpunkt. Sie hatte Spaß daran, wiederzuentdecken, was Mutter oder Oma einst besaßen. Milchbars, Anbauküchen und Textilkaufhäuser, in denen Schaufensterpüppchen Cocktailkleider und Bleistiftröcke tragen, sind wahre Fundgruben für Zeitgeist-Sucher. Es ist die Zeit, in der man Schinkenhäger und Eszet-Kakao trank, Aschenbecher aus dickem rotem Glas auf Nierentischen stellte und in keiner Wohnung der Gummibaum fehlte.
Man las "Bunte" und studierte den Neckermann-Katalog, der nicht halb so groß wie eine Briefmarke auch in den Mini-Eigenheimen zu finden ist. "Neckermann und Otto spiegeln das wirkliche Leben. Nicht die Hochglanzmagazine", sagt die Sammlerin. Zum Beweis liest sie aus einem Versandhauskatalog der Saison 1962/63 das vollmundig formulierte Angebot für eine Mokkagarnitur "Pascha" vor, das exotischen, gehobenen Lebensstil verhieß. Natürlich hat sie das entsprechende Geschirr als Miniatur auch in ihrem Fundus.
Die Augen haben viel zu tun in dieser Ausstellung. Damit es den jüngsten Besuchern nicht langweilig wird, weil anfassen hier nicht möglich ist, gibt es ein großes Puppenhaus zum Spielen.
Ausstellung bis Mitte Oktober im Haus der Seidenkultur, Luisenstraße 15, Telefon 02151 9345355.