Krefeld Meyer: Krefelder meckern weniger

Krefeld · Beim Neujahrsempfang der Stadt kam Oberbürgermeister Frank Meyer über den neuen US-Präsidenten Donald Trump auf Krefeld zu sprechen. Meyer kündigte eine Initiative gegen Kinderarmut an. So recht zündete seine Rede nicht.

 Das Cello-Quintett des Moltke-Gymnasiums (unser Foto) und der Krefelder Liedermacher Tim Linde musizierten.

Das Cello-Quintett des Moltke-Gymnasiums (unser Foto) und der Krefelder Liedermacher Tim Linde musizierten.

Foto: Lammertz

Neujahrsempfänge sind alles andere als Gelegenheiten, viele Hände zu schütteln, Sekt zu trinken, viel zu reden und nichts zu sagen. Erst recht nicht im politischen Raum - dort präludieren Empfänge dieser Art das Jahr, zumal wenn es ein Wahljahr ist. So war es auch gestern in Krefeld im Stadtwaldhaus beim Neujahrsempfang der Stadt. Oberbürgermeister Frank Meyer (SPD) hat in seiner Neujahrsansprache die Themen Bildung, Kinderarmut und ein neues Wir-Gefühl für Krefeld in den Fokus gestellt. "Wir brauchen Bildung, Bildung, Bildung. Im politischen Sinne, im medialen Sinne, aber auch ganz klassisch im humanistischen Sinne", sagte er vor 350 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Verbänden, Kirchen und religiösen Gemeinschaften. Konkret rief er die Bürgerschaft dazu auf, "in den nächsten Monaten eine Initiative zu entwickeln, wie wir die Kinderarmut in unserer Stadt bekämpfen können - in einer gemeinsamen Anstrengung von Bürgerschaft und Verwaltung".

Meyer sagte viel Grundrichtiges - was vielleicht mit ein Grund war, warum seine Rede nicht wirklich zündete. Viermal reagierte das Publikum in der 35-minütigen Ansüprache: dabei zweimal mit Applaus, als Meyer die Leistung von Hauptschullehrern, später von Lehrern allgemein lobte, und mit Gelächter, als er augenzwinkernd sagte, er meine (!), dass die Krefelder mittlerweile weniger über ihre Stadt meckerten. Das war ein Moment der Nähe zur Bürgerschaft und ihrer Befindlichkeit, die dieser Rede ansonsten doch streckenweise abging. Meyers Sprache war zu staatstragend und zu sehr vom am Horizont sich abzeichnenden Wahlkampf geprägt. Lebendig, warm, heiter und - ja, auch das - nicht langweilig war er immer dort, wo er von seinem Manuskript abwich. Meyers Stärke, das hat dieser Abend einmal mehr gezeigt, liegt in der spontanen Kommunikation von Mensch zu Mensch.

 SWK-Vorstand Kerstin Abraham und CDU-Parteichef Marc Blondin.

SWK-Vorstand Kerstin Abraham und CDU-Parteichef Marc Blondin.

Foto: Lammertz

Er begann mit Trump, der heute Nachmittag (MEZ) zum US-Präsidenten ernannt wird. Der Krefelder versammelte erst einmal die Menschen im Konsens der Trump-Skepsis hinter sich: Über die Tweets des Amerikaners, über digitale Fehlentwicklungen wie Falschmeldungen und Hasskommentare in den sozialen Netzwerken kam Meyer auf das Thema, das beherrschend für seine Rede sein sollte: "Bildung", sagte er, "ist eine wirksame Waffe gegen Beeinflussung; Bildung hilft uns dabei, simple Thesen zu hinterfragen und zu entlarven; Bildung bietet Schutz gegen Verdummung und Verrohung."

Da Bildung nun mal Ländersache ist, kam er über den Umweg der Schulgebäude - denn für sie sind die Kommunen zuständig - dann in Krefeld an. Hier schrieb Meyer unaufdringlich ein paar Seiten an sozialdemokratischer Geschichtsschreibung für Krefeld: Viele Schulgebäude seien in schlechtem Zustand; es gebe einen Sanierungsstau - es war dies auch ein leise mitschwingender Rückblick auf die Jahrzehnte der CDU-Dominanz in Krefeld. CDU-Politiker würden naturgemäß eine andere Bilanz ziehen. Meyer jedenfalls kündigt Besserung an: "Mit Unterstützung der haushaltstragenden Fraktionen des Rates haben wir trotz der schwierigen finanziellen Lage der Stadt Krefeld insgesamt 58 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt, um Schulen zu sanieren, Turnhallen zu modernisieren und auch um die beiden neuen Gesamtschulen aufzubauen", sagte er. Ausdrücklich dankte er diesen Fraktionen, auch wenn er niemanden beim Namen nannte: Es sind SPD, CDU und Grüne.

 Alt-Oberbürgermeister Willi Wahl (SPD).

Alt-Oberbürgermeister Willi Wahl (SPD).

Foto: Lammertz

Zur Geschichtsschreibung der Ära Meyer gehört auch das andere, wichtige Kapitel: dass mit Meyers Einzug ins Rathaus die Stimmung in der Stadt besser geworden sei. Schon bei seinem ersten Neujahrsempfang als Oberbürgermeister habe er von einem neuen "Wir-Gefühl" gesprochen, bilanzierte Meyer gestern. "In den vergangenen zwölf Monaten war dieses Wir-Gefühl immer wieder zu spüren". Ausdrücklich würdigte er die besser gewordene Stimmung im Rat - es gebe nun ein "sehr konstruktives und angenehmes Klima". Applaus bekam er für den Satz: "Wenn man immer nur damit beschäftigt ist, sich einen auf die Mütze zu geben, dann vergisst man, worum es geht, nämlich um Sie, die Krefelderinnen und Krefelder." Kritiker werden grummelnd anmerken, dass Meyers Sozialdemokraten das Klima im Rat jahrelang egal war und sie in einem personalisierten Dauerwahlkampf CDU-Oberbürgermeister Kathstede wieder und wieder einen auf die Mütze gegeben haben. Das war eine schlüssige Strategie, so wie es jetzt schlüssig ist, Meyer als erfolgreichen Friedensstifter zu positionieren. Und Meyer hat ja auch Fortune damit: Die CDU arbeitet konstruktiv mit. So ist das in der Politik: Es ist nicht verboten, Fortune zu haben.

Meyer jedenfalls betonte, dass der Blick der Menschen auf die Stadt Krefeld stetig positiver werde: "Ich bin überzeugt davon, dass wir einen echten Perspektivwechsel erleben." Dann wich er vom Manuskript ab und bewies damit sicheren Instinkt: Nicht zu vollmundig werden. "Ich meine, die Leute jammern, lästern und meckern weniger", sagte er und erntete wissendes Gelächter. Ein Schuss Selbstironie ist eben belebend wie Champagner an einem schwülen Sommerabend.

 Manfred Grünwald, Vorsitzender des Arbeitskreises Bürgervereine.

Manfred Grünwald, Vorsitzender des Arbeitskreises Bürgervereine.

Foto: vo

So darf man sich für das nächste Jahr wünschen: Mehr Champagner, bitte!

 Sozialdemokratie trifft K3: Oberbürgermeister Frank Meyer( l.) begrüßt den Unternehmer und CDU-Politiker Gerald Wagener, der den Konservativen Kreis Krefeld (K3) gegründet hat und Kanzlerin Merkel stürzen will.

Sozialdemokratie trifft K3: Oberbürgermeister Frank Meyer( l.) begrüßt den Unternehmer und CDU-Politiker Gerald Wagener, der den Konservativen Kreis Krefeld (K3) gegründet hat und Kanzlerin Merkel stürzen will.

Foto: Lammertz

So lange bei solchen Gelegenheiten Michael Gilad von der jüdischen Gemeinde und Halide Özkurt als Krefelder Muslima nebeneinander einer Rede lauschen, ist in Krefeld vieles gut - genug, um nicht jede kulturelle Initiative als Bildungsbollwerk zu loben.

(RP)
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