Landwirtschaft in der Region : Warum Weizen plötzlich wieder lukrativ ist
Krefeld Der Ukraine-Krieg verursacht weltweit Weizen-Knappheit. Die Preise steigen; der Umstieg auf Weizen-Anbau wäre leicht – gäbe es nicht ein überraschendes Problem: Mangel an Saatgut. Kreislandwirt Küskens erläutert die Zusammenhänge.
Weizen war bisher am Niederrhein wenig lukrativ für die Bauern: Gemüse und Kartoffeln versprachen mehr Ertrag, zumal die Böden geeignet sind und die Bewässerung übers Grundwasser kein Problem ist. Doch die Marktstellung des Weizens hat sich durch den Ukraine-Krieg geändert: Die Ukraine ist mit 11,5 Prozent Anteil am globalen Markt für Weizen eine Kornkammer der Welt – durch den Krieg wird Weizen knapp, der Preis steigt. „Der Umstieg auf Weizenanbau wäre technisch kein Probleme für die meisten Bauern der Region“, sagt Kreislandwirt Paul-Christian Küskens, „es gibt aber ein anderes Hindernis: Es fehlt an geeignetem Saatgut.“
Zur Preisentwicklung: Lag der Weizenpreis 2021 noch meist bei 17 bis 19, selten über 20 bis höchstens 25 Euro pro 100 Kilogramm, liegt er heute schon bei mehr als 30 Euro, berichtet Küskens. Es gab Zeiten, da lag der Weizenpreis bei unter zehn Euro – Küskens erinnert an die Zeit um 2008/ 2009, als Weizen der Rohstoff für Biogasanlagen war und viele Landwirte darauf setzten. „Viele dieser Anlagen, die auf Grundlage des damals niedrigen Weizenpreises in Betrieb gingen, sind heute nicht mehr wirtschaftlich“, resümiert Küskens.
Zur Erinnerung: Es war damals auch ein viel diskutierter ethischer Schock, dass ein fast schon mythisches Nahrungsmittel als Grundlage für das tägliche Brot der Menschheit im wohlhabenden Teil der Welt zur Energieversorgung benutzt wurde, während parallel dazu in anderen Weltgegenden Menschen hungerten.
Landwirte in der Region könnten jetzt mühelos auf den Anbau von Weizen umstellen – sogar sofort, wenn sie denn Sommerweizen anbauen (auch wenn die Landwirte hier eher Winterweizen anbauen, weil der ertragreicher und robuster ist als Sommerweizen). Viele Höfe hätten Sämaschinen oder könnten sie problemlos leihen, so wie mittlerweile die meisten Landwirte Mähdrescher für die Ernte anmieten, berichtet Küskens. Hauptproblem: Es gibt nicht genug Saatgut. „Man könnte Weizen nehmen, der zur Weiterverarbeitung in den Mühlen vorgesehen ist“, berichtet Küskens, „doch dieser Weizen ist nicht sortenrein gemischt, sondern nach Kriterien für die Weiterverarbeitung zusammengestellt.“ Heißt: Die Bauern wissen nicht, was sie anbauen; damit ist auch unklar, wie sie den Weizen optimal düngen und mit Pflanzenschutzmitteln behandeln müssen – Küskens: „Jede Sorte reagiert anders auf Krankheiten, Keime und Pflanzenschutzmittel.“
Gerade der letzte Punkt ist ungemein wichtig, denn es geht durchaus um Leben und Tod: Der sogenannte Mutterkornpilz, der bevorzugt Getreide befällt, ist schon in geringen Dosen tödlich für den Menschen. Dieser Pilz wird also sehr gezielt bekämpft – und muss bekämpft werden.
Und warum kann man nicht einfach anderswo, zur Not aus den USA oder Kanada, die auch große Weizenproduzenten sind, Saatgut bestellen? Die Sorten sind Küskens zufolge stark angepasst an die jeweilige Region, in der sie angebaut werden. „Ein Saatgut, das in Süddeutschland funktioniert, funktioniert in Westfalen schon nicht mehr“, sagt Küskens.
Er sieht die Preisentwicklung und die Trends an der Börse mit großer Sorge. Wenn die Weizenpreise weiter so steigen, wird Weizen ihm zufolge bald Spekulationsobjekt an der Börse, und so könnte ein Grundnahrungsmittel rasch unerschwinglich für Menschen in ärmeren Ländern werden. „Und was machen Menschen, die nichts mehr zu essen haben: Sie brechen auf.“ Will sagen: Für Küskens ist es ein denkbares Szenario, das bei wachsendem Hungerdruck in Afrika die Zahl der Flüchtlinge wieder ansteigt. So hofft er, dass die Regierungen darauf achten, dass Weizen für die Menschen dort ein erschwingliches Grundnahrungsmittel bleibt.
Die Entwicklung in der Ukraine trifft in anderer Hinsicht auch die Milchbauern in der Region: Viehfutter wie Rapsschrot hat sich drastisch verteuert – von 26 Euro auf 42 Euro pro 100 Kilogramm. Es ist Rapsschrot von nicht genmanipuliertem Raps, und der kommt zu großen Teilen aus der Ukraine, so Küskens.
Unterm Strich werden die Landwirte m Niederrhein wohl nicht im großen Stil auf Weizen umsteigen – zu unsicher ist die Preisentwicklung. Wer weiß, wann der Ukraine-Krieg endet – und endet er rasch, ist zu erwarten, dass sich die alten Preisstrukturen wieder einpendeln.