Krefeld Liebhaberei Kurrentschrift

Krefeld · Goethe hat sie genutzt, sie ist altes, deutsches Kulturgut: die Kurrentschrift. Sie wurde zur Sütterlinschrift weiterentwickelt, bis die Nazis beide verboten. Ein Kurs im Stadtarchiv vermittelt diese spannende Geschichte. Das Foto zeigt das Kurrentalphabet.

  RP-Fotos: Lammertz (2), Grafik: Schaulandt

RP-Fotos: Lammertz (2), Grafik: Schaulandt

Foto: Schaulandt,Oliver

An den Dienstagnachmittagen im Mai verwandelt sich das Stadtarchiv in ein Klassenzimmer: Mitarbeiterin Doris Flesch und der stellvertretende Leiter Christoph Moß bieten eine Leseübung an. Und zwar für die Kurrent-Schrift, die auch „Deutsche Schreibschrift“ genannt wird.

  Wenn der Kurs beendet ist, können sie den Brief links lesen: Die Teilnehmer des Kurrent- und Sütterlinkurses im Stadtarchiv.

Wenn der Kurs beendet ist, können sie den Brief links lesen: Die Teilnehmer des Kurrent- und Sütterlinkurses im Stadtarchiv.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Denn wer sich für Geschichte interessiert, kommt sehr viel weiter im Studium von Akten, Briefen, Dokumenten, wenn er Kurrent lesen kann. Kurrentschrift ist über 400 Jahre im Gebrauch gewesen, weiß Christoph Moß. „Sie wurde zu Beginn der Neuzeit im deutschen Sprachraum entwickelt“, erklärt er den acht Teilnehmern in seiner Einführung, in der er viel weiter zurückging. 1714 wurde die Kurrentschrift zur Normschrift an allen preußischen Schulen erklärt – also auch in Krefeld.

  Gestochen scharf, einfach schön: Schriftprobe im Kurrentkursus im Stadtarchiv.

Gestochen scharf, einfach schön: Schriftprobe im Kurrentkursus im Stadtarchiv.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

„Man wollte notieren, wem was gehört“, erklärt Moß, „der Bedarf an Texten stieg an, und man wollte schneller schreiben können.“ Das gelang mit einer verbundenen und schrägen Schrift wie Kurrent. Eine kleine Schwester des Kurrent ist Sütterlin. Diese Schrift wurde von dem Grafiker Ludwig Sütterlin (1865-1917) aus der Kurrent entwickelt. Sütterlin ist einfacher zu schreiben und zu lesen und macht den Schülern das Erlernen daher leichter. Sie wurde 1915 in Preußen eingeführt und 1941 von den Nationalsozialisten verboten.

Die Teilnehmer der Leseübung sind mit vielen verschiedenen Anliegen ins Archiv gekommen. Der eine möchte Unterlagen der Eltern und Großeltern lesen können. Gleich zwei Vermessungstechnikerinnen sind gekommen, um die Beschriftung alter Pläne entziffern zu lernen. Ein anderer möchte sich mit seinen Feldpostbriefen und volkskundlichen Themen befassen; am Ende steht das Ziel, ein Sachbuch zu schreiben. Postkarten möchte eine Teilnehmerin lesen und sich mit dem Kurs eine Kulturtechnik aneignen, die für sie zur Bildung gehört. Und dann ist da noch der Herr, der eine Hauspostille besitzt – in dieser Bibel sind freie Seiten, die seine Ahnen mit Familienereignissen gefüllt haben.

Und dann geht es los. Doris Flesch nennt zuerst ein paar Regeln für die Transkription. Eine ist besonders wichtig: „Bloß nicht aufgeben!“ Eine andere bewahrheitet sich dann in der Praxis schnell: „Kringel, die nicht lesbar sind, sind meistens ein w oder ein v.

Zuerst bekommen alle Teilnehmer eine Liste mit 45 Wörtern in Kurrent; jeder darf sich an einem versuchen, immer reihum, eben wie in der Schule. Mit dem Unterschied, dass alle hier freiwillig und gerne gekommen sind und auch mal weitergeben an den nächsten. Der Lesekurs war ziemlich schnell ausgebucht, und soll im kommenden Jahr nochmal angeboten werden.

Nächster Schritt für die „Lese-Klasse“: Wir bekommen die Kopie eines Briefes von 1913. Wort für Wort, Satz für Satz, erschließen wir uns das Schreiben, in dem es um Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der „Erhebung der Nation“ 1813, Krieg gegen Napoleon, geht. Absender: „Der Minister für Handel und Gewerbe“ – das kriegen wir erst ziemlich spät raus.

Ein Teilnehmer allerdings ist schon sehr geübt; wenn die anderen nicht weiterkommen, hilft er freundlich weiter. In der ersten Stunde haben wir dieses Schreiben nicht geschafft. Absatz zwei und drei verwandeln sich in eine Hausaufgabe. Und auch der Brief „Liebe Elisabeth“ kann zu Hause transkribiert werden. Muss aber nicht und wird doch von den meisten bearbeitet. Der Brief eines Mädchens aus dem Jahre 1938 ist für die meisten leichter, denn er ist im säuberlichsten Sütterlin geschrieben.

Bei der zweiten Stunde Leseübung bekommen wir ein Schreiben des Freiherrn von Schorlemer an den Regierungspräsidenten in Düsseldorf, 1906. Es handelt von den Fahnen beim Besuch des Kaisers. Und hier stimmt wieder die Regel von oben: Eins der schwierigen Wörter enthält einen w-Kringel. Es heisst einfach „war“.

Zudem gibt Moß noch viele Hinweise auf Sekundärliteratur und Seiten im Internet. In der letzten Stunde dürfen die Teilnehmer die Schriften mitbringen, die sie gerne entziffern möchten.

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