Literatur in Krefeld Erfundene Geschichten über Mies’ Villen

Krefeld · Die Kunstmuseen wagen sich erstmals auf das Terrain der Literatur: Die Autoren Marion Brasch, Matias Feldbakken und Mark von Schlegell haben Kurzgeschichten zu den Häusern geschrieben.

 Geradlinig und klar ist der Umschlag. Die Short Stories für Haus Lange und Haus Esters sind nicht gerade minimalistisch, sondern fantastisch, spannend, manchmal surrealistisch.

Geradlinig und klar ist der Umschlag. Die Short Stories für Haus Lange und Haus Esters sind nicht gerade minimalistisch, sondern fantastisch, spannend, manchmal surrealistisch.

Foto: Krefelder Kunstmuseen

Drei Autoren, drei Geschichten, ein Ort: Das Kaiser-Wilhelm-Museum zu Krefeld hat als vierten Sammlungssatelliten „Short Stories für Haus Lange Haus Esters“ veröffentlicht und damit den Sprung in die Literatur gewagt. Die Deutsche Marion Brasch, der Norweger Matias Feldbakken und der in New York geborene Mark von Schlegell haben sehr unterschiedliche Geschichten für den schmalen Band, eingeschlagen in grünliches Türkis, geschrieben. Ihnen allen gemeinsam ist der Ort der Handlung: Die Ereignisse sind in und um die Villen an der Wilhelmshofallee angesiedelt, die Architekt Mies van der Rohe in den 1920er Jahren für die Fabrikanten Josef Esters und Hermann Lange entworfen hat.

Marion Brasch ist für ihre Geschichte „Der Gast“ nicht zum ersten Mal nach Krefeld gekommen. Sie hat hier aus eigenen Werken gelesen, aus ihrer Familiengeschichte berichtet und in der Villa Esters Schreibwerkstätten für Jugendliche und für Erwachsene gehalten. Und sie hat ein paar Nächte in einem Gästezimmer der Villa Esters verbracht.

So geschieht es auch dem Erzähler in ihrer Geschichte. Von einer Fliege wird er aus dem Schlaf in der einsamen Villa geweckt und dann verschränken sich Traum und Wirklichkeit und die Zeitebenen miteinander. Wer die Villa, ihren Garten mit zeitgenössischer Kunst und die ursprüngliche Konzeption des Architekten kennt, hat besondere Freude an dem Besuch des nächtlichen „sonderbaren Gefährten“.

 Die Museumsvillen Haus Esters  und Haus Lange wurden jetzt zu Schauplätzen für fiktive Geschichten.

Die Museumsvillen Haus Esters und Haus Lange wurden jetzt zu Schauplätzen für fiktive Geschichten.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Der Norweger Matias Feldbakken nennt seinen Beitrag „Glatter Backstein“. Er nähert sich der Villa mit philosophischen Begriffen, analysiert die Architektur und schlägt ein spannendes Kapitel zur Entstehung des Baumaterials Backstein auf. Die Klinker sollen aus der in Norddeutschland liegenden Fabrikation des August Lauw stammen. Der Autor schreibt ihnen eine Erstverwendung zu, die einen schaudern lässt und bemerkenswerter Weise mit Krähen zu tun hat.

Ob es hier um historische Wahrheiten geht oder um Krefeld als „Krähenfeld“, das bleibt dem Leser überlassen. Die Authentizität des Aspekts ist bei erster Suche im Netz nicht zu finden.

Viel gedanklichen Spielraum lässt auch die dritte der Kurzgeschichten zu. Mark von Schlegell springt mit Science Fiction in das Jahr 2099. Bei „Das Haus der drei Seelen“ wird die Villa zu einem eigenständigen Wesen – Künstliche Intelligenz macht es möglich. Der Autor schreibt mit Humor eine spannende und surreale Geschichte mit sehr eigenem Vokabular.

Während also alle Geschichten am selben Ort spielen, variieren die  Erzählzeitpunkte und die Genres mit ihrem je eigenen Stil. Alle drei Texte wurden in unterschiedlichen Sprachen verfasst und ins Deutsche beziehungsweise Englische übersetzt. Das Buch enthält die Short Stories zuerst auf Deutsch und dann auf Englisch, sodass das norwegische „Glatter Backstein“ hier nicht im Original zu lesen ist.

In dieser Geschichte fällt auf, dass das Lektorat nicht ortskundig war und aus Wilhelmshofallee eine Wilhelmhofsallee macht. Auch so manche Übersetzung oder Wortkombination ist nicht dudengerecht: Warum heisst es Ohlsdorf-Krematorium anstelle von Ohlsdorfer Krematorium? Warum steht da „Info-Architektur?“ Warum heißt es „perzeptuell“, wenn es um „wahrnehmend“ geht? Schade. Solche Freiheiten der Übersetzung stören den Lesefluss und mindern das Vergnügen an den sehr gelungenen Geschichten.

Leider werden die drei Autoren der Geschichten im Buch nicht weiter vorgestellt – man hätte dem Leser doch ein paar Hinweise dazu gegönnt, warum just diese drei den Auftrag zum Schreiben erhielten. Das sehr zurückgenommene Layout bezieht sich wahrscheinlich auf die klare Formensprache des Architekten Mies und steht damit in deutlichem Gegensatz zu den spannenden, witzigen, überraschenden Elementen der drei Geschichten.

Fazit: Der „Sammlungssatellit #4. Short Stories für Haus Lange Haus Esters“ ist anregende Lektüre, besonders für Liebhaber der Kunst und der beiden Villen an der Wilhelmshofallee.

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