Premiere im Jugendtheater Krefeld Kresch-Trafikant begeistert Publikum

Krefeld · Ein Tabakverkäufer und Sigmund Freud begleiten den jungen Franz auf dem Weg zum Erwachsenwerden im Wien von1938. „Der Trafikant“ ist Bestseller und Schullektüre. Im Kresch ist der Schluss wie ein Märchen. Und David Bowie kommt darin vor.

 Das böhmische Mädchen  Anezka (Aylin Ravanyar) ist Franz Huchles (Tom Büning) erste Liebe. 

Das böhmische Mädchen  Anezka (Aylin Ravanyar) ist Franz Huchles (Tom Büning) erste Liebe. 

Foto: Reza Blersch

Man sieht es gleich, welche Zeit im Kresch-Theater angebrochen ist: Hinten hängt die Fahne der Nationalsozialisten. Wir sind mit dem Theaterstück „Der Trafikant“ im Wien des Jahres 1938. Das Publikum im ausgezeichnet besetzten Haus war bei der Premiere sehr begeistert.

Vor zehn Jahren landete der österreichische Schauspieler, Drehbuchschreiber und Autor Robert Seethaler mit „Der Trafikant“ einen großen Erfolg. Der Roman wurde 2018 mit Bruno Ganz als Sigmund Freud verfilmt, als Hörbuch eingelesen und von Seethaler selbst für die Bühne dramatisiert.

 In der Inszenierung (Isolde Wabra) auf den Brettern des Kresch ist die Personnage auf 15 Figuren eingedampft, die von elf Personen gespielt werden. Da ist zuerst der Lehrling Franz Huchel (Tom Büning) zu nennen, den seine Mutter vom Land in die Hauptstadt Wien schickt, damit aus ihm etwas werde. Bei diesem Gespräch im österreichischen Dialekt stehen Mutter und Sohn noch auf der oberen Bühne. Dann gelangt Franz in die laute Großstadt, die ihm Angst macht. Das Laute, Umtriebige, Fremde findet sich in dem Bühnenbild von Sabine Lindner wieder, die auch die sehr zeitgenössischen Kostüme zusammengestellt hat.

 Bei Sigmund Freud (Momme Mommsen) sucht Franzl (Tom Büning) Rat, wenn seine Gefühle Achterbahn fahren.

Bei Sigmund Freud (Momme Mommsen) sucht Franzl (Tom Büning) Rat, wenn seine Gefühle Achterbahn fahren.

Foto: Reza Blersch

Vorne links ist der Tabak-Laden mit altmodischer Kasse auf einem hölzernen Tresen. Vorne rechts die Parkbank für zwei kleine alte Damen in Pelzjacken. Dahinter der rummelige Prater, das rote Sofa in Sigmund Freuds Praxis und schon fast im Verborgenen eine Kirche. 

Von einem diagonalen Weg werden diese vier Stationen optisch von einem Varieté und der Bettstatt Franzens abgetrennt. Diese Orte sind es, durch die Franz (Tom Büning) rennt und läuft und sucht, aggressiv und laut. Seine Entwicklung vom Landei zum Großstädter mit entschiedener Meinung vollzieht sich schon ziemlich am Anfang. Zweierlei treibt ihn um: Das eine ist seine entflammte Liebe zu Anezka (Aylin Ravanyar) und die Suche nach ihr, die sich ihm immer wieder entzieht. Das andere ist  seine Auseinandersetzung mit den Nazis, mit Mitläufern und Denunzianten um ihn herum. 

Sein Lehrherr Otto Trsnjek (überzeugend: Volker Diefes) hat im Ersten Weltkrieg gekämpft; er hat ein Bein verloren und will sich von den Nazis nicht schikanieren lassen, sich die jüdische Kundschaft nicht verbieten lassen. Berühmter Kunde ist Sigmund Freud (Momme Mommsen), der sich bei Trsnjek seine Zigarren einkauft. Dadurch stellt sich zwischen Franz und Freud eine Beziehung ein: Der Junge fragt den Älteren um Rat, vergreift sich wohl mal im Ton und bekommt immer in gleichbleibend höflichem Hochdeutsch seine Antwort. Die manchmal auch ein „Ich weiß nicht“ sein kann.

Wie die Sätze des Trsnjek enthalten die Sätze des Sigmund Freud viel Lebensklugheit. Beim Trafikanten mit praktischem Bezug, beim Psychoanalytiker eher im theoretischen Bereich: „Die Wahrheit ist selten gemütlich.“

Franzl fragt übrigens auch seine Mutter um Rat. Ihre Antworten auf seine Briefe und Karten werden aus dem Off, immer noch im Dialekt, eingespielt. Anezka versucht sich in einer böhmischen Klangfarbe – im Wiener Kosmos sind immer noch kakanische Anklänge zu erleben.

Franzens unerfüllte Liebe zu dem böhmischen Mädel bildet eine hauptsächliche Linie in den gegeneinander gesetzten Stücken. Hier wird nicht linear, sondern stark szenisch erzählt. Der Zuschauer wählt aus, welcher Sequenz er sich widmet. Dabei sind Tanzszenen – Charleston im Prater – oder Szenen in der „Gelben Grotte“ ein anzüglicher Augenschmaus. Heinzis roter paillettenbestickter Frack und viel schöne nackte Haut erinnern an die derzeit so populären Filme über die 20er und 30er und auch so ein bisschen an Cabaret. Besonders hervorzuheben ist hier die Wandlungsfähigkeit von Lukas Metzinger, der gleich in vier Rollen auftritt und ihnen allen jeweils einen anderen Charakter verleiht.

Und der Schluss ist wie ein Märchen. Aus den einzelnen Figuren wird ein Chor, der dann in den Song „We can be heroes for one day“ von David Bowie einfällt. Darin geht es um die Unmöglichkeit einer homosexuellen Liebe. Auf der Bühne geht der Widerstand aber doch irgendwie auf, denn Franzl wird nicht abgeholt - und die Nazifahne fällt.

 Das Stück ist inzwischen Schullektüre. Robert Seethaler veröffentlichte seinen Roman „Der Trafikant“ 2012.  Zwei Jahre später erschien das Buch „Ein ganzes Leben“, das für den Booker-Preis vorgeschlagen wurde und inzwischen in über 40 Sprachen übersetzt worden ist. Es wird derzeit verfilmt. In „Der letzte Satz“ (2020) geht es um den Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler.

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