Ausstellungscafé in Krefeld Diese Kunst kann die Welt vermessen

Krefeld · Blickfänge sind die Holzarbeiten von Georg Opdenberg allemal. Aber sie sind mehr - sind künstlerisch gestaltete Geräte aus den Anfängen des Messwesens. In unserer hochtechnisierten Präzisionswelt eine spannende Entdeckung.

 Großer Auftritt für  Kunst und Technik: Die Objekte von Georg Opdenberg kommen an der großen Caféwand bestens zur Geltung.

Großer Auftritt für  Kunst und Technik: Die Objekte von Georg Opdenberg kommen an der großen Caféwand bestens zur Geltung.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Den Ausstellungstitel darf man nicht wörtlich nehmen. Er wäre  geschwindelt: „Unermesslich“ steht über den Objekten, die Georg Opdenberg zurzeit im „An-Go-Lo“ an der Angerhausenstraße zeigt. Die Kunstwerke  sind schließlich mehr als ästhetische Hingucker, in denen sich vieles entdecken lässt - und sich noch mehr Rätsel auftun. Zumindest für den Laien. Jedes Unikat hat eine Funktion. Es kann mit dem richtigen Lichteinfall Winkel bestimmen  oder die Uhrzeit angeben. Im Prinzip ganz einfach - für Opdenberg. Denn der Künstler hat sein Berufsleben der Vermessungstechnik gewidmet. Die Liebe zu den Geräten begleitet ihn immer noch. Je archaischer, desto faszinierender.

Forscher vermessen unseren Planeten seit ewigen Zeiten. Heute haben sie Hightech-Präzisionsinstrumente, die jeden Winkel erfassen. Die ganz archaischen Möglichkeiten zeigt Opdenberg: Ptolemäus, auf den die erste Weltkarte zu Beginn unserer Zeitrechnung zurückgeht, der Himmelsglobus der Antike und das Astrolabium, ein scheibenartiges Rechen- und Messinstrument: Ja, um all das geht es bei den Vermessungsgeräten, die Opdenberg nach historischen Vorbildern und mit der Freiheit der Kreativität als Kunstobjekte mit Funktion gebaut hat. Sie sind das Fundament. Wer in der Historie der Welt- und Sternenkunde wenig bewandert ist, muss sich nicht abschrecken lassen. Allein die Ästhetik der Instrumente ist so viel ansprechender als Computerberechnungen.

 Georg Opdenberg und Flavia Latina zeigen ein Astrolabium (scheibenartiger Entfernungsmesser), eingerahmt von den Schenkeln eines Schattenquadrats

Georg Opdenberg und Flavia Latina zeigen ein Astrolabium (scheibenartiger Entfernungsmesser), eingerahmt von den Schenkeln eines Schattenquadrats

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Zum Beispiel das Schattenquadrat: Optisch das simpelste Hilfsmittel, um Winkel zu messen. Drei Holzleisten sind zu einem U geformt und auf der Innenseite mit der Skala eines Zollstocks versehen. Im linken Holzstück ist ein winzigkleines Loch. „Wenn die Sonne hindurchscheint, markiert sie auf der gegenüberliegenden Seite einen Lichtpunkt“, sagt Opdenber. Er hält ein Lot, das eine exakte Senkrechte angibt, und erhält einen zweiten Wert. „Über das Seitenverhältnis und die Skala kann ich den Winkel ablesen.“ Mit dem jeweiligen Sonnenstand am Tag lässt sich  ausrechnen, wie groß die Entfernung von beispielsweise Fischeln zum Äquator ist.

 Astronomisches Vermessungsgerät: Das Schattenquadrat ist eine voll funktionsfähige Sonnenuhr.

Astronomisches Vermessungsgerät: Das Schattenquadrat ist eine voll funktionsfähige Sonnenuhr.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Ein Schattenquadrat aus Holz hat Opdenberg in Überdimenson entworfen und mit Schwarz und Weiß gestaltet. Wie ein Spielbrett hängt es an der Wand und  gibt mit Lot und Sonnenlicht die Uhrzeit an. Opdenberg verfügt über unermesslich viel Wissen. Jahrzehnte lang hat er die Geschichte der Berechnungskunst studiert - im Orient und im Okzident. Er weiß, worauf es in der orientalischen und der lateinischen Welt ankam, wie einst die Engländer bei ihren Kreuzzügen die ersten Sonnenuhren kennenlernten. „Es ist eine Erfindung aus der arabischen Welt. Die Bücher, die davon berichteten, wurden ja erst viel später ins Lateinische übersetzt“, sagt Opdenberg.

 Aus Brettern von Holzpaletten hat Georg Opdenberg seine Sonnenunhren gebaut: die gelbe Fläche steht für den Tag, die blaue für die  Nacht.

Aus Brettern von Holzpaletten hat Georg Opdenberg seine Sonnenunhren gebaut: die gelbe Fläche steht für den Tag, die blaue für die  Nacht.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Er erzählt von den unterschiedlichen Anforderungen. In der Wüste war es überlebenswichtig, die Sonnenauf- und -untergangszeiten zu kennen, um nicht von der Dunkelheit überrascht zu werden. In den Städten waren die Winkel entscheidend, hier wurde gebaut, hier waren gerade Mauern entscheidend, damit Häuser nicht einstürzten.

Wer hat sich je überlegt, dass das Überleben von Menschen und die faszinierendsen Bauwerke Jahrtausende alter Kulturen eigentlich an einem Gewicht, einem Stückchen Holz und einem  Faden hängen.? Nicht viel mehr ist das simple Lot, das Opdenberg auf einem Markt  in Marokko gefunden hat. Der vielgereiste Krefelder sucht überall auf der Welt das Gespräch mit Menschen. Zu den wichtigsten Vokabeln, die er sich vor Ort aneignet, gehören „Lot“ und „Zeiger“. Manchmal muss er mit  Gesten, Skizzen und Online-Übersetzer seinem Gegenüber klar machen, wonach er ausschaut. „In Marokko hat mir ein Mann mit Gesten etwas beschrieben. Bei mir fiel der Groschen: Ein paar Stände zuvor hatte ich so etwas gesehen, konnte es aber nicht zuordnen.“

Wie viele historische Messwerkzeuge Georg Opdenberg über die Jahrzehnte aus allen Ecken der Welt zusammengetragen hat, hat er nie gezählt. Ein kleines Exemplar ist ihm besonders ans Herz gewachsen. Es ist quadratisch, etwa so groß wie ein Streichholzbriefchen und aus abgegriffenem Holz. Wenn Opdenberg es öffnet,  sieht man eine hochfeine Arbeit mit Zahlenkreis, in der Mitte eine Kompassnadel und ein Lot: „Das ist ganz einfach und billig gemacht, damit es sich jeder leisten konnte“, sagt Opdenberg. Es war so etwas wie der Sextant für Bauern und Nomaden: Uhr und Richtungsweiser in einem.

„Spannend ist, dass in den verschiedenen Kulturen die Astronomie zum Beispiel ganz unterschiedlich ausgerichtet war: In der Wüste war man auf die Sterne angewiesen, um sich zu orientieren. Bei den Ägyptern war der Stand der Sonne wichtig, um die Jahreszeiten zu markieren.“ Wenn die Flüsse im Sommer wenig Wasser führten, gab das Aufschluss, dass die Ernte klein ausfallen würde. „Danach wurde beispielsweise auch die Pacht berechnet.“ Die Sonne als Index für den Mietspiegel sozusagen.

 Die Wand im An-Go-Lo, die Inhaberin Flavia Latina seit Jahren als interessanteste Krefelder Galerie mit unterschiedlichsten Objekten bestückt, ist eine großartige Kulisse dafür. Schade, dass sie Ende März schließt.

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