Ausstellung in der Villa Merländer Alltägliches aus der Krefelder NS-Zeit
Krefeld · Die Sonderausstellung „Geschichte in Objekten“ in der Villa Merländer erzählt vom Leben der Krefelder in der Zeit des Nationalsozialismus – mit Begegnungen, die nicht alltäglich sind. Ein Koffer aus Rinde bewegt besonders stark.
Tagebücher, ein Dolch, eine Fliese, ein Mathematikbuch, Briefe, Fotos, ein Portemonnaie: Es sind kleine Dinge, die ihre Geschichten erzählen – oft eigentümliche, auch verstörende Zeugnisse einer Zeit, die beim Betrachten viel weiter entrückt scheint, als es der historische Abstand signalisiert. Eine Ausstellung in der NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer führt ab 17. August zurück in die Nazi-Zeit, wie sie Krefelder in ihrem Alltag erlebten.
Das mag vermeintlich nach banalen Exponaten klingen, doch hinter den Fassaden des Alltäglichen verbergen sich ganz besondere Schicksale und Erfahrungen. Da steht man vor einer Vitrine, sieht ein mittelbräunliches Etwas, auf den ersten Blick einen Karton, auf den zweiten einen Griff wird klar: Das Ding ist ein schrumpeliger Koffer. Dem verwendeten Material dürfte noch kein Besucher der Villa Merländer begegnet sein: In filigraner Handarbeit hat ein Kriegsgefangener aus Krefeld den Koffer in einem russischen Lager fabriziert – aus Birkenrinden. So erzählt das schlichte Objekt vom Überlebenswillen und dem Heimweh nach Hause. Naber hieß der Krefelder, und im Lager sind auch sein bauchiges Portemonnaie entstanden und kleine, hölzerne Spielfiguren.
Rund 30 Exponate veranschaulichen örtliche „Geschichte in Objekten“ und verorten das Leben in Krefeld zwischen 1933 und 1945 im „Spannungsfeld zwischen Propaganda, Gewaltausübung und Banalität“. Natürlich vermag eine solche Schau nur punktuelle Momentaufnahmen zu liefern, die, in den besten Fällen, Zeitcharakteristisches bebildern. Bei der Präsentation konnten die Kuratoren Sandra Franz, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle, und Fabian Schmitz, wissenschaftlicher Mitarbeiter, auf einen Fundus zurückgreifen, den Einsendungen von Krefeldern nach einem Aufruf aus dem Jahr 2019 aufgebaut hatten: Materialien, die bis dahin, so Franz, privat „in Schubladen schlummerten“ und nun zu 60 Prozent als Dauerleihgaben und zu 40 Prozent als Spenden die Sammlung der Villa Merländer bereichern. „Zur Eröffnung haben wir auch alle Schenkenden eingeladen.“
Objekt-Beispiele: Am Röttgen in Uerdingen wurde ein Bunker abgerissen. Die braunen Bodenkacheln sind den Bauarbeitern seinerzeit nicht aufgefallen. Einer Passantin aber schon: In das geometrische Muster waren Hakenkreuze eingefügt. Weckte das bei einigen im Schutzbunker damals Durchhaltewillen und bei anderen die heimliche Klage: Diese Bomben haben uns die Nazis eingebrockt?
Propaganda spielt in der Ausstellung eine wichtige Rolle, ohne dass diese Gefahr läuft, in eine Nazi-Devotionalienschau abzudriften. Ein Plakat für das NSDAP-Zentralorgan „Völkischer Beobachter“ und Wehrmachts-Magazine sind genauso zu sehen wie das Treuegelöbnis einer jungen Krefelderin zur Aufnahme in den NS-Bund Deutscher Mädels, der große Dolch eines SA-Mannes und Leni-Riefenstahl-like Fotos gestählter „arischer“ Sportler rund um die Olympiade von 1936 in Berlin. Das Regime hatte weite Lebensbereiche im Griff, wenn auch nicht den ganzen Alltag. Die Schule aber schon: Ein Mathematikbuch in einer der Vitrinen enthält die Aufgabe, anhand der einzelnen Kleidungsstücke auszurechnen, wie viel eine Hitlerjugend-Uniform insgesamt kostet.
Das Thema Verfolgung ist in der Ausstellung nicht zentral. Sandra Franz: „Da haben wir nur wenige Sachen ausgewählt, weil das Thema bei uns ohnehin immer im Fokus steht“. Gezeigt werden etwa der spezielle Reisepass für Juden mit großem rotem „J“-Aufdruck und Briefwechsel aus dem KZ Theresienstadt nach Krefeld. Zu jedem Objekt erscheint ein Begleittext. So summieren sich einzelne Krefelder Geschichten zu einer punktuellen „Geschichte in Objekten“.