Krefeld Krefelds vergessener Cowboy der Poesie

Krefeld · Joseph Beuys nannte seinen Jugendfreund Adam Reinhard Lynen "den letzten Dichter Deutschlands". Doch zu Lebzeiten wurde der Mann, der in Krefeld aufgewachsen ist, nicht berühmt. Dabei schwärmen Kenner von der außerordentlichen Qualität seiner Texte. Sein Nachlass soll nun ins Krefelder Stadtarchiv gehen.

 Sie wollen die Erinnerung an Adam Reinhard Lynen wachhalten: Jens Stüttgen (links) und Ernst Föll.

Sie wollen die Erinnerung an Adam Reinhard Lynen wachhalten: Jens Stüttgen (links) und Ernst Föll.

Foto: Thomas Lammertz

Markante, vom Leben eingeschliffene Züge, den Hut auf fast allen Fotos tief in die Stirn gezogen und den Blick skeptisch auf den Fotografen gerichtet: Der Mann hat ein Gesicht, das man sich merkt. Als lonesome Cowboy kann er für alles stehen, für das der Mensch meilenweit gehen würde. Und tatsächlich ist Adam Reinhard Lynen in seinem Leben weltweit gewandert - von Ecuador bis Buenos Aires. Luftlinie 4500 Kilometer. Vier Jahre hat er dafür gebraucht. Mit dem Fahrrad hat er Amerika durchquert. Solche Aktionen waren typisch für den Mann, der 1923 in Aachen geboren wurde und als Kind mit seinen Eltern nach Krefeld zog. Doch Werbe-Ikone wäre er nie geworden. Nicht mal für eine Sache, die ihm gefallen hätte, hätte er sich wohl als Aushängeschild hergegeben. Lynen war Individualist. Ein Einzelgänger. Ein Begnadeter. Einer, der seine Eindrücke mit den schönsten Sprachbildern niederschrieb. Allerdings nur für sich und enge Vertraute. Außer seinem 450 Seiten starken Werk "Kentaurenfährte. Logbuch eines Vagabunden", das 1963 im renommierten Kindler Verlag erschienen ist, hat er nichts veröffentlicht.

Der Literatur- und Kunstwelt ist damit etwas entgangen, finden seine Jugendfreunde Ernst Föll und Jens Stüttgen. Sie wollen dem Vergessenen nun zu posthumem Ruhm verhelfen. "Seine Texte sind von herausragender Qualität. Die müssen publiziert werden", sagt Föll. Lynen hat wohl zeitlebens auf jedes Papier geschrieben, das ihm in die Finger kam. Aber bekannt wurde er nicht. "Dagegen hat er sich auch immer gewehrt", berichtet Stüttgen. Lynen hat sein Außenseitertum selbst gewählt, verstand sich als ein Vertreter der Vagantenliteratur. Föll stellt ihn in einen Rang mit Boris Vian ("Schaum der Tage") und Arthur Rimbaud.

Lynens Nachlass soll nun ins Stadtarchiv Krefeld. Föll hat ihn "im letzten Moment" gerettet. Als er vor einem Jahr von Krefeld nach Andernach umzog, fiel ihm die "Kentaurenfährte" in die Hände. Das Buch hat Lynen geschrieben, als er Anfang der 60er Jahre in einer Hütte in der "Kull" (den Nieper Kuhlen) wohnte. "Eine Zeit lang hat er dort auch mit Beuys gewohnt, der ihn ausgesprochen schätzte", sagt Beuys-Experte Stüttgen. Beuys hat "den Reinhard" 1947 kennengelernt uns in seinem Lebenslauf als wichtigen Freund aufgeführt und ihn einmal "den letzten Dichter Deutschlands" genannt.

Föll hat nach dem Jugendfreund gesucht. Der war inzwischen verstorben. Die Witwe Ruth Lynen stand in den Startlöchern, Deutschland zu verlassen. "Lynen hatte ihr wohl immer gesagt: ,Wenn dech dat Zeuch ze völl wett, halt e Streichholz dran.' Da kam ich gerade noch rechtzeitig", erzählt Föll. 3000 Manuskriptseiten hat er gesichert, Theaterstücke, Gedichte, Aphorismen, Reisebeschreibungen. "Die haben alle noch nicht das Licht der Öffentlichkeit gesehen." Jetzt aber sei die Zeit reif für einen Vaganten wie Lynen, einen Sprach-Experimentierer, der seitenweise mit Wörtern und Synonymen jonglierte, um neue Wortschöpfungen zu kreieren. Dabei sprach er fast ausschließlich Krefelder Platt. "Diese Kombination aus niederrheinischem Humor und riesigem Anspruch, hat eine ganz eigene Qualität. Mit dem Bildungsbürgertum hatte er nicht am Hut, er hasste es regelrecht", erinnert sich Stüttgen. Überhaupt lehnte Lynen offenbar alles ab, was Zwang, Norm oder Mode entsprach. Er schwamm gegen den Strom - nicht aus Protest, sondern, weil er es so wollte. "Er hat nie etwas veröffentlicht - aus Angst vor dem schlechten Geschmack", sagt Stüttgen. Dabei habe er die Gabe besessen, "unter Pennern die Edelsteine zu finden". Lynen suchte die Gesellschaft von Menschen, die er als authentisch wahrnahm. "Über sie konnte er wundervoll erzählen", so Stüttgen. Das soll nachhallen. "Seiner Frau hat er auf dem Totenbett das Versprechen abgenommen, dass er nicht im Schatten von Jupp stehen werde."

Unterstützung gibt es durch Magdalena Broska von der Adolf-Luther-Stiftung: "Lynen ist eine Krefelder Persönlichkeit, die wir mit großer Aufmerksamkeit betrachten sollten. Auch die Kunstmuseen haben Interesse signalisiert."

(RP)
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