In Radio und Fernsehen Wie Krefelds Stadtwerke-Chef zum Krisenerklärer der Nation wurde

Krefeld · Krefelds SWK-Chef Carsten Liedtke hat eine zweite Karriere hingelegt: die als TV- und Radioexperte. Von der Tagesschau bis zu RTL: Liedtke erklärt den Deutschen die Gas- und Energiekrise. Es hat Gründe, warum gerade er gern gefragt wird.

 SWK-Vorstand Carsten Liedtke im Gespräch. (Archivfoto)

SWK-Vorstand Carsten Liedtke im Gespräch. (Archivfoto)

Foto: SWK

Zu den zahlreichen respektvollen Äußerungen über Außenminister Hans-Dietrich Genscher (1927 - 2016) gehört auch diese: Er beherrschte perfekt die Zwei-dreißig-Regel. Gemeint ist die Fähigkeit, in Wortbeiträgen von höchstens zwei Minuten und 30 Sekunden ein Fernseh- oder Radiointerview zu bestreiten. Genscher konnte punktgenau zum Schluss kommen, bevor man als Zuschauer entnervt weghörte. Und die Journalisten waren glücklich über sendefähige Statements.

Einer, der diese Zwei-dreißig-Regel auch beherrscht, ist Krefelds SWK-Vorstand Carsten Liedtke. Liedtke ist seit Beginn der Gaskrise plötzlich vielfach gegenwärtig im Fernsehen  und im Radio. ARD-Tagesthemen, ZDF, WDR – Liedtke erklärte den Rettungsschirm für Uniper, Gaspreisentwicklung, Gasumlage,  Perspektiven der Versorgungssicherheit sowie Lage und Einkaufsstrategie der Stadtwerke im Land. Warum Liedtke?

Zum einen kommt er auf den Punkt: Er redet zwar schnell, aber bestens akzentuiert, und er findet ein Ende. Das ist mittlerweile in unserer Talkshow- und Politik-Kultur tatsächlich fast eine Kunst. Man achte einmal auf Äußerungen von Bundespräsident Steinmeier: Sie werden oft brutal und haarscharf geschnitten, ohne dass es schadet und Sinn verloren geht, allerdings auch ohne dass man nun genau sagen könnte, was jetzt der Kern des Gehörten war. Steinmeiers mäandernde Sätze sind eben an vielen losen Enden zu kappen.

Auch in Talkshows versuchen viele Redner bis zum Überdruss, Redezeit zu besetzen, so Gewicht vorzutäuschen und doch nur ein Argument zehnmal zu umkreisen. Eigentlich müsste man ein Lehrbuch über die Kunst des Aufhörens zur Pflichtlektüre für jeden machen, der sich öffentlich äußert.

Liedtke beherrscht diese Kunst des Aufhörens, was wiederum mit seinem Beruf zu tun hat. Er denkt in Zahlen und wirtschaftlichen Zusammenhängen – beide Punkte sind wichtig: Wirtschaft und Betriebswirtschaft haben eben nichts mit Zahlenkolonnenhuberei zu tun; Zahlen definieren vielmehr Zusammenhänge. Sie zu lesen zeugt von Kompetenz, sie anderen  mitteilen zu können von einer Art Basis-Empathie: Ich kann mich in deine Voraussetzungen hineinversetzen, um einen Zusammenhang aus Zahlen zu verdeutlichen. Narzissten kriegen das nicht hin.

Liedtke kann das. Seine Ansprachen sind keine Zumutung, er erschlägt nicht mit Zahlen – er führt  mit wohldosierten Fakten durch seine Argumentation. Ihm mag sein Werdegang geholfen haben, diese Fähigkeit zu entwickeln: Liedtke hat vor der akademischen Ausbildung Industriekaufmann gelernt und gehört demnach zu denen, die das Geschäft von der Pike auf gelernt haben. Geradeaus reden ist vielleicht eines der wichtigsten Lehrstücke dieser Laufbahn.

Liedtke ist aber auch vom Typ her ein Kommunikationstalent. Eine Binsenweisheit, aber eine Weisheit: Kompetenz ist nicht alles. Liedtkes Führungskultur, so kann man es von Mitarbeitern hören, ist geprägt von Augenhöhe zu den Mitarbeitern und klarer Struktur im Feedback – zu der auch das Feedback auf Liedtke selbst und dessen Arbeit gehört. Gerade diese Kultur der strukturierten Rückmeldung ist wichtig: Sie soll offen in der Sache, aber so geordnet sein, dass der Kritisierte nicht am Boden zerstört das Feld verlässt. Das ist ja das Verheerende an einem Wutausbruch in der Chefetage: Er verletzt persönlich und überlagert Sachkritik mit Gruppendynamik. So schüchtert man Mitarbeiter erfolgreich ein, aber erreicht nichts. Liedtke führt, so hört man immer wieder, anders.

Das konnte man beim Abschied der langjährigen SWK-Sprecherin Dorothee Winkmann im Nordbahnhof spüren: Liedtke war als oberster Boss kein Fremdkörper; Atmosphäre und Umgang waren von Zutrauen und Vertrauen geprägt. Nicht selbstverständlich, denn man mache sich nichts vor: Gestörte Arbeitsbeziehungen zur Chefetage treten auch und gerade bei Betriebsfeiern zutage.

Weiteres Indiz für Liedtkes Sozialverträglichkeit: Er arbeitet gut mit Vorstand Kerstin Abraham zusammen und damit mit einer Frau, der allem Anschein nach Machtspielchen, Chefallüren und Alphatier-Rituale zutiefst fremd sind. Das Miteinander mit dieser Kollegin würde nie und nimmer klappen, wenn Liedtke dazu neigte, den Boss raushängen zu lassen, sprich Untergebene niederzumachen. 

Neben der kommunikativen Begabung im Umgang mit Menschen mag auch etwas anderes dazu beitragen, dass Liedtke als Erklärer Sicherheit in der Sache ausstrahlt:  Er spricht aus einer Position der Stärke. Die Stadtwerke Krefeld sind zum Konzern gewachsen; die Strategie der Erweiterung des Portfolios ist bislang aufgegangen; die Einkaufsstrategie, im Voraus Gas zu kaufen, hat sich bewährt, sodass Kunden in Langfristverträgen die Chance haben, mit einem blauen Auge durch den Winter zu kommen. Das SWK-Schiff schlingert nicht – das beruhigt die Nerven auch beim Erklären einer Krise. Liedtke strahlt diese Ruhe aus. Nicht der schlechteste Nebeneffekt in schweren Zeiten.

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