Krefeld Krefelds ältestes Bauernhaus ist von 1560

Krefeld · Durch Zufall entdeckten Krefelder Denkmalschützer das älteste bekannte Bauernhaus Krefelds. Der Erhaltungszustand entzückt die Fachleute. Der Landschaftsverband schreibt der Entdeckung europäische Bedeutung zu.

Von außen präsentiert sich das Haus als unscheinbarer, weiß verputzter, verwinkelter Bau. Bei einer Routine-Begehung durch den Krefelder Denkmalschutz hat er sich als kulturgeschichtlicher Schatz erwiesen: Das Haus an der Straße Vorderorbroich ist spätestens 1560 erbaut und damit das älteste bekannte Bauernhaus Krefelds. In einer vorläufigen Expertise des Landschaftsverbandes Rheinland wird dem Komplex sogar europäischer Rang zugeschrieben: Er ist selten gut erhalten und spiegelt ein halbes Jahrtausend Bau- und Lebensgeschichte am Niederrhein relativ präzise wider.

Dabei begann alles mit einer Routine-Überprüfung. Eva-Maria Eifert von der Krefelder Denkmalbehörde sollte ein Haus besichtigen, für das ein Abbruchantrag vorlag - die Besitzer wollten es mit der Option auf Abriss verkaufen können. Der durchhängende Dachfirst war für Eifert der erste Hinweis, dass es sich um ein älteres Gebäude handeln könne, berichtet sie. Als sie dann den Weg um das von Verschlägen gesäumte Gebäude herumgegangen war und erste Eindrücke vom Mauerwerk an der Rückseite gewann, war sie alarmiert: Was sie da sah, war Fachwerk aus dem 18. Jahrhundert. Im Inneren des Hauses gingen ihr dann die Augen über: Bausubstanz und das ganze Gefüge ließen auf wesentlich ältere Baustufen schließen.

Gewissheit brachte die so genannte dendrochronologische Analyse einer Holzprobe aus einem der ältesten Balken im Haus: Anhand der Beschaffenheit der Jahresringe lässt sich das Alter der Baumstämme ermitteln. Die Untersuchung des Bohrkerns durch die Universität Bamberg ergab: Das Haus ist spätestens 1560 errichtet.

Die nähere baugeschichtliche Erforschung übernahm dann Christoph Dautermann vom Museum Burg Linn - auch ihm gingen in dem Gebäude die Augen über. Es handelt sich demnach um ein niederrheinisches Hallenhaus in selten gutem Erhaltungszustand. Selten deshalb, weil vor allem der 30-jährige Krieg weite Teile Deutschlands verwüstet hat. "Der Niederrhein ist davon offensichtlich weitgehend verschont geblieben", berichtet Dautermann, "1642 bis 1648 waren hessische Truppen hier, es wird einzelne Überfälle und Brandschatzungen gegeben haben, doch insgesamt hat der Landstrich vom Krieg eher profitiert, weil Lebensmittel nachgefragt waren. Oppum ist in dieser Phase sogar nachweislich gewachsen." Heißt: Die Entwicklung am Niederrhein ist im ersten großen europäischen Krieg unbeschadet vorangeschritten.

Das Haus ist einerseits ein typisches Hallenhaus, dessen Struktur in der Eisenzeit entwickelt wurde: Wohnräume, Ställe und Vorratsspeicher sind unter einem langgestreckten Dach untergebracht. Andererseits weist das Gebäude am Vorderorbroich etliche Besonderheiten auf. "Die Dachbalken ragen über das eigentliche Mauerwerk hinaus und enden freischwebend. So etwas kenne ich nur aus historischen Kirch- oder großen Hallenbauten. Es ging wohl darum, Platz zu schaffen", resümiert Dautermann. Er vermutet, dass diese Balken auf eine Erweiterung einige Jahrzehnte nach dem Bau des Ur-Hauses zurückgehen.

Der höhere Platzbedarf ist ein Hinweis auf höheren Wohlstand. Das Haus liegt wie viele Höfe auf der Grenze zwischen Nieder- und Mittelterrasse; so konnten die Bauern beide Flächen von einem mittleren Standort aus quasi zentral bespielen: die feuchte Niederterrasse für Viehzucht, die fruchtbare Mittelterrasse für Ackerbau.

Im Innern ist noch Lehmflechtwerk erhalten, mit dem über Jahrtausende die Wände geschlossen wurden. Der Dachboden diente zur Lagerung von Getreide; ins Haus integriert waren unten Ställe. Erhalten ist auch ein zweiseitig offener Kamin und eine Räucherkammer, vermutlich aus dem 18 Jahrhundert zum Räuchern von Schinken. "Die Feuerstelle lässt auf gehobene Wohnkultur schließen", so Dautermann. Der Kamin öffnete sich zu den Wirtschaftsräumen und nach hinten zu den Wohnräumen.

Sehr gut erhalten sind auch zwei so genannte Opkammern, die wohl um 1750 dazugekommen sind. Es handelt sich um Räume auf halber Geschosshöhe mit darunterliegenden Kellerräumen. "Opkammern waren Wohnräume, die oft auch als Unterkünfte für das Altenteil der älteren Generation dienten. Die Nutzungsrechte waren vertraglich auf Lebenszeit geregelt. Unten waren dann kühle Kellerräume zur Lagerung von Vorräten", berichtet Dautermann.

Die erste Quelle, wer in dem Hof gewohnt hat, geht ins Jahr 1800 zurück, als das Rheinland französisch besetzt war. Demnach lebten in dem Haus fünf Personen der Familie Alexander Keggen und ein Knecht. 1850 ist das Haus im Innern durch eine Wand unter dem Dachgiebel längs zweigeteilt worden, "vermutlich eine Erbteilung", sagt Dautermann. Zuletzt ist nur noch die eine Hälfte des Hauses genutzt worden.

Die heutigen Besitzer haben irgendwann eingesehen, dass die Herrichtung des Hauses ihre Möglichkeiten übersteigt und wollen es verkaufen. "Gesucht wird ein Liebhaber, der dieses kostbare Gebäude herrichtet", sagt Denkmalschützerin Eifert. Ob das Haus vielleicht sogar aus staatlichen Mitteln zu einer Art Freilichtmuseum restauriert werden kann, steht in den Sternen.

Christoph Dautermann stellt seine Forschungsergebnisse zu dem Haus beim Grabungsabend am 25. Januar, 19 Uhr, in der Museumsscheine Linn vor.

(RP)
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