Krefeld Krefelder Studentin saß Grass Modell

Krefeld · Für Edith Schaar war Krefeld eine wichtige Station in ihrem inzwischen mehr als 90 Jahre währenden Leben: Sie studierte an der Werkkunstschule bei Elisabeth Kadow Textilkunst. Um ihre Ausbildung zu finanzieren, saß die attraktive junge Frau aus Krefeld den Düsseldorfer Kunststudenten Günter Grass und Norbert Kricke Modell.

 Günter Grass studierte in Düsseldorf Grafik und Bildhauerei.

Günter Grass studierte in Düsseldorf Grafik und Bildhauerei.

Foto: Keystone

Edith Schaar ist eine faszinierende Frau. Sie wurde 1926 in Polen geboren, floh im Zweiten Weltkrieg mit den Eltern in die Nähe von Husum nach Schleswig Holstein und lebt seitdem ein Leben abseits des Mainstreams. Als junge Frau studierte sie Bildende Kunst beim berühmten Willi Baumeister in Stuttgart. Danach führte sie der Weg an den Rhein nach Krefeld in die Werkkunstschule, wo Elisabeth Kadow lehrte und später sogar die Meisterklasse Textilkunst von Georg Muche übernehmen durfte.

Der Alltag in Krefeld war teuer, die finanziellen Mittel der jungen Edith Schaar bescheiden. So war sie froh, sich ein paar Mark mit Modellsitzen für die Studenten der Düsseldorfer Kunstakademie verdienen zu können. Dass die jungen Männer später künstlerischen Ruhm ernten würden, konnte die Wahl-Krefelderin zu dem Zeitpunkt Ende der 1940-er, Anfang der 1950-er Jahre nicht ahnen. Norbert Kricke nahm unter anderem an der Documenta II und III in Kassel teil, schuf Raumplastiken aus metallenen Linien und leitete die Staatliche Kunstakademie in der Landeshauptstadt als Direktor.

 Grass schuf dem Krefelder Herbert Zangs ein literarisches Denkmal.

Grass schuf dem Krefelder Herbert Zangs ein literarisches Denkmal.

Foto: Katalog Galerie Maulberger

Günter Grass studierte Grafik und Bildhauerei und erntete als Autor und Literaturnobelpreisträger Weltruhm. Kricke verewigte der Danziger, der in Lübeck wohnte und starb, in seiner Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" mit den Zeilen: "In der Klasse des Bildhauers Enseling ... stieß ich auf Norbert Kricke, der naturgetreu seinem Meister nacheiferte und lebendige nackte Mädchen in nackte Mädchen aus Gips verwandelte, bis er, nur wenige Jahre später, von seinen Nackedeis genug hatte und fortan mit dekorativ gebogenen Drahtskulpturen dem Zeitgeist zu Diensten war."

Kricke wiederum teilte kräftig gegen den berühmten Krefelder Joseph Beuys aus, der seinen Geburtsort allerdings am liebsten verschwieg und sich als Klever fühlte. Ab Ende der 1960er Jahre kam es zwischen Beuys und Kricke, der Beuys messianisches Auftreten und "Jesus-Kitsch" vorwarf, zu einer der härtesten Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegskunstgeschichte. Umgekehrt galt Kricke seinen Kritikern als "Siegelbewahrer einer informellen Vergangenheit", als Künstler des Establishments und des Kapitals, während Beuys mit seinem Begriff der Sozialen Plastik und als Gründer der "Freien Internationalen Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung" sich als die wirkliche Avantgarde verstand.

Eine Avantgarde, zu der auch der an der Marktstraße in der Innenstadt aufgewachsene Herbert Zangs gehörte. Ihm und Edith Schaar gemein ist die Tatsache, dass beide ein unstetes Leben führten und Grass ihnen ein literarisches Denkmal setzte. Für den Roman "Die Blechtrommel" diente Zangs als Vorbild für die Kunstfigur Maler Lankes. Zangs und Grass waren Kommilitonen und jobbten als Türsteher in der Düsseldorfer Altstadt. Edith Schaar fand in dem Buch "Beim Häuten der Zwiebel" Erwähnung. Darüber hinaus sind ihre Rolle und ihre Biografie in der Dauerausstellung im Günter-Grass-Haus in der Hansestadt Lübeck an der Glockengießerstraße dargestellt.

(sti)
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