Theater Krefelder plant Theater-Weltpremiere

Krefeld · Das gab es noch nie: Mit der Uraufführung „Die Parallelwelt“ eröffnet Kay Voges die Theaterspielzeit zeitgleich in Dortmund und in Berlin. Die Ensembles werden über 420 Kilometer Entfernung miteinander agieren.

 Kay Voges ist Intendant am Schauspielhaus Dortmund. Mit der Parallel-Uraufführung schreibt er Theatergeschichte.

Kay Voges ist Intendant am Schauspielhaus Dortmund. Mit der Parallel-Uraufführung schreibt er Theatergeschichte.

Foto: Philip Lethen

Die Feuilletons feiern Kay Voges als Theater-Star seit er 2010/11 die Leitung des Dortmunder Schauspiels übernommen hat. Regelmäßig nennen Kritiker das Haus bei den jährlichen Umfragen als bestes in Nordrhein-Westfalen. Vor Köln. Vor Düsseldorf. Vor Essen. Voges ist einer, der etwas wagt. „Theater als Weihestätte ist mir zuwider. Theater muss Experimentierraum sein“, hat er schon im Jahr 2005 in einem Interview mit unserer Redaktion gesagt, als er hier die Neue Bühne Krefeld gegründet hatte. Jetzt hat sich der 46-Jährige eine Weltpremiere vorgenommen. Er inszeniert eine Doppel-Spielzeiteröffnung: Zeitgleich ist am Samstag, 15. September, am Schauspiel Dortmund und am Berliner Ensemble die Simultan-Uraufführung von „Die Parallelwelt“ von Kay Voges und Alexander Kerlin zu sehen.

Voges, der Pop und Punk auf die Theaterbühne gebracht hat, interessiert sich nicht für breitgetretene Inszenierungspfade. Das Neue, das Gerade-Noch-Mögliche, das Unbekannte direkt hinter der Gewohnheitsgrenze ist sein Experimentierfeld. Und dazu will er nun die Begrifflichkeiten von Zeit und Raum aufweiten.

Informationen gehen digital in Echtzeit rund um den Globus, Maschinen können über weite Distanzen miteinander kommunizieren. High-Tech macht’s möglich. Also kann Voges auch 420 Kilometer Luftlinie zwischen zwei Theatern überbrücken mit entsprechendem technischem Aufwand. Für das Projekt wurden Glasfaserkabel verlegt, die exklusiv für die Vorstellungen genutzt werden. Voges geht davon aus, dass die Übertragung verzögerungslos ablaufen wird. Und das ist entscheidend für die Umsetzung. In Dortmund und in Berlin sollen jeweils sieben Schauspieler auf der Bühne sein, die miteinander, aber auch jeweils mit dem Ensemble der anderen Stadt agieren — wie zwei Paralleluniversen, die zur selben Zeit an unterschiedlichen Orten existieren. Sie sind unabhängig von einander, bis die Trennung durch den Raum überwunden wird. Wie das Theater die neuen Fragen von Raum und Zeit behandelt, da hält sich Voges vor der Premiere noch bedeckt. Die Parallelwelt ist die Geschichte eines Lebens, das sich selbst begegnet. Zwei Ensembles in zwei identischen Bühnenbildern erzählen von Geburt und Tod, Kindheit und Alter, Liebe und Abschied — in Dortmund und Berlin. Auch während der Spielzeit werden alle Vorstellungen zeitgleich laufen.

Das Stück geht von der Frage aus: Wie sehr ist das Leben mit einem Ort verknüpft. Was wäre, wenn die uns bekannte Welt irgendwo im Universum ein zweites Mal identisch existierte? Und was wäre, wenn durch einen Zufall in der kosmischen Ordnung die eine dieser Welten einen anderen Verlauf nehmen würde und die Gegenwart heimgesucht wird von Geistern der Vergangenheit und der Zukunft. Welche Alternativen hätten wir gehabt? Und gibt es einen Weg, dem Schicksal zu entkommen?

Für Voges ist Theater immer eine Versuchsanordnung, bei der die Ergebnisse auch in den Köpfen der Zuschauer entstehen. Diesmal müssen sie sich der Subjektivität ihrer Wahrnehmung bewusst werden: Für das Publikum in Dortmund ist das Schauspielhaus die Realität, aus Berlin kommt für sie eine virtuelle Ebene hinzu. In Berlin verhält es sich umgekehrt.

Theater machen, um die Welt besser zu verstehen — für Kay Voges war das schon der Anreiz, als er als Kind mit Playmobil Geschichten inszenierte: sein Versuch, die Welt besser zu verstehen, indem er sie nachspielte. Digitalisierung und Multimedia-Performances bieten ihm zahlreiche Möglichkeiten.

An der Schnittstelle von Theater und Filmkunst ist auch die Koproduktion zwischen dem Schauspiel Dortmund und dem Berliner Ensemble. Es ist Kay Voges‘ erste Regiearbeit am Berliner Ensemble. In Krefeld ist er vor allem durch seine Inszenierung von „Nico - Sphinx aus Eis“ - einem Bilderrausch durch Stationen des Lebens von Christa Päffgen, der „einzigen deutschen Pop-Ikone von Weltrang“ im Gedächtnis. Unter dem Namen Nico war sie die Muse von Jim Morrison und ein beliebtes Modell für Andy Warhol, sie hatte ein Kind mit Alain Delon — und wurde 1988 auf einer Straße auf Ibiza tot aufgefunden. Diese Produktion der neuen bühne krefeld war gleich zum ältesten und bundesweit höchstdotierten Festival Freier Theater, dem „Theaterzwang“, eingeladen worden.

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