Krefelder Chefarzt zu Covidfolgen „Das Virus hat eine gewisse Liebe für den Herzmuskel“
Krefeld · Corona hat mehr Einfluss auf das Herz als die Medizin zu Beginn der Pandemie angenommen hat. In der Kardiologie des Helios wurden mehr große Herzinfarkte behandelt als vor 20 Jahren. Die Patienten sind zum Teil jung. Und manchem bricht Corona förmlich das Herz.
Das Herz ist ein Hochleistungsarbeiter. Jede Minute pumpt es mit einer Geschwindigkeit von etwa vier Stundenkilometern das gesamte Blut einmal durch den ganzen Körper. Wenn es aus dem Takt gerät, kann das schwerwiegende Folgen haben. Corona ist ein solcher Systemstörer - stärker als die Medizin zu Beginn der Pandemie wissen konnte. „Das Virus hat eine gewisse Liebe für den Herzmuskel und kann Herzmuskelentzündungen verursachen“, sagt Professor Heinrich Klues, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und konservative Intensivmedizin am Helios Herzzentrum in Krefeld. Das zeige sich besonders im zweiten Jahr der Pandemie.
Im ersten Corona-Jahr habe es bereits mehr Herzpatienten mit lebensgefährlichen Erkrankungen gegeben. „Es waren mehr große Herzinfarkte als in den Jahren zuvor und mehr junge Patienten darunter.“ Aus Angst, sich im Krankenhaus mit Corona anzustecken, seien viele erst gekommen, nachdem sie bereits zwei, drei Tagen Symptome oder auch akute Beschwerden hatten. Dann war die Lage ernst - auch für junge Patientinnen und Patienten. Am Ende stand zu oft eine schwere Herzschädigung bis hin zur Transplantation.
Inzwischen machen vor allem Herzmuskelentzündungen (Myokarditis) den Kardiologen Sorge. „Impfgegner nennen sie immer als Risiko für eine Impfung. Tatsächlich liegt dieses Risiko bei 0,003 Prozent. Aber Herz und Corona sind enger verbunden als bei anderen Viruserkrankungen. Wenn das Herz betroffen ist, gibt es auch schwere Verläufe“, sagt Klues. Immer wieder habe man zu Beginn der Pandemie Intensivpatienten gehabt mit unerklärlich blauen Beinen. Das Virus stört die Durchblutungsfunktion, es fördert die Blutgerinnselbildung und löst damit oft Embolien aus sowohl an den Extremitäten, als auch im Gehirn. „Das sind schlechte Bedingungen für den Verlauf.“
Omikron zeige sich zwar im Krankheitsverlauf insgesamt weniger aggressiv als die bisher bekannten Covid-Varianten, doch ohne Schutz habe das Virus freie Fahrt. „Die deutliche Mehrzahl der schwerkranken Patienten ist nicht geimpft oder verfügt über keinen ausreichenden Impfschutz. Wir versorgen heute zunehmend Patientinnen und Patienten mit dem Nebenbefund Covid-19 und einer anderen Hauptdiagnose. Das hat sich gewandelt, dennoch kostet auch Omikron weiterhin Leben.“
Die Situation habe auch das Pflegepersonal immens belastet und tut es weiterhin. „An Corona zu sterben ist kein schöner Tod. Und wenn Sie sehen, dass Menschen hier nicht so zu liegen bräuchten, wenn sie sich hätten impfen lassen, dann lässt einen das schon auch verzweifeln“, berichtet der Herzspezialist. Er kennt viele bewegende Schicksale, die sich in diesen Zeiten auf der Intensivstation abspielten. Er spricht von jungen Menschen, 32, 36 oder 44 Jahre alt. Menschen, die eigentlich mitten im aktiven Leben stehen. Eine grausame, erschreckende Situation, mit der auch das Personal seit vielen Monaten umgehen müsse.
„Besonders die Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege sind diejenigen, die diese Verläufe und Schicksale am engsten begleiten – physisch, aber auch emotional. Covid-19 ist eine aufwändige und energieraubende Behandlung. Die Patienten sind isoliert und müssen im Rahmen der Intensivtherapie regelmäßig vom Rücken auf den Bauch gedreht werden, ständiges Umziehen und Tragen der persönlichen Schutzkleidung inklusive. Das sind unsere Pflegeteams gewohnt - aber nicht in dieser Dichte. Was sie hier gemeinsam leisten, verdient größten Respekt“, betont Klues. Und sie kennen auch die Folgen einer langen Covid-Erkrankung: Wer sich wochenlang nicht bewegt hat, verliert an Muskelmasse und -kraft und ist auch kognitiv zurückgeworfen. „Diese Menschen brauchen häufig Monate, bis sie wieder da sind, wo sie waren“, berichtet der Chefarzt. Manche erreichen nach schweren Verläufen die 100 Prozent vielleicht nie wieder. Das wird die Zukunft zeigen müssen.
Corona greift das Herz auch seelisch an. Stichwort: Stress. Die Ängste vor der Krankheit, die Sorge um geliebte Menschen, der Tod von Nahestehenden und auch die existenziellen ökonomischen Sorgen um die Zukunft sind eine enorme Belastung. Erst seit 30 Jahren kennt die Medizin den Begriff des Broken-Heart-Syndroms - das Krankheitsbild eines gebrochenen Herzens. „Es ist sicher zu früh, dieses Phänomen mit Corona zu assoziieren. Aber aus der Alltagserfahrung und der klinischen Beobachtung heraus ist das eine typische Antwort des Körpers auf großen emotionalen Stress. Und Corona ist Stress. Wir sehen heute mehr Fälle. Der Zusammenhang wird sicher untersucht werden“, sagt Klues.
1991 haben japanische Forscher das Broken-Heart-Syndrom erstmals beschrieben. Die Symptome ähneln denen eines Herzinfarkts: Engegefühl im Brustkorb, Atemnot, Schmerzen im Brustbereich, die bis in den Arm ausstrahlen. Aber meist klingen die Beschwerden nach einigen Stunden wieder ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Herzmuskel innerhalb weniger Wochen vollständig erholt, ist hoch. In der akuten Phase kann aber Lebensgefahr bestehen. Die linke Herzhälfte bläht sich dabei ballonartig auf. Das gibt dem Herzen die Form eines Fangbehälters für Tintenfische, weshalb die japanischen Forscher dem Syndrom auch den in Fachkreisen verwendeten Namen Takotsubo (übersetzt: Tintenfischfalle) -Syndrom gaben.
Doch der Begriff des gebrochenen Herzens umschreibt das Phänomen sehr gut. Denn fast immer (über 80 Prozent) trifft es Frauen, die meisten zwischen 50 und 80 Jahre. Und in vielen Fällen ist der Tod eines geliebten Menschen der Auslöser. Er warnt davor, die Situation zu unterschätzen. „Auch wenn diese Krankheit meist einen guten Verlauf nimmt, wenn die Grundprobleme nicht beseitigt werden, kann das Syndrom wieder auftreten.“ Die Pandemie sorgt für lange andauernden Stress. „Es ist wichtig, sich Entspannungsmechanismen anzueignen“, rät der Chefarzt.