Bildband Krefelder fotografiert verlassene Orte

Krefeld · Sven Fennema ist ein Spurensucher. Mit seiner Kamera spürt er Orte auf, die ihre Schönheit im Verfall offenbaren. Seine Aufnahmen hat er gesammelt und nun in einem Bildband veröffentlicht.

Krefelder Sven Fennema hat einen Fotoband herausgegeben
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Krefelder fotografiert verlassene Orte

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Foto: Sven Fennema

Sven Fennema ist jemand, dem man ein Geheimnis anvertraut. Der 37-jährige Krefelder schafft mit seinem angenehmen Auftreten Vertrauen auch fernab seiner Wohnstatt. Im Süden Italiens, wo die Menschen als besonders schweigsam gelten, bringt er die Menschen zum Sprechen, führen sie ihn an Orte und öffnen ihm Türen, die selbst den meisten Einheimischen verschlossen bleiben. Fennema war mit der Fotokamera in Apulien, Kalabrien und Kampanien unterwegs. In den Regionen, in denen die italienische Mafia, die Ndrangheta, großen Einfluss hat.

Fennema ist ein Spurensucher auf dem verborgenen Pfad zwischen Erinnern und Vergessen. Er sucht die magischen Orte, an denen Natur und Architektur eine Symbiose eingehen und einen Hauch von Melancholie verströmen. „Bisweilen taucht das Gefühl auf, es könnte gleich ein Fabelwesen um die Ecke kommen“, sagt der junge Familienvater. Sein Italienisch reicht aus, um nicht zu verhungern oder zu verdursten. Komplexe Sachverhalte über Geschichte und Architektur nimmt er von seinen Gesprächspartnern auf und übersetzt sie später, wenn er in Krefeld wieder am Schreibtisch sitzt, um seine prachtvollen Bildbände vorzubereiten. „Melancholia“ heißt das aktuelle Werk mit gut 240 Motiven aus Süditalien.

Es gebe viele, die ihn gerne zu leer stehenden Villen, ungenutzten Industriebauten, aufgegebenen Kliniken und Kläranlagen, nach Erdbeben verfallenen Bergdörfern und bei anderen Naturkatastrophen zerstörten Gemäuern führen und ihm die Geschichte dazu erzählen, sagt Fennema. „Die Masse an Architekturschätzen in der Region ist unheimlich groß. Es lässt sich überhaupt nicht finanzieren, sie alle zu erhalten“, erklärt der Krefelder. Mit seiner Fotografie setzt er den Überbleibseln der Zivilisation ein Denkmal, ehe die Natur sich den Raum zurückerobert.

Zu seinen Lieblingsmotiven zählt eine versinkende Kirche aus dem 16. Jahrhundert. Nach einer Verschiebung der Erdplatte durch ein Beben sammelte sich Wasser unter den Fundamenten. Das Eigengewicht des Gotteshauses drückte den Baukörper über viele Jahrzehnte in den Morast. Heute ist das einstmals prächtige Hauptportal nur noch in halber Höhe zu sehen. „Ich habe den Sakralbau in Lazio im Winter entdeckt und bin dann im Sommer noch einmal wiedergekommen, weil das Grün der Szenerie einen speziellen Charme verleiht“, berichtet Fennema. Seine Vorgehensweise ist gleichzeitig ein Beleg für seine Sorgfalt und für die Wertschätzung der morbid angehauchten Motive.

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Foto: picture alliance / Eibner-Presse/Augst / Eibner-Pressefoto

In der Toskana verzauberte ihn eine alte Wassermühle, deren Geschichte bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht. Das Objekt ist eine Attraktion, deren Historie auf Tafeln festgehalten ist, zu der aber kein Wegweiser hinführt. „In der Toskana gibt es ganze Täler, die in Vergessenheit geraten sind“, sagt der 37-Jährige.

In Neapel wütete im 16. Jahrhundert die Pest. Die Toten wurden in Massengräbern verscharrt. Ordensschwestern gruben die sterblichen Überreste aus, bahrten sie in Katakomben auf und gaben ihnen so die Würde zurück. In Apulien fand der Krefelder eine ähnliche Anordnung vor. Unter einer Kapelle aus 22 Nischen schauten in Lumpen gehüllte Mumien auf den Betrachter herab. „Mit war nicht unbehaglich zumute, und der Anblick war nicht gruselig, sondern es war vor allem spannend und faszinierend“, erzählt Fennema. Er hatte den Schlüssel zu den Kellerräumen ausgehändigt bekommen und durfte sich dort alleine bewegen und fotografieren.

So ganz alleine ist er bei seinen Expeditionen nicht. Sein „Immer-wieder-Quartier“ bezieht der Krefelder bei einem amerikanischen Bekannten in der Nähe Bolognas. Der Gastgeber hatte im Internet Fennemas Fotografien kennengelernt und Kontakt aufgenommen. Eine zweite Vertrauensperson ist ein sehr guter Freund aus Venlo, der ihn begleitet und ebenfalls fotografiert. „Ganz alleine reisen, das wäre schwierig“, sagt der 37-Jährige.

Selbst wenn er mit der Familie unterwegs ist, gerät seine Passion nicht in den Hintergrund. Einen Urlaub auf Lanzarote nutzte er, um sich gleichsam einem neuen Genre anzunähern – der Luftfotografie mit einer Drohne. „Ich habe unseren Aufenthalt auf der Insel dazu genutzt, meine Drohne auf Herz und Nieren zu testen“, berichtet er. Entstanden sind wunderbare Aufnahmen, auf denen die spezielle Geometrie einer spanischen Kulturlandschaft zu beobachten ist. Mit der Drohne erreiche er Standorte, die sonst nicht zugänglich seien. Die Bilder böten andere Perspektiven und lieferten einen anderen Blickwinkel. Mit den Motiven hat er einen immerwährenden Kalender gestaltet.

Für dieses Jahr hat Fennema sich viel vorgenommen: Neben Vorbereitungen und konzeptionellen Arbeiten für weitere Projekte stellt er seine Bilder in Krefeld und anderswo aus. Bis Ende Juni ist eine Auswahl seiner Motive im Allgäu in Mindelheim zu sehen. Im März oder April zeigt das Café Liesgen in der Krefelder Innenstadt einige Arbeiten. In der zweiten Jahreshälfte steht der Gewölbekeller im Kloster Kamp als Ausstellungsraum bereit.

In welchen Teil des europäischen Auslands es Fennema dieses Jahr zieht, will er noch nicht verraten. „Es geht etwas weiter weg als bei den bisherigen Reisen“, erklärt er. In der Vergangenheit hat der 37-Jährige hauptsächlich in Frankreich, Belgien, Polen, Italien und Deutschland nach vergessenen Architektur-Perlen gesucht und sie mit seiner Kamera vor dem Vergessen bewahrt.

Der Krefelder Fotograf Sven Fennema ist ein Spurensucher. In dem neuen Bildband „Melancholia“ zeigt er eine große Auswahl seiner Funde – allesamt aus Süditalien.

Der Krefelder Fotograf Sven Fennema ist ein Spurensucher. In dem neuen Bildband „Melancholia“ zeigt er eine große Auswahl seiner Funde – allesamt aus Süditalien.

Foto: Sven Fennema

Fennema beschäftigt sich mittlerweile ein gutes Jahrzehnt mit der Fotografie und hat in dieser Zeit mehrere Bildbände veröffentlicht. Der Spezialist für Informatik bei einer US-amerikanischen Firma mit Sitz in Düsseldorf hat 2007 seine erste Digitalkamera erworben. Die Faszination fürs Fotografieren war vom ersten Tage an da – und wuchs. Die Profession weicht der Obsession, aber nicht radikal. Die Verantwortung für Frau und Kind lässt ihn einen gewissenhaften Kurs einschlagen. Seit 2010 fährt er zweigleisig, hat sich mit der Unternehmung Living Pictures selbstständig gemacht.

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